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Tano Muffler
1992 geboren 2018 M.Sc., Architektur und Stadtplanung, Uni Stuttgart
2015 Foster & Partners, London 2016 cheret bozic architekten, Stuttgart
2018 Projektleiter, Muffler Architekten, Tuttlingen/Stuttgart seit 2023 Partner
Im Erdgeschoss befinden sich alle bürgernahen Funktionen. • The ground floor is home to all the functions. Außen wie innen: Regionaler Holzbau modern interpretiert • A modern interpretation of timber construction
von • by Tano Muffler, Tuttlingen
D ie Entwurfsaufgabe stellte uns vor die grundlegende Frage nach dem angemessenen sowie die Außen- und Innenwände aufgesetzt. Die Dachkonstruktion gliedert sich in
Umgang mit der dörflichen Struktur Oy-Mittelbergs und der damit verbundenen eine äußere Sparrenlage aus Vollholzträgern sowie Leimholzbinder für die größeren
Gestaltung eines repräsentativen und zeitgemäßen Verwaltungsgebäudes. Städtebaulich Spannweiten im Giebelbereich. Dabei kommen lediglich circa 14 Kubikmeter Leimholz
schließt der Bau den St. Anna-Platz in westlicher Richtung giebelständig ab und geht zum Einsatz. Bauteile aus Vollholz machen einen deutlich höheren Anteil aus. Das Fas-
dabei eine Synergie mit dem Bestehenden ein. Die Orientierung an traditionellen Bau- sadenbild des schlichten und kompakten Hauses wird durch die klare Struktur einer
weisen – die damit assoziierte Materialwahl und technische Einfachheit – tragen zu einem vertikal angeordneten, hinterlüfteten Holzverschalung bestimmt, welche untergeordnete
Konzept bei, welches den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes von Herstellung über Fensteröffnungen bewusst überspielt. In der Gesamtbilanz gleichen die zum Einsatz
Nutzung bis hin zum Rückbau mitdenkt. Während der Konzeption verfolgten wir mehr kommenden Holzbauteile des Rohbaus, der Fassade sowie des Ausbaus den CO -Malus
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und mehr das Leitbild, ein Gebäude zu schaffen, das weder einen Kontrast zur bestehen- des massiven Stahlbetonrohbaus aus. Sämtliche Holzbauteile – hier als Rohware Fichte,
den Dorfmitte bildet, noch vorgibt, schon seit Generationen an Ort und Stelle verwurzelt Tanne und Weißtanne – stammen aus einem Umkreis von weniger als 50 Kilometern.
zu sein. Neu und doch so gestaltet, dass die Frage nach der Entstehungszeit des Hau-
ses uninteressant wird. Ein Haus für den zweiten Blick, in bestechender handwerklicher Gut durchdacht: der Innenraum und die Gebäudetechnik
Qualität, mit vertrauten Materialien, schönen Fügungen und einem klaren räumlichen
Konzept, das zum Verweilen einlädt. Aus der Verknüpfung des Gegebenen entwickelte Die Wandflächen der Flurtrennwände sind mit Weißtannenbrettern verschalt. Einzelne,
sich die Form: Ein Programm mit funktionalen Bezügen und ein aus dem Umfeld abge- vertieft eingebaute Bretter vermitteln historisch relevante Ereignisse der Gemeinde durch
leitetes Identitätsbild. Von der Dachfläche bis zum Gebäudesockel einheitlich bekleidet, fein gefräste Schriftzüge. Durch das Zusammenspiel der weißen Gipskartontrennwän-
bildet das Haus in seiner Grundstruktur einen homogenen Baukörper, der die Identität de und abgehängten Akustikdecken mit dem naturbelassenen, hellen Holz entstehen
der Gemeinde widerspiegeln soll. Der Haupteingang orientiert sich zum St. Anna-Platz, unaufgeregte Innenräume mit einer angenehmen Atmosphäre. Der Dachstuhl ist auch
ist zurückgesetzt, offen und einladend. Er bietet Wetterschutz und artikuliert eine trans- im Innenraum großflächig mit Holz verkleidet. Hier wurden für eine verbesserte Akustik
parente Beziehung zum Außenraum und den Bürgerinnen und Bürgern. Neben einem Holzlamellenelemente eingesetzt. In allen öffentlichen Bereichen im Erdgeschoss sind
Foyer nimmt das Erdgeschoss alle bürgernahen Funktionen auf. Eine lineare Haupt- die Bodenbeläge als geschliffene Estrichflächen mit regionalem Natursteinzuschlag aus-
treppe erschließt die Obergeschosse und stellt einen direkten Bezug zu den weiteren gebildet. Darüber hinaus kommt ein geölter Parkettbelag zum Einsatz. Entsprechend
Verwaltungsräumen her. Im Dachgeschoss eröffnet der Sitzungssaal einen weiten Blick der gewachsenen Bebauung sind die Fensteröffnungen auf ein notwendiges Maß redu-
über die Gemeinde und auf das Alpenpanorama. ziert. An allen Gebäudeseiten dienen mechanisch gesteuerte Textilscreens als außenlie-
gender Sonnenschutz. Für die Eindeckung der Satteldachflächen wurde beschichtetes
Konstruktion und Materialität – vom Sichtbeton zum Holz Aluminium-Stehfalzblech eingesetzt. Integrierte Schneefangrohre gehen auch hier auf
die örtlichen Gegebenheiten ein. Das Oberlicht integriert sich homogen in die Dachflä-
In Anlehnung an die traditionellen Allgäuer Giebelhäuser gliedert sich die tragende che und belichtet das obere Foyer vor dem Sitzungssaal mit Tageslicht. Grundsätzlich
Struktur des Gebäudes in zwei Bauweisen. Das Kellergeschoss mit Tiefgarage nimmt die wurde darauf geachtet, dass sämtliche Baukonstruktionen aus dauerhaften, biologisch
abfallende Topografie des Geländes auf und setzt sich als Massivbau bis zur Decke des unbedenklichen und ökologisch sinnvollen Materialien bestehen. Alle Materialent-
ersten Obergeschosses fort. So entsteht eine hohe Flexibilität im Bereich der Büro- und scheidungen wurden mit Blick auf deren Lebenszyklus getroffen und auch ohne die
Verwaltungsräume. Der vorgehängte Sichtbetonsockel bildet in Anlehnung an frühe- Wahl eines aufwendigen Zertifizierungsverfahrens interdisziplinär zwischen Bauherrn
re Putzsockel einen Witterungsschutz gegen aufsteigende Feuchtigkeit und die ortsty- und Planern abgestimmt. In vielen Bereichen kommen daher sortenreine Aufbauten
pischen hohen Schneelagen. Als Holzkonstruktion ausgeführt, werden der Dachstuhl zum Einsatz. Beschichtungen wurden vermieden, die Tiefgarage wurde auf einem ver-
AIT 12.2023 • 119