Page 2 - AIT1125_Hotelbetreiberin
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Johanne Nalbach Lena Nalbach
1961–69 Architekturstudium, TU Wien 1975 Bürogründung mit Gernot Nalbach 1995–2002 Architekturstudium AA, London 2002–2004 Universität für
1980 Nalbach Design GmbH seit 1996 Außerordentl. Professorin, State Univ. Angewandte Kunst, Wien 2006–2009 Gastprofessorin College of Design,
of Kansas 2002–04 Außerordentl. Professorin, State Univ. of Lexington Kentucky 2008–2009 Gastkritikerin MIT, Chicago, und und AA, London
J ohanne Nalbach, das Seehotel am Neuklostersee im Norden von Mecklenburg ist
ein 1993 gestartetes, nach und nach gewachsenes, einzigartiges Hotelprojekt. Wie
wurden Sie und Ihr Mann Gernot als Architektenpaar seinerzeit zu Hoteliers?
Johanne Nalbach (JN): Ich stamme aus Linz, und die wunderbaren Bauernhäuser Öster-
reichs habe ich seit jeher bewundert. Es sind aus meiner Sicht die besten Energiespar-
häuser, entstanden aus der Erfahrung von Generationen und im Einklang mit der Natur
und ihren Gewalten. Urlaube im Salzkammergut prägten meine Kindheit. Dann gab es
1991 eine Berliner Zeitungsannonce: Zwei Bauernhäuser am See zu verkaufen. Rosi und
Horst hatten das Gutshaus 14 Jahre für die LPG Morgenröte geleitet und wären arbeitslos
geworden. So beschlossen mein Mann und ich, ein Hotel daraus zu machen. Geplant
hatten wir ja schon viele! Das Seehotel wurde 1993 eröffnet und begann mit elf Zimmern
noch unter Rosis Leitung. Lena Nalbach (LN): Eine etwas andere Sicht auf die gleiche
Geschichte ist vielleicht die Sehnsucht nach Land und Raum, die eine auf der Insel West-
berlin eingesperrte Familie hatte – und der Wunsch, ein Hotel bis ins Detail planen und
halten zu können, anstatt es zu übergeben und dann unter den betrieblichen Änderun-
gen zu „leiden“. Oder, um es positiv auszudrücken, vielleicht auch, um sein eigenes Foto: Stefan Müller
Karma aufzubessern. Inspirierend waren sicher die vielen Reisen in die ganze Welt, die
wir als Familie zu idyllischen Orten unternommen hatten, sei es ins österreichische Bau- Die Kunstscheune des Seehotels: ein Fachwerkhaus aus dem 19. Jahrhundert • The Art Barn of the Seehotel
ernhaus, ins New Yorker Design Hotel oder auf eine ferne Eco-Tourism-Farm in Brasilien.
Das Steinhaus beherbergt wunderschöne Zimmer mit Seesicht. • The stone house features lake-view rooms.
r Wie hat sich der historische Bestand des Seehotels nach und nach weiterentwickelt?
JN: Die alte Scheune, ein schöner Fachwerkbau aus dem 19. Jahrhundert – heute die
Kunstscheune – und das steinerne, 1914 erbaute Bauernhaus sowie das Bootshaus waren
der Anfang. Elf Datschen standen noch vor dem Steinhaus in diagonaler Reihung, drei
weitere befanden sich auf dem Grundstück. Letztere haben wir erweitert und mit einem
Satteldach versehen. So entstanden unsere drei Ferienhäuser. In den weiteren Jahren
folgten die Wintergärten vor der Scheune sowie die Restaurant-Erweiterung mit dem
Küchenbereich, denn wir mussten die Kapazität des Restaurants im Hinblick auf die neu
geplante Badescheune mit Schwimmbad, drei Saunen und elf Suiten erhöhen. Die Bade-
scheune wurde 2004 eröffnet. 2010 folgte auf den Fundamenten und dem Keller einer
Datsche das Wohlfühlhaus für Kosmetik und Massage. Seitlich von der Kunstscheune
entstand unsere kleine Gänsebar – in Memoriam unserer vier weißen Gänse. Auf der
Rückseite bildet ein barrierefreies Zimmer die letzte Erweiterung des Hotels. So ist das
Gesamtwerk entstanden. Die Wirtschaftlichkeit verbesserte sich ein wenig durch die kon-
tinuierliche bauliche Erweiterung und Qualität unserer Küche im Restaurant „Allesisst-
gut“ sowie das Wohlfühlhaus-Angebot mit Massagen und Kosmetik.
r Welche Vorteile bringt es mit sich, ArchitektInnen und HotelbetreiberInnen in Per-
sonalunion zu sein? Erlaubt man sich auch Dinge, die sonst nicht möglich wären?
JN: Ja, ich konnte endlich Dinge planen, die ein Bauherr oder eine Bauherrin aus wirt-
schaftlichen Gründen abgelehnt hätte! Damit kämpfen wir allerdings teilweise noch
heute. Die Energie- und Warenkosten plus Gehälter sind stark gestiegen und die Proble-
me dadurch auch. Aber wenn wir die glücklichen Gäste sehen, darunter auch viele Kinder
und Hunde, dann wissen wir, dass wir ein kleines Paradies geschaffen haben. Der See,
die herrlichen alten Bäume, unsere zwei Schafe „Pflaume“ und „Zwetschke“, die Natur
und die schwedische Stille, ergänzt durch unsere Architektur, haben diesen Ort entste-
hen lassen. LN: Das häufige Erzählen über die Geschichte des Kavaliershauses und der
Region bringt mit jedem Gespräch mehr Details an die Oberfläche, je nach Herkunft und
Interessen des Gesprächspartners. Dass man in verschiedene Rollen schlüpfen kann, hat
durchaus seinen Reiz. So gestaltet man zum Beispiel beim Gärtnern und kommt dadurch
ins Gespräch im Gastgarten. Leider wird man als Architektin oft „enttarnt“, da der gestal-
terische Ansatz bei jedem Handgriff ersichtlich zu sein scheint. Gastgeberin zu sein,
bedeutet auch, mit den Gästen fast schon tiefe psychologische Gespräche zu führen. Das
Schöne ist, dass man als Hotelbetreiberin auf Augenhöhe mit dem Gegenüber sein kann. Foto: Schluchtmann
Gegenüber BauherrInnen herrscht ein viel stärker ausgeprägtes Dienstleistungsverhältnis.
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