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REDINGS ESSAY

                                        BAUT BUNKER!






                                                            Ein Essay von Benjamin Reding


            I gitt, was für ein hässlicher Titel. Wer will schon Bunker? Diese schwarzen, verwit-  im Krieg) Dürers „Betende Hände“ oder Menzels „Flötenkonzert von Sanssouci“ oder
                                                                          Goethes „Faust“-Handschrift wirklich versteckt sein werden. Zu Kohls Zeiten, den
              terten Solitäre, immer zu groß, zu schroff, zu klobig, zu düster, Störenfriede im Stadt-
            bild, die kantig herumstehen, wie die Koffer derer, die sie nicht mehr rechtzeitig errei-  glücksberauschten Widervereinigungsjahren, hatten Bunker keine Konjunktur. All die
            chen konnten. Schweigende Erinnerung an angstgefüllte Nächte, an zu schwere, ver-  Regierungsbunker, Stasi-Bunker, NVA-Bunker, Hauptquartiere wurden überflüssig, ihre
            störende Begriffe: Gewalt, Leid, Tod. Niemand will Bunker! Oder? Vielleicht? Doch?   atomsicheren Tore standen offen. Junge Leute kamen und feierten ihre Technopartys
            Mutter riss uns zu Boden. Ohne Vorwarnung, plötzlich, mit überraschender Kraft. Ge-  in den vom Staatsapparat eilig zurück gelassenen Gemäuern oder richteten Ausstel-
            rade hielt noch Bundeskanzler Kohl auf der Mattscheibe des heimischen TV-Geräts eine  lungs- und Bandproberäume darin ein. Und Kunstsammler Christian Boros verwan-
            seiner immer etwas schwitzigen, unbekümmert-frohgemuten, immer mit dem „Sch“-  delte einen ehemaligen Reichsbahnbunker am Bahnhof Friedrichstraße, in der die
            Laut kämpfenden Reden zu „Deutschchland“ und der Wiedervereinigung und, rums,  DDR Kartoffeln lagerte und die Berliner Wendeszene Fetischpartys zelebrierte, sogar
            drückte uns unsere Mutter auf den frisch gesaugten Kurzflor-Teppichboden. „Das war...  in ein Kunstmuseum und setze, wie ein Fanal der neuen friedvollen Zeit, sein eigenes
            ein Tieffliegerangriff.“ Mutter raffte sich mühsam hoch, bemerkte Fernseher und Wohn-  Haus aufs Dach. Denn alle, im Westen wie im Osten, dachten, hofften, nein, waren
            zimmer und korrigierte sich: „... wie ein Tieffliegerangriff ... war das.“ Sie stammelte,  sich sicher, niemand bräuchte jemals wieder Bunker. Aber jetzt manchmal, wenn ich
            so, als sei ihr selbst unheimlich, was sie da eben behauptet und meinen Bruder und  Herrn Orbán reden höre, oder Herrn Kim oder Herrn Erdogan (die Reihe lässt sich nach
            mich zu Boden hatte reißen lassen. Tieffliegerangriff? Das klang so glaubwürdig und na-  eigenem Gusto ergänzen), wenn ich die neuesten Corona-Zahlen lese, von immer
            heliegend, als behaupte sie, über unserem Haus brenne ein Zeppelin oder in den Wip-  mehr Kriegen und gekündigten Abrüstungsverträgen lese,  ertappe ich mich dabei, mir
            feln der Gartenbäume habe sich eine Montgolfière verheddert. Natürlich, es war kein  einen Bunker zu wünschen. Mit dicken Mauern und dicken Türen und einer noch
            angreifender Tiefflieger, es war ein NATO-Phantom-                                     dickeren Filzdecke, die ich mir, im Falle eines Fal-
            Kampfjet. Die waren nicht weit entfernt stationiert                                   les, einfach über den Kopf ziehe und darunter alle
            und ihre jungen Piloten liebten es, riskante Kaprio-                                  Sorgen vergessen und verdrängen darf.
            len über den Vororten zu fliegen, manchmal bis                                         „Unser“ Bunker war inhaltlich weniger spektakulär,
            herunter in Baumwipfel- und, gefühlt, in Eigen-                                       optisch dafür spannender: Er stand am Stadtrand
            heimschornstein-Höhe. „Hinter Stuttgart, da wurde                                     und  ähnelte  einer  XXL-Version  eines  Porzellan-
            unser Zug vom Flugzeug beschossen.“ Wie zur Ent-                                      kaffeefilters. Unten so ein dicker, fensterloser, recht-
            schuldigung ihres seltsamen „Auftritts“, auch zur                                     eckiger Betonklumpen und oben ein 15 Meter hoher
            Selbstvergewisserung, noch unterscheiden zu kön-                                      Trichter, auch aus Beton. Einst ein Kohlebunker,
            nen zwischen Realität und verdrängter Erinnerung,                                     dann, im letzten Krieg, unten herum noch um viele
            erzählte sie kurzatmig, mit eiernder Stimme, von                                      Tonnen Beton verstärkt, ein Bunker für Menschen,
            einem wirklichen Tieffliegerangriff, erlebt als Klein-                                 dann der Proberaum unserer Band. Die dicken Mau-
            kind am Ende des letzten Krieges auf dem Weg in                                       ern hatten einen Vorteil: Man konnte draußen nicht
            den Schwarzwald. Der Zug wird beschossen, bleibt                                      hören, was drinnen vorging. Unsere Band wollte wie
            auf offener Strecke stehen, sie rennt davon, in die                                   die „Red Hot Chili Peppers“ klingen und ich wie An-
            Natur, das blühende Gebüsch am Bahndamm. Ihre                                         thony Kiedis singen, was uns aber beides nicht so
            Mutter wirft sich auf sie. Beide überstehen den An-                                   ganz gelang ... Eng und stickig war der Proberaum
            griff, anders als andere im Zug. Dann, als sei eine                                   und die Decke so niedrig, dass beim Singen Freu-
            Mauer gebrochen, ihre Wangen schon gerötet, ihre  Foto: Benjamin Reding               densprünge gefährlich wurden und mir regelmäßig
            sonst so ordentliche Frisur zerzaust, spricht sie von                                 Beulen bescherten. Eine schmale Stiege führte auf
            einem sich in vielen ihrer Nächte wiederholenden                                      den begehbaren Rand rund um den Trichter, aber
            Traum: Wieder Angriff, wieder Flugzeuge. Diesmal Bomben. Sie rennt wieder, jetzt zu  die Tür dahin war stets verschlossen. Den „brutalistischen“ (aber wir kannten das Wort
            einem Bunker. Die Bomben fallen schon, sie schafft es knapp, die schweren Stahltüren  nicht und sagten „abgeranzten“) Bunker-Style fanden wir cool. Kurz nach dem „Tiefflie-
            fallen hinter ihr zu. Sie hockt sich auf eine Holzbank, hört das Pfeifen der herabstürzen-  gerangriff“ in unserem Wohnzimmer hatten wir Bandprobe, aber ich kam zu früh und
            den Bomben, die Glühbirne flackert. Da geben die Mauern nach. Erde quillt in den  war allein. Die Tür zur steilen Treppe stand auf, zum ersten Mal. Oben roch die Luft nach
            Raum, das Licht erlischt, sie wird verschüttet. „Und das ist immer der Moment, an dem  Laub und Erde, das Teerpappendach war mit verschrumpelnden Herbstblättern be-
            ich aufwache.“ Mein Bruder und ich betrachteten unsere Mutter. Zwischen den kühl-  deckt, glitschig; vorsichtig ging ich voran. „Dat se mir nicht runterplumpsen!“, ich trat
            modernen Wohnzimmermöbeln, Fernseher und Stereo-Anlage, der abstrakten Kunst an  einen Schritt zurück, „Oder runterhoppen. Hat ma einer gemacht. So’n Döskopp.“ Ich
            der Wand klangen ihre Worte so entfernt, so fremd, als hätte jemand einen Volksemp-  drehte mich um: Ein älterer Mann im Blaukittel beäugte mich, kritisch, aber nicht un-
            fänger in einer Disco aufgestellt. Dann fasste sie sich, strich sich Haare und Kleidung  freundlich. „Ah, Sie sind von den Musikern?“ Ich nickte. „Musik hör ich auch, aba mehr
            glatt, ging in die Küche und kochte das Mittagessen, als sei nichts gewesen.  wat Lustiges.“ Er kniete auf der Dachpappe, schaufelt Blätter und Schlamm aus der Re-
            Nur drei Dingen wird das gesellschaftliche Privileg zugebilligt, dass für sie Bunker ge-  genrinne und war fast fertig damit. „Dat muss ja auch mal gemacht werden, wollich?!“
            baut werden: Kunst, Geld und Menschen. Für die Kunst machen es die Museen, für  Dann stand er auf. „Wenn Se wieda runta geh’n zieh’n Se die Tür fest zu, dann is die
            das Geld die Banken und für die Menschen das „Bundesamt für Bevölkerungsschutz  dicht.“ Er schob den schlammbefüllten Plastikeimer über sein Handgelenk und ent-
            und Katastrophenhilfe“ oder auch Privatleute im Keller oder Hintergarten. Bunkerbau  schwand im Treppenhaus. Das flache Dach war viel höher als erwartet. Der Blick ging
            war und ist eine diskrete Sache. In den Entwurfsplänen der Banken bleiben sie gerne  weit. Man sah die Stadt. Das Stadion, den Fernsehturm und auch die kleinen Straßen
            unerwähnt oder werden dezent „Lagerraum“ oder „Depot“ oder, etwas ehrlicher, „Tre-  und Wegchen, die Häuser, ihre Vorgärten, die geparkten Autos, den gemähten Rasen,
            sor“ tituliert, in den Stadtplänen werden sie aus Sicherheitsgründen prinzipiell nicht  das ganze Bauen, Basteln und Werkeln, und da fühlte ich: Dass das einzig Sinnvolle an
            eingezeichnet. Nur die Kunstdepots der Museen sind leidlich bekannt, aber ich weiß  Bunkern ist, dass man von ihren Dächern aus dem Gewusel der Menschen zusehen
            aus eigener Erfahrung: Nicht jeder soll und wird erfahren, wo im „Gefahrenfall“ (also  kann und dass dieses Gewusel gut ist. Und das denke ich, trotz allem, bis heute.

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