Page 2 - AIT0323_Bukarest
P. 2
Roxana Achim
Foto: Mircea Dragos Photography 1987 geboren in Sibiu 2012 Master of Science Architektur an der TU Wien
2012 Mitarbeit bei PZP Arhitectura, Bukarest 2017 Projektmanagement bei
Colliers 2022 Head of Design/Projektmanagement bei Teilor, Bukarest
Foto: Andrei Margulescu, RO-Bukarest Foto: picture alliance / dpa, Wolfgang Kumm
Alt trifft Neu im beliebten Kulturzentrum The Ark (2). • Old meets young in the The Ark (2) cultural centre. Macht trifft Größenwahn im Palast des Volkes (3). • Power meets megalomania in the People’s Palace (3).
von • by Roxana Achim, Bukarest
B ukarest, die 1,8 Millionen EinwohnerInnen zählende Hauptstadt Rumäniens, liegt r 13.00 Uhr – Wir halten lieber die Augen offen – und zwar nach einem netten Plätzchen
für Tee (Ceai) oder Kaffee (Cafea), wie dem Origo (4), einem Third-Wave-Café mit lässi-
mitten in der Walachei – und ist alles andere als hinterwäldlerisch! Insbesondere
architektonisch bietet die quirlige Metropole einen beeindruckenden Cocktail aus unter- gem Interieur vom Bukarester Büro Lama Architecture. Oder aber nach einem Mittages-
schiedlichen Stilen und Epochen. An der Kreuzung zwischen Ost und West gelegen, grün- sen im geschichtsträchtigen Innenhof des Hanul lui Manuc (5). Der „Gasthof des
det Bukarest auf einer uralten byzantinischen Struktur, die im 19. und 20. Jahrhundert Manuc“, eine ehemalige Karawanserei, diente vor Jahrhunderten als Umschlagplatz für
durch die Belle Époque und den Art déco überwölbt wurde. Zu dieser Anfangszeit der ru- Händler und Diplomaten aus aller Welt. Heute ist in dem bedeutenden Bauwerk aus der
mänischen Unabhängigkeit war die Stadt das Zentrum der „Wiedergeburtsarchitektur“, Zeit der osmanischen Tributherrschaft ein Restaurant untergebracht. Ein Großteil der
einer Form des Historismus, die als „Nationalstil“ westliche Einflüsse mit traditionellen alten Anlage und viele der hölzernen Baudetails sind erhalten geblieben. Vom Innenhof
regionalen Elementen vereinte. Das Stadtbild jener Tage ist aber in den 1970er- und aus gelangt man direkt in die zentralen Altstadtstraßen von Bukarest.
1980er-Jahren durch die megalomanen Bauvorhaben des diktatorisch regierenden Staats- r 15.00 Uhr – Wir spazieren vom Unirii-Platz zum Universitätsplatz, wo sich der Mix aus
präsidenten Nicolae Ceausescu (1918–1989) massiv zerstört worden. In den Nuller-Jahren Vergangenheit und Moderne besonders zeigt. Versteckt zwischen langen Reihen standar-
brachte der High-Tech-Boom in Osteuropa „Young Urban Professionals“ aus aller Welt in disierter Wohnblocks aus der kommunistischen Ära entdecken wir unter anderem die
die Stadt – und der Bukarester Architekturszene gelang es, das schwierige bauliche Erbe orthodoxe Kretzulescu-Kirche (6), errichtet ab 1720 im Brâncoveanu-Stil. Viele histori-
durch zeitgemäße Neuerungen zu ergänzen. Das ergibt heute ein architektonisches Kon- sche Bauwerke wurden zur Zeit Ceausescus zugunsten großer Bauvorhaben mittels Me-
trastprogramm, das man unbedingt gesehen und erlebt haben sollte! tallschienen versetzt. Auf der Calea Victoriei, einer der ältesten Flaniermeilen der Stadt,
hat sich Vieles der historischen Pracht Bukarests erhalten. Besonders ins Auge fällt der
Samstag: Streifzug durch das pulsierende Herz der Stadt wuchtige Palatul Telefoanelor (7) („Telefonpalast“), ein Bürogebäude aus der Zeit des
Art déco, das einst das höchste Haus der Stadt war und eigentlich im Zweiten Weltkrieg
r 10.00 Uhr – Das Kulturzentrum Expirat (1) in einem alten Industriekomplex am Rande bombardiert werden sollte. Stattdessen hat man das nahestehende Barocktheater zer-
des Carol-Parks ist einer der vielen Hotspots der Bukarester Neo-Bohème und eine her- stört. Erst im Jahr 2006 ist auf dem lange brachliegenden Grundstück ein Hotelkomplex
vorragende Location, um sich bei einem entspannten Frühstück auf das pulsierende Zen- entstanden, der die rekonstruierte Fassade des alten Theaters mit einer neuen Glasstruk-
trum einzustimmen. Von dort aus schlendern wir zum Kultur- und Bürohaus The Ark (2), tur verbindet. Erhalten geblieben ist auch noch der CEC Palast (8) mit gläserner Kuppel.
in dem auch regelmäßig Pop-up-Shops öffnen und Flohmärkte stattfinden. Das denkmal- Das Hauptgebäude der rumänischen CEC-Bank wurde um 1900 errichtet und ist ein Sinn-
geschützte Gebäude ist eines der letzten Überbleibsel des alten Viertels Uranus, das in bild für den großen Einfluss, den Frankreich zu dieser Zeit auf die rumänische Aristokratie
den 1980er-Jahren durch das kommunistische Regime fast vollständig zerstört wurde. hatte – Bukarest galt damals als „Klein-Paris“.
Durch die aufwendige Restaurierung und Erweiterung um einen eingestellten Glasblock r 19.00 Uhr – Durch die pittoresken Straßen lassen wir uns treiben, vorbei an kleinen
nach Plänen des Bukarester Büros Re-Act Architecture konnte ein wichtiger Teil des Ura- Boutiquen, Kirchen und vormals bedeutenden Palästen, die inzwischen teilweise zu Rui-
nus rehabilitiert werden, das einst dem Bau der Megaprojekte Ceausescus weichen nen verfallen und von morbider Schönheit sind. Wer diese liebt, macht noch einen Ab-
musste. Dazu gehört vor allem der gigantische Palast des Volkes (3). Das ab 1983 nach stecher zur Jugendstilvilla Macca, die heute das Archäologische Institut der Rumänischen
den Plänen der Architektin Anca Petrescu (1949–2013) errichtete, neofaschistische Boll- Akademie der Wissenschaften beheimatet. Lohnenswert ist auch ein Besuch des ehema-
werk hält zahlreiche fragwürdige Rekorde, so ist es zum Beispiel das schwerste Gebäude ligen Wohnhauses des Alt-Präsidenten Ion Bratianu (1864–1927), das um 1910 im rumä-
der Welt. Glaubt man den Quellen, waren insgesamt über 700 FachplanerInnen und nischen Neo-Revival errichtet wurde. Wenn sich mit Einbruch der Dunkelheit die Altstadt-
20.000 ArbeiterInnen am Bau beteiligt. Sie wurden täglich mit verbundenen Augen durch gassen mit Menschen füllen, ist ein Abendessen angezeigt: am besten auf der Terrasse
unterirdische Tunnel geführt, um keine baulichen Details weitergeben zu können. des Linea / Closer to the Moon (9) mit Blick auf die Dächer der flirrenden Stadt.
AIT 3.2023 • 035