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REDINGS  ESSAY

                                                     RÖMISCHE




                                                             ZIEGEL






                                                                Ein Essay von Dominik Reding




               S  abine ist kein schlimmer Name, aber auch kein besonders exotischer. Er klingt ein  selbst bei Entwurf und Bau dabei gewesen. „Der Eintritt war für die oberen Klassen er -
                  biss chen brav, ein bisschen bieder, ordentlich und wohlanständig. Sabines helfen, Sa -
                                                                             schwing lich, aber die Armen sparten oft Monate dafür und kamen aus dem ganzen Römi -
               bines lernen, Sabines räumen auf. Schillern tun sie nicht. Kann es sein, dass man Drogen  schen Reich, nur um einmal in den Thermen zu baden. Dass Bäder einmal etwas so
               nimmt, weil man Sabine heißt? Weil man nicht brav, bieder, ordentlich und wohl an stän -  Besonderes waren, kann man sich gar nicht mehr vorstellen.“ Herr Kranz seufzte, als
               dig sein möchte? Sabine trug brave Sachen, hatte eine unauffällige Frisur, eine freundli -  bedaure er den Verlust dieses Mangels. Es dämmerte, es begann zu regnen, wir gingen.
               che, aber etwas tonlose Stim me, sie ging auf unsere Schule, sie half gern, lernte fleißig,  Auf den nassen Stufen der Spanischen Treppe machte Herr Kranz einen Vorschlag: „Ich
               hatte Leistungskurs Mathe bei Herrn Kranz und Bio bei Frau Sögel, spielte in der Handball-  kenne da eine wunderbare Taverne in der Via del Corso. Schmackhafte Pizza und günstige
               AG und schluckte eines Ta ges Trips. LSD. Das änderte nicht ihren Namen, aber vieles  Preise, wer kommt mit?“ Die Gruppe folgte. „No, I´m not sleeping outside!“ Eine Frau rief
               andere. Sie lernte nicht mehr Mathe, sondern Texte aus Hesses „Steppen wolf“, sie ging  es, angespannt, unten am Fuß der Treppe. Ich blieb stehen, schaute. Eine Wellblechhütte
               nicht mehr zur Schule, sondern morgens auf die Wiese davor, sie machte aus ihren Haaren  stand auf der Piazza, eine mobile Polizeiwache mit zwei Carabinieri davor, selbstbewusst
               Dreadlocks und kein Abitur und irgendwann verschwand sie aus un se rer Stadt. Es hieß,  in ihren blitzenden, überdekorierten Uniformen. Sie sprachen mit einer jungen Frau, oder
               sie sei in Köln, am Bahnhof, mit einem Rucksack und barfuß; sie sei in Griechenland in  nein, sie mehr mit ihnen, aufgeregt gestikulierend. „I have friends here, many friends. I
               einem Zelt am Strand; sie sei in Amsterdam, verkaufe selbst ge machten Schmuck auf  have places to go to.“ Sie trug einen speckig glänzenden Rucksack, zerschlissene Röcke
               dem Waterloo plein; sie sei in Indien, reise von Hostel zu Hostel, von Party zu Par ty, von  und ihre zerzausten Haare lugten unter einem flecki gen Kopftuch hervor. „Let me go, I´ll
               Strand bar zu Strandbar, von Freund zu Freund.                                           cause no trouble, let me go now.“ Etwas tonlos
               Dann brach die Ver bindung ab. „Ihr Abgang ist                                           klang die Stimme und ich erkannte sie wieder:
               be trüb lich“, sagte Herr Kranz.                                                         Sabine! Die Polizisten stellten sinnlose Fragen
               Das Hotel lag direkt neben dem Vatikan. Das las                                          und hör ten nicht auf die Antworten, betrach te -
               sich im Prospekt sehr aufregend, aber das Al ber -                                       ten sie, fasziniert und herausgefordert, wie Hun -
               go San Gottardo schaute auf eine schmale, von                                            de, die mit einem Ball spielen, den sie auch zer-
               Mülltonen und parkenden Autos  verstopfte                                                beißen könnten. Dann endlich, vielleicht, weil
               Straße und katzenbewohnte Hinterhöfe. Enge,                                              ich dazu ge kommen war, ließen sie sie ziehen.
               hohe, dunkle Zimmer, vollgestellt mit zu vielen                                          Sabine sah nicht nur wie ein Berber aus, sie
               Möbeln und schweren Betten, die reichlich Un -                                           roch auch so. „Mann, komm erst mal mit und
               wohlsein und Albträume  versprachen, aufge -                                             dusch dich!“ Oh, was hatte ich gesagt? Sie in
               reiht an Korridoren, in denen plüschige Sofas                                            unserem Hotel? Aber Sabine nickte, sagte
               nutzlos vor sich hin müffelten. Und so sehr man Abbildung: Holzstich der Caracallathermen, aus: Magasin Pittoresque, März 1882 / graphische Bearbeitung: Benjamin Reding  höflich ja und ging nun neben mir her. Sie
               sich auch aus den Fenstern reckte, von der Pe -                                          erzählte von Nepal, vom Trampen in Kath man -
               ters domkuppel  war nichts  zu sehen. Nur die                                            du, von freundlichen Mönchen und trick reichen
               Hotel badezimmer hatten,  zu aller Über ra -                                             Dieben. Vor dem Hoteleingang wartete ich eine
               schung, wahrhaft  römisches  Format: Wannen                                              Touristengruppe ab und schob mich mit Sabine
               aus schwarzem Marmor, fein geädert, glatt po -                                           dazwi schen. Nur nicht auffallen jetzt. „Sig -
               liert, der Boden aus weißen und goldenen Mo -                                            nore?!“ Der Herr an der Rezeption blickte zu uns
               saik steinchen  zu strengen Mustern arrangiert,                                          herüber. „Si?“ Meine Stimme vibrierte, ich ging
               die Wände mit Marmorplatten belegt. Wir zogen                                            weiter starr geradeaus, „Breakfast is served
               die Rollkoffer hinter uns her, besuchten uns in                                          until 10!“ „Ah, ja, Danke ... grazie!“, und er–
               den Zimmern, grinsten über die Ausblicke und                                             reichte mit Sabine den rettenden Fahrstuhl.
               bestaunten die üppigen Bäder. Dann gingen wir los, zu Fuß über die Engelsbrücke bis hi-  Sie ging kurz ins Bad, ich öffnete die Fenster, dann setzte sie sich aufs Bett, ganz selbst-
               nunter zum Pantheon. Aber nicht die Säulen, nicht den antiken Marmorboden, nicht Raf -  verständlich, als kenne sie das  Zimmer gut, kramte in  ihrem Rucksack, fand eine
               faels Grab und nicht einmal die Kuppel aus Beton sollten wir betrachten und fotogra fie -  Packung Zigaretten, rauchte nicht, redete. Die Erzählungen kreisten, wanderten, hin und
               ren, sondern die Ziegel. Denn dafür waren wir auf der Abi-Fahrt in Rom. Lehrer Kranz  her, ohne Ende, ohne  Ziel, unruhig,  wie ihr Blick. Dann nach immer neuen
               liebte die römischen Ziegel. Im Schulkeller ließ er sie nachbrennen, mit besessener Exakt -  Sprechanläufen, immer neuen Schleifen, Biegungen, Kurven, Erinnerungen, Ländern,
               heit, Sand aus Ostia, Kalk aus der Campagna, Muschelgehäuse aus dem Tiber. Fünf Tage  nach einer Weile, spät, endlich, schlief sie ein. Ich schloss die Tür, legte mich auf eins
               zogen wir durch die Stadt, von Kirche zu Kirche, von Ruine zu Ruine, von Palazzo zu Palaz -  der Plüschsofas im Flur und fiel trotz des Neonlichts in tiefen Schlaf. „Heyho!“ Sabine
               zo, dann endlich erreichten wir den Höhepunkt: „Mehr als fünf Millionen römische Ziegel  stieß mich an, in den frühen Morgenstunden. Sie hatte sich gewaschen, ihr Haar tropfte
               wurden hier verbaut!“ Herr Kranz reckte sich, zeigte auf zerfallene Mauerpfeiler und gab  und roch nach Shampoo. „So ein tolles Bad.“ Sie lächelte, ein bisschen ironisch, ein
               sein lexikalisches Wissen preis: „Die Gesamtanlage der Caracallathermen maß 110.000  bisschen wirklich überrascht. Dann schulterte sie ihren speckigen Rucksack, wickelte ihr
               Quadratmeter. Allein das Kaltwasserbad war 58 Meter lang, 24 Meter breit und über  Tuch um die Haare, drehte sich um und ging, unbemerkt, ohne zu winken. Schnell hatte
               20 Meter hoch. 252 Säulen trugen die Decken, 120 Skulpturen schmückten die Wände. Das  sie der römische Verkehr verschluckt. Und wir Reisende der Abiturfahrt trabten zum
               Warmwasserbad überspannte eine 35 Meter weite Kuppel aus Tonhohlkörpern, bis heute  Palatin, in die Baderäume der Domus Aurea. „Die Ziegeldecken dort sind einmalig“,
               die größte Konstruktion dieser Art weltweit.“  Wir hörten ihm zu und es klang, als sei er  sagte Herr Kranz und seine Wangen glühten vor Begeisterung.


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