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SERIEN IKONEN BEWOHNEN •  LIVING IN ICONS



                                                                             er Wandverkleidungen, Treppengeländer und Wandmalereien. Der Architekt ver-
                                                                             traute ihm vollkommen: „Wenn es Rudolf Stolz malt, brauche ich keinen Entwurf zu
                                                                             sehen.“ Das Haus ist seit der Erbauung 1929 im Familienbesitz; heute unter der Füh-
                                                                             rung von Waltraud Watschinger, die das Drei Zinnen in der 3. Generation leitet. Zu-
                                                                             nächst war es nur für den Sommertourismus vorgesehen. Durch Hans Watschingers
                                                                             Freundschaft zum Bergpionier Heinrich Harrer, den er später als Skilehrer für das
                                                                             Haus verpflichten konnte, wurde es weiter zu einem Wintersporthotel ausgebaut.

                                                                             Ein Klassiker der alpinen Moderne, ohne falschen Alpenbarock

                                                                             Ganz entgegen der alpenromantischen Vorstellung plante Holzmeister das Haus bei-
                                                                             nahe gänzlich ohne Balkone, was den nach außen skulptural erscheinenden Baukör-
                                                                             per in seiner Massigkeit und Expressivität unterstreicht. „Ein Haus mit Balkon zu
                                                                             bauen, ist keine Kunst – ein Haus ohne Balkone zu bauen, ist die Kunst“, so zitiert
                                                                             Waltraud Watschinger den Architekten. So entstand ein Klassiker der alpinen Mo-
                                                                             derne – ohne falschen Alpenbarock und kitschigen Geranienbehang! Gleich beim
                                                                             Durchschreiten der bunt lackierten, massigen Eingangstüre aus Holz mit ihrem
                                                                             wuchtigen Türdrücker, über der das Erbauungsjahr 1929 prangt, erahnt man durch
               Insgesamt verfügt das Hotel über 35 Gästezimmer. • The hotel has 35 guest rooms.   ein winziges Guckfenster die wohlige Atmosphäre, die den Besucher im Inneren des
                                                                             Gebäudes empfängt. Sobald man das Haus betreten hat, erfasst man mit einem Blick
                                                                             und trotz seiner riesigen Dimension die Breite und Tiefe des Baukörpers. „Die einfa-
                                                                             che Orientierung war dem Architekten ein Anliegen!“, so Watschinger. Im zentralen
                                                                             Hotelhallenbereich mit Blick hinaus ins Fischleintal wird man von einem holzvertä-
                                                                             felten Raum wohlig umarmt und man möchte sich am liebsten sofort in einem der
                                                                             wuchtig eleganten, vom Architekten entworfenen Fauteuils niederlassen. Kommen
                                                                             die Gäste nachmittags  vom Skilaufen,  verstärkt der dort bereitstehende,
                                                                             selbstgeback ene Kuchen dieses Verlangen um ein Vielfaches. Von der Halle gelangt
                                                                             man zur einen Seite in die Lese- und Kaminzimmer, welche teilweise mit Wandma-
               Die Ausmalung übernahm der Künstler Rudolf Stolz. • The paintings were created by artist Rudolf Stolz.  lereien von Rudolf Stolz versehen sind. Ursprünglich befand sich hier neben der
                                                                             „Schwemme“, also der Schankstube, das Restaurant für die Kindermädchen und
                                                                             Chauffeure der Herrschaften, die im gegenüberliegenden Flügel dinierten. Der Spei-
                                                                             sesaal erstreckt sich über die gesamte Gebäudetiefe. Hier beginnt und endet der Tag
                                                                             auch heute noch für die Gäste unter wuchtigen, wagenradförmigen, bunt bemalten
                                                                             Leuchtern. Fackeltragende Holzmännchen tanzen darauf im Kreis und beleuchten
                                                                             würdig den Saal. Die Tische sind mit frischen Blumen aus Belluno geschmückt;
                                                                             darum kümmert sich die beinahe 90-jährige Seniorchefin persönlich. Man speist Re-
                                                                             gionales oder auch frischen Fisch aus Grado mit ebenfalls vom Architekten entwor-
                                                                             fenen Besteck, dessen Messerschneiden in der Dimension eher an Tortenschaufeln
                                                                             erinnern mögen. Die Initialen des Hotelgründers – HW – sind, grafisch wunderschön
                                                                             gestaltet, in das Besteck eingeprägt oder finden sich auch auf Badetextilien und
                                                                             Briefpapier wieder. Auf dem Kopf betrachtet stehen die Initialen HW symbolisch
                                                                             auch für die Begriffe „Hotel“ und „Drei Zinnen“.

                                                                             Feinfühlig bewahrtes Familienerbe, geführt in 3. Generation


                                                                             Man möchte meinen, der Architekt habe versucht, mit seiner eleganten Wuchtigkeit
                                                                             in vielen Details geradezu eine Antithese zur fein ziselierten Architektur eines Carlo
                                                                             Scarpa zu entwerfen, die man nur wenige Kilometer südlich des Kreuzbergpasses
                                                                             antrifft. Täglich fährt der Linienbus vorm Haus vorbei – Endstation: Triest, Piazza dell
                                                                             Unità d’Italia, die „gute Stube“ der Stadt mit ihrem atemberaubenden Ausblick auf
                                                                             den Golf von Triest. Die Zimmer im Drei Zinnen sind schlicht eingerichtet, aber durch
                                                                             den skulptural ausgestalteten Baukörper ergeben sich abwechslungsreiche Ausblicke
                                                                             auf die faszinierende Umgebung. Und dank der Tatsache, dass Waltraud Watschinger
                                                                             das Erbe des Großvaters feinfühlig bewahrt, ist das Haus in seiner einst erbauten
                                                                             Absicht noch immer bestens erhalten. Angeblich zeitgemäßen Ansprüchen wird so
                                                                             glücklicherweise mit dem passenden Gespür für die ursprüngliche Architektur wi-
                                                                             derstanden. Einzig die einst original von Holzmeister eingerichtete Tanzbar Hölle im
                                                                             Souterrain ist nicht mehr erhalten. Sie ist einem sensibel eingefügten Sauna- und
                                                                             Wellnessbereich gewichen. Durch die schweren Sockelmauerwerksbögen des Ge-
               Fotos: Hotel Drei Zinnen                                      diose Bergkulisse der Rotwandköpfe. Hier verstreute der Hollywoodregisseur und
                                                                             bäudefundaments tritt man in den Saunapausen nach außen und blickt in die gran-

                                                                             einstige Stammgast Fred Zinnemann die Asche seiner Geliebten. Den genauen Ort
                                                                             kannte nur er – und Waltraud Watschinger.


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