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Entwurf • Design 100% Interior – Sylvia Leydecker, Köln
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                                                                           Standort • Location Fritz-Erler-Straße 1, Erftstadt
                                                                           Nutzfläche • Floor space 2.800 m 2
                                                                           Fotos • Photos Karin Hessmann, Dortmund
                                                                           Mehr Infos auf Seite • More infos on page 118

































             Unterschiedlichste Aufenthaltsqualitäten im Rittersaal • Different sojourn qualities in the Knights' Hall  Brückenzimmer mit Saloncharakter und Parkzugang • Bridge room with salon character and access to the park


             von • by Sylvia Leydecker
             D   as 500 Jahre alte Wasserschloss vor den Toren Kölns wurde von einer Wirtschafts-  sesseln, die flexibel angeordnet werden können, hin zum entspannten Schaukelstuhl ist
                 akademie erfolgreich in eine private Akutklinik für psychodynamische Psychiatrie,
                                                                           sowohl Platz für geselliges Miteinander als auch zum Alleinsein. Abendlounges sind ge-
             Psychotherapie und Psychosomatik verwandelt. Patienten wird hier in geschützter Um-  prägt von der warmen Atmosphäre von Teppich, Holz, grob gewebter Stoffe von Kiesel-
             gebung bei der Wiederherstellung und dem Erhalt ihrer seelischen Gesundheit medizi-  grau bis Ocker, lebendiger Oberflächen von Rost und Stein. Der Saloncharakter des Brü-
             nische Hilfe durch modernste Methoden zuteil. Das Konzept der Präsenztherapie von Dr.  ckenzimmers, wird durch überraschend kräftige Farbakzente und Grafik der Fauteuils
             Karsten Wolf wird durch die Innenarchitektur therapeutisch unterstützt, indem sie subtil  verstärkt, abgerundet durch helles Tageslicht und Blick in den weitläufigen Park. Patina
             Nähe schafft und damit Präsenz. Medizin und Innenarchitektur ergänzen sich und gehen  ist erwünscht, das Leder der Stühle darf altern, Messing-Inlays im Schrank dürfen Ge-
             eine unvergleichliche Wechselbeziehung ein. Ursprünglich war ein Soft Refurbishment  brauchsspuren zeigen. Schätze, wie historische Thonet-Barhocker-Originale mit ihren In-
              im Bereich der Vorburg mit den Stationen und komfortablen Patientenzimmern für rund  tarsiendetails kommen am Empfang zur Geltung, während alte Handschriften zum origi-
              80 Betten vorgesehen. Davon musste im Verlauf der Planung abgewichen werden und  nellen Wandbelag werden. Rost und derber Stein besitzen ihre gealterte Daseinsberech-
             parallel dazu dort eine umfangreiche Sanierung durchgeführt werden, denn sowohl der  tigung, sind aber gleichzeitig in ihrer natürlichen Ausstrahlung so zeitgemäß wie nie.
             nötige Brandschutz als auch die Statik erforderten eine Ertüchtigung. Robus Ingenieure,
             die die Baustelle managten, arbeiteten dabei mit dem Innenarchitekturbüro 100% inte-  Innenarchitektur wird zur wirkungsvollen Therapiebegleitung
             rior reibungslos Hand in Hand. In Hochgeschwindigkeit entstand parallel die neue innen-
             architektonische Planung für eine zügige Realisierung der Patientenzimmer. So unterstützt  Die weitumspannende Zeitperspektive des Denkmals beindruckt mit seiner Geschichte,
             in sämtlichen Patientenzimmern und im Restaurant eine Lichttherapie die Struktur des  die von Höhen und Tiefen gleich der menschlichen Existenz geprägt ist. Ambivalent ist
             Tagesablaufs der Patient*Innen durch zircadiane Beleuchtung. Reichlich Stauraum für ge-  das Verhältnis zur Zeit als solche, denn einerseits prägt Entschleunigung den Ort als Ge-
             nügend Kleidung und Platz für Persönliches erleichtert den Aufenthalt bei längeren Ver-  sundheit für die Seele, andererseits wurde das Projekt in HighSpeed realisiert. Vom en-
             weildauern. Helle schmeichelnde Materialien und die positive Ausstrahlung der Zimmer-  gagierten Entwurf bis hin zur ersten Teilinbetriebnahme vergingen nur Monate. Dazu ge-
             ausstattung tragen dazu bei, Depressionen entgegenzuwirken.   hörten großes Vertrauen des Bauherrn und Investors in den Entwurf, kurze Entschei-
                                                                           dungswege und unkomplizierte pragmatische Zusammenarbeit. Insgesamt wurde der
             Vorhandenes wurde aufgearbeitet und sensibel ergänzt          Charakter des Gebäudes erhalten, sein Charme durch das differenzierte innenarchitekto-
                                                                           nische Konzept aus Licht, Farbe und Material im Spannungsfeld zwischen Alt und Neu
             Mit dem Bestand der Innenräume wurde dennoch grundsätzlich in Abstimmung mit dem  erhalten. Damit wird das Denkmal in die Zukunft geführt, genau wie die Patienten eben-
             Denkmalschutz sensibel umgegangen. Neben Restaurant und Behandlungsräumen be-  falls eine optimistische Zukunft erwarten. Unterstützt werden sie durch ein Interior, das
             reichern verschiedene Lounges, die zu unterschiedlichen Tageszeiten genutzt werden,  dem seelischen Zustand der Patienten, der Suche nach emotionalem Schutz und Gebor-
             den Aufenthalt. Der Boden des imposanten Rittersaals wurde freigelegt und das darun-  genheit in einem gelungenen Healing Environment entgegenkommt. Als historisches
             terliegende massive Eicheparkett aufgearbeitet. Smaragdgrüne Samtvorhänge wurden er-  Wasserschloss in die umgebende Natur eingebettet, verströmt es mit der subtil darauf
             halten, der vorhandene Stucco Lustro der Wände in das gestalterische Konzept integriert,  aufbauenden und inspirierenden Innenarchitektur wohltuende Ruhe und Entspanntheit.
             und Kristalllüster werden von Leuchten reduzierter Formensprache ergänzt. Strukturiert  Damit orientiert es sich an den Bedürfnissen von Patienten und Personal, nicht nur in
             durch eine harmonische Sitzlandschaft bietet der Raum damit Aufenthaltsqualität für un-  funktionaler, sondern auch emotionaler Hinsicht, denn psychische Erkrankungen sind
             terschiedliche Settings. Vom großzügigen Sofa, der geselligen Runde, grazilen Cocktail-  mittlerweile eine Volkskrankheit geworden, die Orte der Heilung brauchen.

                                                                                                                           AIT 11.2020  •  105
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