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SERIEN PERSPEKTIVWECHSEL • CHANGE OF PERSPECTIVE
r Mussten Sie mangels Erfahrung in der Hotelbranche auch Lehrgeld zahlen?
LN: Vielleicht sind gerade diese fehlenden Erfahrungen als professionelle Hotelbetreibe-
rinnen ein Grund dafür, warum die Gespräche recht offen sind. Viele Gäste fühlen sich
gerade aufgrund unserer fehlenden „Spezialisierung“ so wohl bei uns, eben nicht wie
im Hotel, sondern „angekommen“ und „willkommen“. Man ist je nach Jahreszeit Teil
einer bunten Mischung von Kindern, Erwachsenen, Ruhesuchenden und Hunden. Jeder
findet dadurch seinen eigenen Platz, an dem es im Kavaliershaus ja nicht mangelt. Man
ist mitten im Dorf: Ein Traktor fährt, die Warnsirene der Feuerwehr heult, und dann wird
es wieder sehr ruhig. Plötzlich nimmt man die Vogelstimmen so bewusst wahr, dass sie
fast schon stören. Lehrgeld zahlt man ständig, aber dies wird aufgewogen durch das
Wohlbefinden, das einem viele Menschen kommunizieren. JN: Hier kann ich zu Lenas
Worten fast nichts hinzufügen, nur eines: Dadurch, dass wir keine typischen Hoteliers
sein wollten und sind, haben wir unsere ganz eigene Atmosphäre geschaffen.
r Und welche „Knackpunkte“ würden Sie anführen? Wie lassen sich Ihre beiden Pro-
fessionen denn zeitlich-organisatorisch vereinbaren?
JN: Hotels und Architektur fordern ein straffes organisatorisches Vorgehen. Es bleibt nicht
Foto: Dressler viel Zeit, aber beides ist neben meinen Kindern und Enkeln mein Leben. Viele Wünsche
bleiben für mein nächstes Leben offen ... LN: Das ist in der Tat sehr schwierig, vor allem we-
Kavaliershaus Schloss Blücher am Finckener See (2010) • Kavaliershaus Schloss Blücher on Lake Fincken (2010) gen der zeitlichen Vorgaben der Schulen meiner Kinder. Doch das Team im Kavaliershaus
übernimmt – sofern es komplett ist – einen Großteil der Arbeit, sodass man sich selbst den
ständigen Herausforderungen widmen kann: verbessern, beobachten, erweitern ...
r 2010 eröffneten Sie beide, Mutter und Tochter, das Kavaliershaus Schloss Blücher
am Finckener See. Das Gut wurde zuvor als Schule genutzt. Was hat Sie daran gereizt?
JN: Dieser klare, schöne Bau aus dem 18. Jahrhundert drohte zu verfallen. So habe ich
ihn in einer zehnminütigen telefonischen Versteigerung erstanden. Das architektonische
Auge war wohl der Grund ... So entstand die kleine Schwester des Seehotels. LN: Der
Ort Fincken und seine BewohnerInnen waren eine Überraschung für mich – dass man
von außerhalb kommt und gegrüßt wird, dass es eine Wertschätzung dafür gibt, dass das
Gebäude „gerettet“ wird. An diesen Ort als Schule haben Generationen mehr als 60 Jahre
lang eine gute Erinnerung. Es kommen auch Gäste zu uns, deren Verwandte schon 1930
in Fincken unterrichteten, und es herrscht eine eigenartige Magie an diesem Ort. Gäste
kommen immer wieder, auch von weit her. Die Geschichte des Gebäudes ist von uns
nach und nach in Szene gesetzt worden – alte Lehmbauweisen, freigelegte Farbschichten
an den Wänden, welche die Zeit ablesbar machen, Artefakte aus dem Schulinventar ...
Durch die Summe all dieser Details hat das „Neue“ erst einen Rahmen und einen ganz
Foto: Ben Donath anderen Wert bekommen.
che Ziele verfolgt Ihre Innenarchitektur? Und was schätzen die Gäste am meisten?
Das zuvor als Schulhaus genutzte Kavaliershaus beherbergt das ... • The Kavaliershaus, formerly a school, now ... r Die Gebäude, die Sie saniert und umgebaut haben, haben eine lange Historie. Wel-
JN: Das Kavaliershaus ist eine völlig andere Art Hotel – riesengroße Suiten mit vier Meter
... Restaurant „Klassenzimmer“ sowie einen Ruheraum mit Turngeräten. • ... houses the restaurant Klassenzimmer Raumhöhe, behutsame Eingriffe in die Bausubstanz, der Wille, Geschichte lesbar zu
machen. So entstand ein schönes Zusammenspiel von Design, Geschichte, Kultur und
Funktion. Das Interior Design fügt sich in das alte Holzständerwerk des Gebäudes, lässt
Schränke unter den Treppen verschwinden und alte Schulbänke als Möbel wieder auf-
leben. Substanz und Mobiliar vereinen sich in zeitloser Architektur mit gräflicher Ver-
gangenheit und DDR-Geschichte. Nachhaltigkeit war immer ein wichtiger Teil unserer
Architekturphilosophie. Im Seehotel war es für mich wichtig, Design nicht vordergründig
in Erscheinung treten zu lassen. Es sollte sich selbstverständlich in die Natur und die bäu-
erliche Vergangenheit einordnen. Das Gesamtwerk, die Herzlichkeit der MitarbeiterInnen,
die Ruhe und die großartige Landschaft – das ist die Zauberformel. LN: Im Kavaliershaus
kam durch den behutsamen Umgang mit der Geschichte des Gebäudes ein Stein ins
Rollen. Wir unterhalten uns intensiv mit Menschen der Region und unseren Gästen
über das Haus, vielleicht auch deshalb, weil wir im Inneren vieles erhalten haben. Wir
ersetzen jedes Stück erst dann, wenn es nicht mehr anders geht. Dadurch erzählt das
Gebäude seine verschiedenen Leben, ohne aufdringlich oder historisierend zu wirken.
Sehr bewusst nehmen die Gäste die Großzügigkeit der Räume wahr und unbewusst
vielleicht auch das andere Raumklima, das in so alten Gebäuden durch ihre Bauweise
und Materialien herrscht. Es ist dort eine Entschleunigung zu spüren. Unsere Häuser sind
Foto: Cyrus Saedi keine Zweckbauten wie Hotels, sondern ganz besondere Orte, an denen man dank der
Natur zur Ruhe kommt, obwohl man mitten im Dorf ist. Auch das Imperfekte, eben keine
professionelle Glätte, wird von unseren Gästen sehr geschätzt.
036 • AIT 11.2025

