Page 3 - AIT0617_Motorman

Jan Kliebe

1971 geboren in Mainz 1992–1999 Architekturstudium in Kaiserslautern 1999 Freie Mitarbeit bei Mahler Günster Fuchs Architekten, Stuttgart 2001 Freier Architekt 2002 Geschäftsführender Gesellschafter, MGF Architekten
GmbH 2007–2016 Lehrauftrag Universität Stuttgart seit 2012 Mitglied im BDA seit 2016 Professur an der Hochschule Darmstadt Projekte Folkwang-Universität der Künste, Essen; Neubau Seminargebäude HTWG Konstanz;
Neubau Kindertagesstätte, Grundschule, Sport- und Schwimmhalle, Frankfurt/M.; Kindertagesstätte Rödelheim, Frankfurt/M.; Kindertagesstätte Schwanheim, Frankfurt/M.; Mensa und Speiseversorgung in Greifswald

Fahrrad oder Mofa – ein Asket unter den Zweirädern. • Bicycle or small moped – an ascetic among two-wheelers. Dicke Reifen und gefederter Ledersitz erinnern an Cruiser-Fahrräder. • Fat tires, spring-mounted leather saddle.

F einstaubalarm und tägliche Staumeldungen in und um Stuttgart führen dazu, dass Fahrtzeit verlängerten, kein Stressfaktor, sondern willkommene Umwege. Die Testversion
des Motorman verfügte weder über Sattel- noch sonstige Packtaschen, deshalb musste
man gut darüber nachdenken muss, wie die Fortbewegung in der Stadt noch mit
Freude erfolgen kann. Ich musste allerdings nicht lange überlegen, als von AIT das immer der Rucksack mitgeführt werden, was den Fahrspaß aber nur geringfügig
Angebot kam, den Meijs Motorman zu testen. Ein kurzer Blick auf das Foto des Zweirades schmälerte. Auffällig war die Veränderung der Mimik aller anderen Verkehrsteilnehmer.
genügte, um sofort zuzusagen. Kein sichtba rer Motor, keine Kette für einen Antrieb und Die morgendliche Schläfrigkeit, die sich mitunter in hängenden Mundwinkeln mani-
ein schlanker Stahlrahmen versprachen einige schöne Fahrten im Stuttgarter Raum. festiert, wurde schlagartig in positive Muskelenergie verwandelt, wenn ich mit dem
Schon mit der Anlieferung des Zweirades in einem Transporter aus dem Werk in Maast - Motorman an der roten Ampel neben einem Pkw anhielt. Radfahrer und Fußgänger wen-
richt kündigte sich an, was in den kommenden Tagen passieren würde: Das Zweirad, nur deten die Köpfe und riefen zuweilen Bemerkungen mit der Ikonografie des erhobenen
zirka 40 Kilogramm schwer, wurde eben erst mühelos ausgeladen und auf der Straße Daumens. Ja, es gab viele „Likes“ auf analoger Ebene. Das Design des Zweirades kann
abgestellt, schon verlangsamten vorüberlaufende Anwohner ihre Schritte und betrach- man sicher als Retro bezeichnen: die große Kulleraugenleuchte, der schlanke und leicht
teten neugierig das „Gefährt“. Im Zuge der Vorbereitung und Vorfreude hatte ich tatsäch- anmutende, geschwungene Stahlrahmen, der Sattel aus Leder mit archaischer Federung.
lich schon die Gebrauchsanweisung überflogen und wusste gleich, was zu tun ist, um den Natürlich muss der moderne Antrieb irgendwie bedient werden. Dafür sind kleine, feine
Electric Motorman geräuschlos zunächst einmal in der Tiefgarage unterzustellen. Der ele- Details eingebaut, die, auf das Wesentliche reduziert, das Fahrfeeling unterstützen. Der
gante Ledersattel hätte mir die leichten Regentropfen garantiert verziehen, aber einem breite Lenker liegt gut in der Hand und erzeugt ein sicheres Handling auch beim Abbie -
Urinstinkt folgend brachte ich die Beute erst einmal in die Schatz kammer. gen. Da es keinen Blinker gibt, muss eine Hand immer mal wieder den Richtungs wechsel
anzeigen. In den Lenker integriert ist der kleine Hupenknopf aus Edelstahl, ebenso der
Fahrspaß mit großem Flirtfaktor Kilometerzähler-Resetknopf, der bei einer Fahrleistung von circa 45 Stunden kilometern
bei vollem Akku ein wichtiges Feature darstellt. Der kleine runde Tacho ist auf dem
Mit Sonnenbrille, Helm und Fahrradschloss bewaffnet tauchte ich in den Verkehr ein und großen Frontscheinwerfer angebracht, direkt darunter ist der Kippschalter für das
rollte nahezu geräuschlos durch den Stuttgarter Westen. Selbst das Vorfahren an der Fahrlicht montiert. Das sind alles schöne, klassische Bedienelemente, die den modernen
Ampel an die Poleposition wurde von den übrigen Verkehrsteilnehmern eher mit einem elektrischen Antrieb antikisieren. Für die Nacht ist ein überdachter Stellplatz mit Strom -
Lächeln goutiert statt mit strengen Blicken. Die Mittagspause im Stammlokal wurde zum anschluss von Vorteil, damit der edle Sattel und das Ladegerät vor der Witterung
Boxenstopp mit vielen Zuschauern und anregenden Gesprächen. Die Meinungen über das geschützt sind. Außerdem würde man sich auch einen zweiten Sitz wünschen, damit man
Design und die Praktikabilität wurden natürlich kontrovers diskutiert. Festzuhalten bleibt die große Fahrfreude zu zweit erleben kann. Alles in allem hat die Testwoche mit dem
aber: Der Flirtfaktor war größer als bei dem bekannten lokalen Autobauer mit dem Pferd E-Bike von Meijs großen Spaß gemacht. Selbst die alte Weinsteige hat der Motorman
im Wappen. Auf dem Weg ins Büro waren kleinere Erledigungen und somit Wege, die die geschafft – lautlos und langsam, aber sicher und entspannt ankommen, lautet die Devise.

AIT 6.2017 • 057