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VERKAUF UND PRÄSENTATION  •  RETAIL AND PRESENTATION

































            GEIJOENG STORE

            IN SHENZHEN



            Entwurf • Design Studio 10, CN-Shenzhen


            Der Ruf der chinesischen Womenswear-Marke Geijoeng sollte ihr
            vorausgeeilt sein, denn die minimalistischen Kleidungsstücke selbst
            scheinen im Concept-Store in Shenzhen eine eher untergeordnete
            Rolle zu spielen. Die Kundinnen erwartet eine überraschend frostige,
            nahezu entmaterialisierte Atmosphäre, die Studio 10 mit einer Mi-
            schung aus Glas, Acryl, Marmor, Terrazzo und Samt geschaffen hat.



            von • by Petra Stephan
            D   er jüngste Concept-Store von Geijoeng befindet sich im stark frequentierten Ein-
                kaufs- und Bürokomplex Coastal City. Malls, Läden, Restaurants, Bars und Freizeit-
            angebote buhlen um die Aufmerksamkeit der Kundenmassen. Minimalistische Damen-
            mode in hellen Naturtönen zu präsentieren bedarf hier weitaus raffinierterer Anreize als
            übergroßer Logos oder bunter Schaufensterdekorationen. Der Entwurf des interdiszipli-
            när arbeitenden Innenarchitekturbüros Studio 10 entführt die anspruchsvollen Kundin-
            nen deshalb in eine ganz andere Welt. Schon beim Betreten des Eingangskorridors – mit
            Blick auf das leuchtende Schriftzeichen des Labels – findet die erste Entschleunigung
            statt. Glasbausteine am Boden, Glasziegel als halbhohe Wand, mattierte und struktu-
            rierte Glasflächen – vervielfältigt durch eine verspiegelte Decke und ausgeleuchtet von
            kühlen Neonröhren – geleiten die Kundin in den eigentlichen Verkaufsraum. Spätestens
            hier müsste der Trubel außen vor sein, und die Aufmerksamkeit kann den feinen, exklu-
            siven Kleidungsstücken aus Seide, Wolle, Kaschmir und Samt zuteil werden. Sie hängen
            an wie gefrostet wirkenden Acrylstäben, die in Quadern aus grünem Marmor stecken und
            als Präsentationsfläche, Bank oder Sockel fungieren. Das Graugrün, die CI-Farbe des La-
            bels Geijoeng, taucht dezent in den Samtvorhängen wieder auf, die als Raumteiler oder
            Sichtschutz für die als Bühne inszenierte Umkleidekabine nur hinter Acrylwänden wahr-
            nehmbar sind. Nichts soll ablenken von der weichen Haptik der präsentierten Damen-
            mode. Dominanz erlangt das CI-Grün im Terrazzoboden durch das Einlegen großer, wei-
            ßer Marmorbruchstücke, die unterschwellig die Aufmerksamkeit auf die weißen Klei-
            dungsstücke lenken. Das Zusammenspiel von Spiegelflächen, transparenten Wandmate-
            rialien und raffinierter Lichtführung lässt die Kundinnen über die Dimension des 120
            Quadratmeter großen Verkaufsraumes im Unklaren – die Umgebung scheint wie entma-
            terialisiert, wie eingefroren. Und plötzlich steht das Textil doch im Mittelpunkt der Wahr-
            nehmung – optisch wie haptisch. Wer wäre jetzt nicht versucht, sich in dieser fröstelnden
            Atmosphäre sofort etwas Warmes, Weiches und Teures zum Anziehen zu kaufen?

            068 •  AIT 9.2020
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