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WOHNEN • LIVING
APARTMENT
IN VALENCIA
Entwurf • Design Mario Montesinos Marco, ES-Valencia
Wie der Prototyp einer perfekt renovierten, up to date gebrachten
Altbauwohnung sieht dieses Apartment in Valencia explizit nicht aus.
Mario Montesinos Marco irritiert mit einem Interieur, das teils tech-
noid-unterkühlt, teils temporär-provisorisch, in jedem Falle eigenwil-
lig-individuell daherkommt. Der Architekt aus Valencia hat dazu eine
Story parat, und diese erklärt, wie es zu seinem Entwurf kam: einem
„posthumanen Unfall in einer neoklassizistischen Wohnung“.
von • by Annette Weckesser
F ast möchte man ihn als Enfant Terrible des Interior Design bezeichnen. Fast ... denn
Mario Montesinos Marco macht lediglich das, was ihm – beziehungsweise seinen
privaten Bauherren – gefällt. Die eigenen vier Wände sind schließlich das letzte Terrain,
in dem sich individuelle Präferenzen, Lebensstile und Geschmacksfragen ungeachtet der
öffentlichen Meinung und gegenseitiger Rücksichtnahme nach wie vor legitim entfalten
dürfen. Dass er ein Gestalter jenseits des Mainstreams ist, hat Montesinos Marco schon
mit seinem in AIT 7/8.2023 publizierten Apartment Vi&Mela in Bologna bewiesen. In
Valencia inszenierte er nun in einem neoklassizistischen Wohnhaus ein „abgespactes“
Refugium, das man hinter dieser Fassade so keinesfalls erwarten würde. Was der Archi-
tekt auf der viermal so langen wie breiten Altbau-Ebene mit ihren stolzen 175 Quadratme-
tern vorfand, war zeittypisch: hohe Räume, schmückende Stuckelemente, Kassettentüren,
hohe Fenster, aber auch progressiv pixelartige Mosaikböden. Montesinos Marco ist ein
Storyteller. Und seine (Entwurfs-)Geschichte besagt, dass nicht weniger als ein Ufo in den
Altbau geknallt und dort mittels einer selbst gesteuerten KI in der beschädigten neoklas-
sizistischen Substanz ein neues, Zeit und Raum verschmelzendes Interieur geschaffen
habe. De facto hat Montesinos Marco pragmatisch Zwischenwände entfernt und damit
Licht und Luft ins Innerste des Apartments gelassen. Trennwände und Schiebetüren aus
Glas und Edelstahl – Relikte des Ufos – sowie Vorhänge aus Kunststoff zonieren den
Grundriss, während sichtbare „Narben“ zeigen, wo einst die „amputierten“ Zwischen-
wände waren. Auf Putz verlegte Leitungen und von der Decke abgehängte Kabeltrassen
legen im Sinne des Industrial Style offen, was sonst gern versteckt wird. Lasergeschnittene
Elemente verkörpern sein Faible für KI-gesteuerte Techniken und 3D-gedrucktes Mobiliar.
Die von ihrer Verkleidung befreite Dunstabzugshaube in der Küche, der seinem öffentli-
chen Kontext enthobene, vandalensichere Waschtisch aus Edelstahl im Bad, Pflanztröge
in Form von Baumarkt-Euroboxen, stahlblaue Fliesen und Neonröhren vermitteln das
befremdliche Gefühl: Er ist tatsächlich gelandet, der Alien ...
080 • AIT 7/8.2024