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BÜRO UND VERWALTUNG • OFFICE BUILDINGS THEORIE • THEORY
Center in Lausanne begriffen und festgelegt wurden. Kaum ein anderes aktuelles Gebäude ist so präzise in der Lage, diese
Zusammenhänge als Bauwerk darzulegen. Die über 20.000 Quadratmeter erstrecken sich über ein eingeschossiges
Volumen, ja einen einzigen Raum. Dieser Raum schwingt durch zwei parallele Betonplatten auf und ab und bildet eine
Landschaft im Inneren hinter einer filigranen Glasfassade. Der Raum lädt ein zum Streunen und Flanieren und provoziert
durch seine Offenheit zufällige Begegnungen der Studenten und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen und sorgt so
für Austausch. Die eingeschossige Landschaft bildet Verkehrs- und Zwischenräume aus, die fließend ineinander und in
Begegnungsflächen und Kommunikationsflächen übergehen. Die fehlende Abgrenzung von Räumen schafft ein einziges
Gemisch aus möglichen Begegnungen, um die eine Hülle errichtet wurde. Mankönnte sagen, es handelt sich um einen
einzigen großen nutzbaren Zwischenraum, an den kleine Funktionsräume wie Bibliothek, Restaurant oder Info-Point
angegliedert sind. Eindeutig spielt der Zwischen- und Begegnungsraum die Hauptrolle im Gebäude und symbolisiert mit
der Namensgebung als „Learning Center“, wie Lernen heute funktioniert.
Wie kann räumliche Gestaltung kreatives Handeln unterstützen?
Lernen und Studieren im Sinne eines kreativen Vorgangs des Schaffens von neuem Wissen und des Austauschs zum
Zwecke der Innovation basiert auf der zufälligen Begegnung. In einen kausalen Zusammenhang gebracht, bestätigt dies
Fotos: Gordon Koelmel / Nimbus Group (2) informelle ungeplante Begegnung – intuitive Entscheidungsfindung – kreativer Impuls. Es handelt sich beim Rolex
die Hypothese vom Zusammenhang zwischen dem Zwischenraum und dem kreativen Impuls: Zwischenraum –
Learning Center um einen Lernort an einer Universität und nicht um ein Bürogebäude im üblichen Sinn. Trotzdem
lassen sich bestimmte Phänomene durchaus von der einen Kategorie in die andere übertragen, denn die Ausgangsfrage
ist dieselbe: Wie kann ich kreatives Handeln durch räumliche Gestaltung unterstützen? Insofern gibt dieses Gebäude
Mitarbeitern unterstützen kann. Kreativität und Innovation entstehen bei einem ausgewogenen Verhältnis zwischen
intuitivem und rationalem Arbeiten, wenn es räumliche Möglichkeiten gibt, für die jeweilige Tätigkeit die richtige
Schneller Informationsaustausch • Faster exchange of information als Innenraum einige gute Hinweise darauf, wie man in einem Bürokonzept den kreativen Austausch zwischen den
Umgebung zu finden. Weder die lustigen Büro-ist-Freizeit-Büros noch die rationalisierten Arbeit-ist-ernst-Büros unter-
stützen diesen Dualismus. Eine moderne Büro-umgebung für kreatives Arbeiten sollte neben einer Vielzahl von ver-
schiedenen Bürowelten auch das Wandern zwischen diesen unterstützen, wenn ein kreatives Arbeiten erwartet wird.
Bewegungsräume sind die wichtigsten Orte für informelle Meetings
Unser Vorgehen basiert auf der Idee der Dualität der Systeme mit dem Fokus auf den Räumen zwischen diesen
Systemen. Denn gerade zwischen den unterschiedlichen Bürowelten, bestehend aus Arbeitsplätzen und
Besprechungsbereichen, gibt es Bewegungsräume. Diese Bewegungsräume sind ein grundlegender Baustein einer jeden
Büroarchitektur, neben den Infrastrukturräumen wie Teeküche, Drucker oder Serverraum oder Lager. Gerade die
Bewegungsräume sind die wichtigsten Orte für informelle Meetings, für spontane Begegnungen und für ungeplantes
Aufeinandertreffen. Diese Zwischenräume unterstützen damit unsere intuitive Intelligenz, unsere Intuition und sollten
deshalb stärker in das Bewusstsein von Planern, Bauherren und Unternehmen rücken. In diesen Zwischenräumen
benötigen wir als Pendant zu aufgeräumten Büros und Besprechungsräumen das chaotische Umfeld, in dem nicht alles
organisiert ist und Dinge zufällig passieren können: Treppenhaus, Flur, Vorraum von WCs, vor den
Besprechungsräumen, an der Empfangstheke, zwischen den Projektgruppen, auf dem Weg zur Küche, in der
Raucherecke, vor dem Aufzug, im Aufzug, im Windfang, in der Bibliothek. Diese Zwischenräume sollten als Orte so
gestaltet werden, dass sie in der Lage sind, zufällige Begegnungen von Mitarbeitern temporär aufzunehmen.
Bewegungsräume sind überall. • Movement spaces are everywhere.
Möblierung, Oberflächen und Licht müssen entsprechend den speziellen Anforderungen der Zwischenräume so
angepasst werden, dass diese als neue funktionale Orte erwandert und erkundet werden können. Damit lassen sich
die Bedingungen schaffen, die Voraussetzungen für Kreativität im Büro sind, wenn man diese Vorausset zungen aus den
Erkenntnissen der Kreativitätsforschung ableitet. Mit dem bewussten Umgang mit Kollisionen und den Orten dafür
ergibt sich die Chance, den Bereich der Spekulation über kreatives Arbeiten in der Planung des Büroumfeldes zu ver-
lassen und sich auf fundierte Erkenntnisse zu stützen. Denn woher wissen wir sonst ob die gewünschten Effekte einer
Büroumgebung in der Umsetzung tatsächlich greifen werden. Bisher machen sich laut Ben Waber und seinen Kollegen 1
noch sehr wenige Unternehmen fundiert darüber Gedanken, ob die Gestaltung ihrer Büroräume die Performance der
Mitarbeiter eher fördert oder behindert – dabei hätten sie alle Möglichkeiten dazu.
D uring my investigations about creativity in offices, I came across an article by Ben Waber, Jennifer Magnolfi and
Greg Lindsay on the topic of workplace design. In this article, they used the term “collisions” to describe the spon-
taneous encounters of employees in a company. In an increasingly digital working environment, meetings of employees
are again attributed a value and sense. Here, several interesting and fundamental questions arise: Are the impacts on
the processes in the company and the impacts of these collisions predictable and reviewable? Can they actually help
to initiate innovations and promote creative work in the company? A lot has been said about creative work. It is sup-
posed to be the future. The future for many employees and for many companies. No new developments without cre-
ative work. No changed processes in the office environment, and no new developments and innovations.
Human decision-making systems: intuitive and conscious thinking
Being creative means making decisions. Therefore it is first of all advisable to learn more about our decision-making
behaviour. Daniel Kahneman has studied it and found out that human beings have two different decision-making sys-
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