Page 3 - AIT0419_Keramikfabrik
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Sina Pauline Riedlinger                                      Franziska Käuferle


                                     2011–2013  Bachelor Architektur an der BHT Berlin  2014–2017 Master  2009–2013 Bachelor Architektur an der TU München / Artesis Antwerpen
                                     Architektur an der TU Berlin seit 2014 Mitarbeit bei AFF Architekten  2014–2017 Master Architektur an der TU Berlin 2013–2017 Mitarbeit bei
                                     in Berlin                                                    BFM in Berlin seit 2018 Mitarbeit im familieneigenen Architekturbüro




                von • by Sina Pauline Riedlinger und Franziska Käuferle
                U   nsere Masterarbeit setzt sich aus zwei Themenschwerpunkten zusammen, die
                    parallel bearbeitet wurden. Den ersten Teil bildet ein klassisches Entwurfspro-
                jekt: ein neues Fabrikgebäude für den Familienbetrieb B.O.S. Keramik in der histori-
                chen Ofenstadt Velten. In enger Zusammenarbeit mit dem Nutzer, Ulrich Jahn, wurde
                ein Firmensitz entworfen, der alle Voraussetzungen für eine effektive und moderne
                Produktionsstätte schafft sowie eine flexible Anpassung der Produktionspraxis er-
                laubt. In frühen Schriften zur Keramikproduktion finden sich wiederholt Zeichnungen,
                die den Brennofen als lebendigen Mittelpunkt dieser Welt zelebrieren. Die dem Ofen
                in hä rente Wertigkeit findet unsere Aufmerksamkeit und lässt uns erkennen, dass die-
                ses spezifische Element den Arbeitsalltag prägte. Darüber hinaus birgt er eine archi-
                tektonische Eigenheit für das Bauwerk und bestimmt somit die ursprüngliche DNA
                der Typologie. In der heutigen Keramikproduktion ist dieses Element nicht mehr von
                Relevanz, da Gas- und Elektroöfen als autarke Systeme in schlichten Räumen ohne
                Kaminanschluss untergebracht werden können. Für den Entwurf wird dem architek-
                tonischen Element der raumanmutenden Öfen nun eine ästhetische Funktion zuge-
                schrieben, welche auf die historische Typologie, Produktionsweise und Arbeitsatmo-
                sphäre verweist. Die turmartigen Räume werden Teil der inneren, raumhaltigen Trag-
                struktur und dienen da rüber hinaus der vertikalen Tageslichtführung in das Gebäude -  Modell des neuen Fabrikgebäudes  • Model of the new factory building
                innere. Es werden geeignete Funktionen für sie entwi ckelt. So befindet sich ein Archiv-
                raum für Backsteine und Glasurproben im Herzen des Gebäudes, der in seiner Funk-
                tion einer Wunderkammer gleicht. Das Erdgeschoss umfasst rechts und links des Ar-
                chivraums die beiden getrennten Produktionsketten für Glasur und Ton mit seitlichen  Grundriss Erdgeschoss • Ground floor plan
                Arbeitsnischen sowie am Gebäudekopf die thermisch getrennten Gas- und Elektro-
                brennöfen. Die oberen Geschosse dienen vorwiegend als Lagerflächen, sie enthalten
                jedoch auch die Trockenkammer, Werkräume, Verwaltung und die Kantine.

                Rauheit als Ausgangspunkt der Materialstudie von Ton und Glasur

                Den zweiten Teil unserer Arbeit bildet eine praktische Auseinandersetzung mit dem
                Material Ton und der Farbigkeit von Glasur. Darüber hinaus wurde die übergeord-
                nete Frage nach Art und Angemessenheit der Außenwirkung eines Baukeramikpro-
                duzenten gestellt und wie sich ein zeitgenössisches Unternehmen hierzu positio-
                niert. Anhand von über 300 Probestücken wurde eine Annäherung an den Werkstoff
                Ton und seine Farbigkeit durch Glasur unternommen. Ziel war es, ein Produkt zu ent-
                wickeln, das das Unternehmen und seinen Anspruch an Qualität und Handwerks-
                kunst repräsentiert. Bei der Recherche zu persischen Ziegelbauwerken aus dem
                12. Jahrhundert beobachten wir wiederholt eine lebendige Beschaffenheit der Wand-
                oberflächen. Dieser Eindruck entsteht vor allem in der Fernwirkung. Er fasziniert, da
                er konträr zu allem steht, was wir aus der heutigen industriellen Herstellung kennen.
                Die von uns als lebendig und rau beschriebene Eigenschaft der Wandoberfläche
                wird durch Addition verschiedener geometrischer oder floraler Ornamente geschaf-
                fen. Ihre Plastizität bildet die Basis der Struktur. Die Rauheit wird dabei zum Aus-  Schnitt • Section
                gangspunkt der Materialstudie, denn gerade im Umgang mit der beobachteten Rau-
                heit sehen wir für uns eher den Weg als im Entwurf einer konkreten oder greifbaren
                Form, wie es historische Referenzen mit ihren Ornamenten tun. Unser Ansatz löst
                sich vom klassischen Ornament, übernimmt dennoch dessen Eigenschaften. Für die
                Studie haben wir diese Eigenschaften abstrakt als Erhebung definiert und zugleich
                überlegt, wie Höhen und Tiefen innerhalb einer Form entstehen und darüber hinaus
                in einen wirtschaftlich sinnvollen Herstellungsprozess gebracht werden können.
                Unser Ansatz basiert auf dem Vertrauen in die Materialeigenschaften und das eigent-
                liche Herstellungsverfahren. Bei einer Brenntemperatur von circa 1200 Grad Celsius,
                die für die Wetterbeständigkeit des Backsteins nötig ist, verbrennt alles Organische.
                Diesen Umstand machen wir uns zunutze, um die Tonstücke zu gestalten. Es werden
                organische Materialien in die Oberfläche des weichen Tons eingearbeitet, welche die


                                                                                                                              AIT 4.2019  •  045
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