Page 160 - AIT1016_E-Paper
P. 160

BÜRO UND VERWALTUNG  •  OFFICE BUILDINGS THEORIE • THEORY

                                                        Center in Lausanne begriffen und festgelegt wurden. Kaum ein anderes aktuelles Gebäude ist so präzise in der Lage, diese
                                                        Zusammenhänge als Bauwerk darzulegen. Die über 20.000 Quadratmeter erstrecken sich über ein eingeschossiges
                                                        Volumen, ja einen einzigen Raum. Dieser Raum schwingt durch zwei parallele Betonplatten auf und ab und bildet eine
                                                        Landschaft im Inneren hinter einer filigranen Glasfassade. Der Raum lädt ein zum Streunen und Flanieren und provoziert
                                                        durch seine Offenheit zufällige Begegnungen der Studenten und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen und sorgt so
                                                        für Austausch. Die eingeschossige Landschaft bildet Verkehrs- und Zwischenräume aus, die fließend ineinander und in
                                                        Begegnungsflächen und Kommunikationsflächen übergehen. Die fehlende Abgrenzung von Räumen schafft ein einziges
                                                        Gemisch aus möglichen Begegnungen, um die eine Hülle errichtet wurde. Mankönnte sagen, es handelt sich um einen
                                                        einzigen großen nutzbaren Zwischenraum, an den kleine Funktionsräume wie Bibliothek, Restaurant oder Info-Point
                                                        angegliedert sind. Eindeutig spielt der Zwischen- und Begegnungsraum die Hauptrolle im Gebäude und symbolisiert mit
                                                        der Namensgebung als „Learning Center“, wie Lernen heute funktioniert.

                                                        Wie kann räumliche Gestaltung kreatives Handeln unterstützen?

                                                        Lernen und Studieren im Sinne eines kreativen Vorgangs des Schaffens von neuem Wissen und des Austauschs zum
                                                        Zwecke der Innovation basiert auf der zufälligen Begegnung. In einen kausalen Zusammenhang gebracht, bestätigt dies
               Fotos: Gordon Koelmel / Nimbus Group (2)  informelle ungeplante Begegnung – intuitive Entscheidungsfindung – kreativer Impuls. Es handelt sich beim Rolex
                                                        die Hypothese  vom  Zusammenhang zwischen dem  Zwischenraum und dem kreativen Impuls:  Zwischenraum –
                                                        Learning Center um einen Lernort an einer Universität und nicht um ein Bürogebäude im üblichen Sinn. Trotzdem
                                                        lassen sich bestimmte Phänomene durchaus von der einen Kategorie in die andere übertragen, denn die Ausgangsfrage
                                                        ist dieselbe: Wie kann ich kreatives Handeln durch räumliche Gestaltung unterstützen? Insofern gibt dieses Gebäude

                                                        Mitarbeitern unterstützen kann. Kreativität und Innovation entstehen bei einem ausgewogenen Verhältnis zwischen
                                                        intuitivem und rationalem Arbeiten, wenn es räumliche Möglichkeiten gibt, für die jeweilige Tätigkeit die richtige
               Schneller Informationsaustausch • Faster exchange of information  als Innenraum einige gute Hinweise darauf, wie man in einem Bürokonzept den kreativen Austausch zwischen den
                                                        Umgebung zu finden. Weder die lustigen Büro-ist-Freizeit-Büros noch die rationalisierten Arbeit-ist-ernst-Büros unter-
                                                        stützen diesen Dualismus. Eine moderne Büro-umgebung für kreatives Arbeiten sollte neben einer Vielzahl von ver-
                                                        schiedenen Bürowelten auch das Wandern zwischen diesen unterstützen, wenn ein kreatives Arbeiten erwartet wird.
                                                        Bewegungsräume sind die wichtigsten Orte für informelle Meetings


                                                        Unser Vorgehen basiert auf der Idee der Dualität der Systeme mit dem Fokus auf den Räumen zwischen diesen
                                                        Systemen. Denn gerade zwischen den unterschiedlichen Bürowelten, bestehend aus  Arbeitsplätzen und
                                                        Besprechungsbereichen, gibt es Bewegungsräume. Diese Bewegungsräume sind ein grundlegender Baustein einer jeden
                                                        Büroarchitektur, neben den Infrastrukturräumen  wie Teeküche, Drucker  oder Serverraum oder Lager. Gerade die
                                                        Bewegungsräume sind die wichtigsten Orte für informelle Meetings, für spontane Begegnungen und für ungeplantes
                                                        Aufeinandertreffen. Diese Zwischenräume unterstützen damit unsere intuitive Intelligenz, unsere Intuition und sollten
                                                        deshalb stärker in das Bewusstsein von Planern, Bauherren und Unternehmen rücken. In diesen Zwischenräumen
                                                        benötigen wir als Pendant zu aufgeräumten Büros und Besprechungsräumen das chaotische Umfeld, in dem nicht alles
                                                        organisiert ist und Dinge zufällig passieren können: Treppenhaus, Flur,  Vorraum  von WCs,  vor den
                                                        Besprechungsräumen, an der Empfangstheke, zwischen den Projektgruppen, auf dem Weg zur Küche, in der
                                                        Raucherecke, vor dem Aufzug, im Aufzug, im Windfang, in der Bibliothek. Diese Zwischenräume sollten als Orte so
                                                        gestaltet werden, dass sie in der Lage sind, zufällige Begegnungen  von Mitarbeitern  temporär  aufzunehmen.
               Bewegungsräume sind überall. • Movement spaces are everywhere.
                                                        Möblierung, Oberflächen und Licht müssen entsprechend den speziellen  Anforderungen der  Zwischenräume so
                                                        angepasst werden, dass diese als neue funktionale Orte erwandert und erkundet werden können. Damit lassen sich
                                                        die Bedingungen schaffen, die Voraussetzungen für Kreativität im Büro sind, wenn man diese Vorausset zungen aus den
                                                        Erkenntnissen der Kreativitätsforschung ableitet. Mit dem bewussten Umgang mit Kollisionen und den Orten dafür
                                                        ergibt sich die Chance, den Bereich der Spekulation über kreatives Arbeiten in der Planung des Büroumfeldes zu ver-
                                                        lassen und sich auf fundierte Erkenntnisse zu stützen. Denn woher wissen wir sonst ob die gewünschten Effekte einer
                                                        Büroumgebung in der Umsetzung tatsächlich greifen werden. Bisher machen sich laut Ben Waber und seinen Kollegen 1
                                                        noch sehr wenige Unternehmen fundiert darüber Gedanken, ob die Gestaltung ihrer Büroräume die Performance der
                                                        Mitarbeiter eher fördert oder behindert – dabei hätten sie alle Möglichkeiten dazu.

                                                        D   uring my investigations about creativity in offices, I came across an article by Ben Waber, Jennifer Magnolfi and
                                                            Greg Lindsay on the topic of workplace design. In this article, they used the term “collisions” to describe the spon-
                                                        taneous encounters of employees in a company. In an increasingly digital working environment, meetings of employees
                                                        are again attributed a value and sense. Here, several interesting and fundamental questions arise: Are the impacts on
                                                        the processes in the company and the impacts of these collisions predictable and reviewable? Can they actually help
                                                        to initiate innovations and promote creative work in the company? A lot has been said about creative work. It is sup-
                                                        posed to be the future. The future for many employees and for many companies. No new developments without cre-
                                                        ative  work. No changed processes in the office environment, and no new developments and innovations.

                                                        Human decision-making systems: intuitive and conscious thinking

                                                        Being creative means making decisions. Therefore it is first of all advisable to learn more about our decision-making
                                                        behaviour. Daniel Kahneman has studied it and found out that human beings have two different decision-making sys-



               160  •  AIT 10.2016
   155   156   157   158   159   160   161   162   163   164   165