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Entwurf • Design SuperSpatial, IT-Mailand
Bauherr • Client Officine Gullo
Standort • Location Piazza di Ognissanti 32/34, IT-Florenz
Nutzfläche • Floor space 230 m 2
Fotos • Photos Delfino Sisto Legnani, Alessandro Saletta, IT-Mailand
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Alt wie neu: Eine Raumstruktur aus den 1980ern ... • Ancient and new: A 1980s spatial structure ... ... wurde zeitgenössisch verkleidet und illuminiert. • ... covered and illuminated in a modern way.
von • by Kira Sophie Kawohl
K örperliche Arbeit, Besitzlosigkeit und Frugalität waren einst die Werte der Hu- durch die Positionierung der Treppe, eine subtile Verschiebung der Symmetrieachse.
Im markanten Widerspruch zu den architektonischen Prinzipien der Renaissance
miliaten, die sich im 13. Jahrhundert unweit des Flusses Arno niederließen, um
hier das Gotteshaus mit dem heutigen Namen San Salvatore di Ognissanti zu errich- wird der Besucher so zur unkonventionellen Durchwegung eingeladen. Formal kon-
ten. Generationen von Gläubigen beteiligten sich am Bau des Klosterkomplexes, lei- trastieren die klaren Linien, filigranen Profile und glatten Oberflächen der neu hin-
steten ihren Beitrag für alle Heiligen und Märtyrer, in der Hoffnung auf die Gnade zugefügten Elemente mit der gewachsenen historischen Textur. Durch das Beleuch-
des Erlösers, auf etwas Milde am Tag des Jüngsten Gerichts. In der Renaissancezeit tungskonzept der Lichtplaner von Viabizzuno erfährt dieser Kontrast noch zusätzliche
stifteten wohlhabende Florentiner Bürger für ihr Ansehen und Seelenheil. Bankiers Betonung: Wie zentralperspektivisch ausgerichtete Kompositionslinien lenken mo-
und Kaufleute wie die Vespucci beauftragten große Künstler – Ghirlandaio und Bot- derne schmale Lichtleisten an der Decke den Blick zur freskierten Apsis. In den
ticelli – mit der Ausgestaltung repräsentativer Familienkapellen. Weithin sichtbar Boden eingelassene Leuchten illuminieren das jahrhundertealte Mauerwerk.
zeugten ihre Wappen über den Altären von der weltlichen Macht dieser Familienun-
ternehmen, die das goldene Zeitalter der Stadt Florenz verantworteten. Für sie zu Neue Denkmalwerte durch Umnutzung und Einbindung
beten hieß, für das Wohl der Stadt, für das Wohl aller zu beten. Doch heute scheint
diese Frömmigkeit längst vergessen: Ausgerechnet im strenggläubigen Italien ist die Künftig soll die transformierbare, eingestellte Raumstruktur auch für Veranstaltungen
Zahl der Kirchenmitglieder in den vergangenen Jahrzehnten derart rapide gesunken, wie Kochevents und Ausstellungen sowie für temporäre Installationen genutzt wer-
dass die einzige Rettung der Sakralbauten häufig in ihrer Profanisierung liegt. den. Aktuell dient sie noch der Präsentation der Firmengeschichte anhand digitaler
Medien. Wie man hier übrigens lernt, passt die technische Wertigkeit der verwende-
Relikte aus Renaissance und Postmoderne ten Metalle auch gut zum materiellen Kosmos der Produkte von Officine Gullo, bei
deren Herstellung die traditionelle Metallverarbeitung mit modernen Technologien
Seit dem Frühjahr 2020 beherbergt die renaissancezeitliche Seitenkapelle am Borgo vereint wird. Insgesamt kann die stolze Darbietung eines Florentiner Traditionsbe-
Ognissanti daher nun den Showroom des Florentiner Luxusküchenherstellers Offi- triebes an eben diesem Platz als Rückbezug auf die Blütezeit des hiesigen Unterneh-
cine Gullo. Im Chor thront – quasi als Altartisch – eine rustikale Küchenzeile mit fron- mertums gedeutet werden. Dagegen bildet die Inszenierung eines Luxuskonsumguts
tal angeschlagenem Firmenwappen. Zum Sakrosankten erhöht, bildet sie den neuen einen scharfen Gegensatz zu den Werten der Armuts- und Bußbewegung, die hier in
räumlichen Höhepunkt. Im Zuge der Umnutzung wollten die Designer von SuperSpa- der Rückführung auf den rohen Urzustand des Bauwerks zelebriert wird. Es sind
tial, deren Gründungsmitglied Matteo Gullo gleichzeitig auch Direktor des besagten eben diese immer wieder erkennbaren Querverbindungen und Widersprüche, die
Küchenherstellers ist, die Kapelle soweit wie möglich in ihren ursprünglichen Zu- schließlich das architektonische und inhaltliche Konzept ganz reizvoll und ästhetisch
stand zurückführen, ohne aber nachträgliche bauliche Veränderungen zu negieren. ansprechend machen. Der rote Faden ist das subtile Zusammenspiel aus verbinden-
Hierfür ließen die drei Absolventen des Mailänder Polytechnikums die Wände und den und gegensätzlichen Momenten. Das erzeugt ein stimmiges Gesamtbild aus Alt
Fresken freilegen und eine nachträglich abgehängte Decke entfernen. Die im Zuge und Neu. Mehr noch: Im Zuge der denkmalgerechten, minimalinvasiven Revitalisie-
späterer Nutzungen installierten, unterschiedlichen Bodenniveaus sollten beibehal- rung konnten die historischen Werte erhalten und überdies neue Denkmalwerte ge-
ten, aber mit neuem Bodenbelag versehen und über vier schwarze, objekthaft ein- neriert werden. So bringt beispielsweise die zeitgemäße Umnutzung einen neuen
geschobene Stufen miteinander verbunden werden. Auch die in den 1980er-Jahren Gebrauchswert, die zeitgenössische Interpretation unterschiedlicher Baustile wie-
schräg in den Kirchensaal eingestellte Raumstruktur wurde in ihrer Form belassen, derum einen neuen Kunstwert mit sich. Das vorliegende Projekt kann demnach als
jedoch mit großflächig verschiebbaren Fensterflächen und glatten Aluminiumver- gelungenes Beispiel für nachhaltige Kirchenumnutzungen gelten, die angesichts der
bundplatten versehen. Der nun zeitgemäß interpretierte Einbau erzeugt, verstärkt stagnierenden Zahl der Kirchenbesucher vielerorts gebraucht werden.
AIT 1/2.2021 • 107