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Janina Poesch
             Foto: Mario Hegewald, Berlin  bei AIT seit 2008 Herausgeberin/Autorin zahlreicher Publikationen im Bereich Szenografie, unter anderem des Messedesign Jahrbuchs 2015–2016 Lehrbeauftragte Innenarchitektur/
                                  1979 geboren 1998 Ausbildung zur Bauzeichnerin 2000–2006 Architekturstudium an der Universität Stuttgart 2000–2006 Praktikum, Freie Mitarbeit bei AIT 2006–2008 Volontariat
                                  Szenografie an der Hochschule Coburg (BA) 2016–2017 Lehrbeauftragte Kommunikation im Raum an der Hochschule Pforzheim (BA) seit 2019 Lehrbeauftragte Szenografie und Kom-
                                  munikation an der Fachhochschule Dortmund (MA) seit 2020 Co-Kuratorin bei Raumwelten – Plattform für Szenografie, Architektur und Medien in Ludwigsburg





















             Fotos: Vave Germany GmbH, Offenbach am Main











             Vave entwickelte für SAP die Meta Cube Experience ... • Vave developed the Meta Cube Experience for SAP …  ... mit einer interaktiven Roboter-Hologramm-Installation. • … with an interactive robot-hologram installation.



             von • by Janina Poesch, Stuttgart
             W     enn wir mal ganz ehrlich sind, dann steckte die Messe schon vor der COVID-  kationsräumen wandeln. Relevanz, Dialog, Interaktion, Co-Kreation, Inspiration und
                   19-Pandemie in der Krise: Viele Veranstaltungen strauchelten, einige wurden
                                                                           Serendipität werden verstärkt im Fokus stehen – was bedeutet, dass in vielen Fällen
             ganz eingestampft. Im Allgemeinen fehlten die Ausstellerinnen und Aussteller, die  die Fläche kleiner, der Plattformgedanke aber umso größer wird. Die Verbindung in
             Besucherzahlen gingen zurück, Präsentationsformen beziehungsweise Ausstellungs-  den digitalen Raum wird dabei nicht mehr wegzudenken sein. Nicht nur, weil die
             konzepte waren schon zu oft gesehen, und nicht wenige stellten sich die Sinnfrage,  Messe mit einer permanenten Online-Präsenz ab sofort 365 Tage im Jahr stattfinden
             denn die Entwicklung von Produktinnovationen war schon lange nicht mehr an den  kann, sondern vor allem, weil „die Kombination von Analog und Digital attraktive
             Messezyklus geknüpft. Es war also ohnehin höchste Zeit für sichtbare Veränderun-  Möglichkeiten bietet, sowohl den realen als auch den virtuellen Raum sinnlich zu er-
             gen – ketzerisch ließe sich somit durchaus behaupten, Corona kam genau zum rich-  weitern und immersive Erlebnisse zu schaffen. Dafür braucht es aber viel Kreativität
             tigen Zeitpunkt. Denn erst die Pandemie brachte den nötigen Schwung in die Digi-  und den Mut, neue Wege zu gehen“, wie Tobias Geisler, Mitgründer von Vave, fest-
             talisierung der Messe, sie hat aber auch gezeigt, dass die physische Präsenzmesse  stellt. In dieses Erleben wird also mehr investiert werden, und es gilt dabei, jeweils
             auf sehr wackeligen Beinen steht. Und es lässt sich berechtigterweise die Frage stel-  das Beste aus beiden Welten herauszuarbeiten, es zu stärken und clever miteinander
             len: Kommt nach dem Einbruch nun der komplette Zusammenbruch, oder befinden  zu kombinieren: Online werden wir uns vermehrt dem Rationalen widmen, onsite
             wir uns vielmehr in einem Aufbruch und mittendrin in einer neuen Ausgestaltung  dem Emotionalen.
             beziehungsweise Definition von Messe? Betrachten wir die lange Geschichte des For-
             mats und die damit einhergehende Tatsache, dass sich die Messe schon unzählige  Flexibel – Im Zeitalter der Krisen
             Male neu erfinden musste, dann ist offensichtlich Letzteres der Fall. Und in den ver-
             gangenen Monaten haben alle Akteurinnen und Akteure erfolgreich demonstriert,  Neben digitalen Ergänzungen, werden aber auch immer mehr neue Formate den phy-
             wie agil die Branche – trotz massiver Einbrüche! – mit Disruptionen umgehen kann:  sischen Messestandort erweitern: Nicht nur, dass der urbane Raum und die damit ver-
             Es wurde mit hybriden Konzepten experimentiert, der virtuelle Raum erobert und  bundene Nähe zur Zielgruppe eine immer größere Bedeutung erlangen, Messe-Insze-
             neue Wege der Markenkommunikation unter Beweis gestellt. Mit dem Ergebnis:  nierungen werden verstärkt in Off-Spaces zu finden sein. „Neue Formate definieren
             Messe hat ab sofort viele Gesichter und unzählige Möglichkeiten, Menschen und  eine andere Art von Luxus: neue Begegnungen, neue Beziehungen, neue Erlebnisse.
              Marken miteinander zu verbinden.                             Wenn man den Prozess verändert, entstehen andere Ergebnisse. Dafür braucht es Mut
                                                                           und gegenseitigen Respekt“, beschreibt die Münchner Agentur Blackspace ihre Her-
             Hybrid – Kombination von analog und digital                   angehensweise: Anstatt für Genesis auf der IAA einen Messestand zu bauen, lud sie
                                                                           ins Blackhouse ein: „Was gibt es Höheres, als jemanden zu sich nach Hause einzula-
             Auch in Zukunft wird die Präsenzmesse dabei selbstverständlich Teil des Marketing-  den? In einer Atmosphäre, geprägt von Wertschätzung und Offenheit.“ Aus ganz an-
             Mix bleiben: Der persönliche Austausch und die spontane Begegnung sind durch  ders konnotierten Locations werden so neue Begegnungsorte, aus städtischem Leer-
             nichts zu ersetzen und werden nicht zuletzt wegen der langen Abstinenz eine noch  stand temporäre Showrooms und aus hauseigenen Fabriken erinnerungswürdige
             größere Wichtigkeit erlangen. Der gestaltete Raum wird diesem Phänomen Rechnung  Brand Experiences. Die Renaissance der Roadshows ist ebenfalls schon in vollem
              tragen: Messestände werden sich von passiven Präsentations- zu aktiven Kommuni-  Gange: Kommt die Kundschaft nicht zur Messe, bewegt sich die Messe eben zur Kund-

                                                                                                                            AIT 9.2022 • 119
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