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Mark N. Phillips
geboren in GB-Basingstoke bis 1998 Studium der Architektur an der Universität Kaiserslautern, in Glasgow, Rom und Atlanta seit 1998 verschiedene freiberufliche Projekte und Lehraufträge
2011–2012 Vertretung an der HfT Stuttgart 2012 Professor für experimentellen Raum an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Coburg seit 2014 Forschungsgebiet im Bereich von
Büroumgebungen und wie die Gestaltung dieses Umfeldes ein kreatives Arbeiten beeinflusst seit 2015 unterstützt Interior Design Director bei ORANGE BLU building solutions in Stuttgart
2016 Forschungsarbeit „Kollisionen – Raum für Kreativität und Innovation im Büro“
gestaltetes Büroumfeld mitbringen sollte, damit man dort kreativ arbeiten kann. Das kann dann geschehen, wenn die
richtigen Schlüsse aus der Betrachtung von Bedingungen für die Entstehung von Kreativität gezogen werden. Diese
Schlüsse kann man dann anwenden auf Räume und Orte, die in Büros vorhanden sind, geplant werden oder noch zu
entdecken sind. Ziel sollte es dabei sein, auf einer gesicherten Grundlage einen kausalen Zusammenhang zwischen den
Bedin gungen für Kreativität und dem Umfeld im Büro zu entwickeln. Räume, die so gestaltet werden, dass sie die
Bedingungen für Kreativität unterstützen, machen kreatives Arbeiten erst möglich. Erkenntnisse der Kreativitäts -
forschung aus der Psychologie und den Neurowissenschaften über Zusammenhänge von Körper und Geist sowie men-
schliches Verhalten sollten dazu vermehrt Einzug in die räumliche Gestaltung der Büroumgebung finden können. Denn
es gibt einen Zusammenhang zwischen den Erkenntnissen der Kreativitätsforschung und der Büroplanung. Daraus
kann abgeleitet werden, welche Bedingungen in einem Büro herrschen sollten, damit kreatives Arbeiten möglich ist.
Menschliche Entscheidungssysteme: inutitives und bewusstes Denken
Kreativ sein bedeutet, Entscheidungen zu treffen. Daher ist es zuerst einmal angebracht, unser Entscheidungs verhalten
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kennenzulernen. Daniel Kahneman hat dieses untersucht und festgehalten, dass wir Menschen zwei unterschiedliche
Entscheidungssysteme haben, die sich gegenseitig kontrollieren. Ist uns bekannt, welches dieser Systeme bei welcher
Aufgabe tatsächlich die Entscheidung trifft? Nein, sagt Kahneman und erhielt dafür den Wirtschaftsnobelpreis. Es ist
uns auch unbekannt, welches dieser Systeme für welche Aufgabe besser geeignet ist. Er weist diesen beiden Systemen
Die Kommunikation zu fördern, war ... • Promoting communication was ...
die Eigenschaften schnell beziehungsweise langsam zu und erläutert sie als intuitiv beziehungsweise rational gesteuert.
Kahnemans Aussage zu den Systemen der Entscheidungs findung lohnt eine nähere Betrachtung. In der Einleitung zu
seinem Buch „Schnelles Denken – langsames Denken“ schreibt er: „Zahlreiche Psychologen haben in den letzten 25
Jahren die Unterschiede zwischen schnellem und langsamem Denken erforscht. Aus Gründen, die ich im nächsten
Kapitel ausführlicher darlege, beschreibe ich mentale Prozesse mit der Metapher von zwei Agenten, System 1 und
System 2 genannt, die jeweils schnelles und langsames Denken erzeugen. Ich spreche von den Merkmalen intuitiven
und bewussten Denkens, als handele es sich um Merkmale und Dispositionen von zwei Figuren in unserem Geist. Die
jüngsten Forschungen deuten darauf hin, dass das intuitive System 1 einflussreicher ist, als dies nach unserem subjek-
tiven Erleben der Fall zu sein scheint, und es ist der geheime Urheber vieler Entscheidungen und Urteile, die wir tref-
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fen.“ Die Aussagen und Beispiele von Kahneman in seinem Buch sind insbesondere dann von großem Interesse, wenn
man davon ausgeht, dass Kreativität etwas mit Entscheidungen und somit mit schnellem und langsamem Denken zu
tun hat. Denn durch die beiden Systeme werden ja Entscheidungen vorbereitet beziehungsweise getroffen, das heißt,
gerade hier entsteht etwas Neues. Dieses Neue entsteht aus uns heraus, also aus unseren eigenen Denksystemen – der
intuitiven und rationalen Intelligenz. Kreativität bedeutet „... sich Neuem und Unbekannten aktiv zuzuwenden, offen
zu sein für Lernsituationen, Sachverhalte aus immer neuen Blickwinkeln zu betrachten und sich eigene Lernstrategien
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zu schaffen.“ Bei der Büroplanung gibt es vier grundsätzliche Raumgruppen: 1. der klassische Arbeitsplatz, 2. der
Kommunikations- und Besprechungsraum, 3. der Infrastrukturraum und 4. der Zwischenraum. Die Kreativitäts-
forschung hat gezeigt, dass spontane Impulse, das Zulassen von Unbekanntem und die Offenheit gegenüber
Unbekanntem für Kreativität und Innovation notwendig sind. Kreatives Arbeiten im Büro - und damit die Aktivierung
.... eine zentrale Vorgabe des Entwurfes. • .... a demand on the design.”
unseres intuitiven Entscheidungssystems als kreatives System – ereignet sich insbesondere in der Raumgruppe
Zwischenraum. Denn dort finden die zufälligen Begegnungen statt, die wir als Impuls von außen für Kreativität und
Innovation benötigen. Diese Art von Räumen haben - aufgrund ihrer Struktur als Ort für zufällige Begegnungen im Sinne
von Kollisionen - einen maßgeblichen Einfluss auf die Bedingungen für kreatives Arbeiten im Büro. Denn es kann fest-
gehalten werden, dass spontane Begegnungen im Büro in Zwischenräumen die intuiti ven Systeme des Menschen unter-
stützen und befördern können. Damit kommt der aktiven und bewussten Gestaltung dieser Räume ein entscheidender
Beitrag bei kreativen Tätigkeiten und beim Innovationsprozess zu.
Das Rolex Learning Center von Sanaa provoziert zufällige Begegnungen
„Der Wissbegierige ist hier als Wanderer begriffen, der den Zufall zu nutzen versteht und es schätzt, mit Angehörigen der
verschiedensten Fächer ins Gespräch zu kommen. Das ist ein Gebäude für die Anforderungen der Bologna-Reform",
erläuterte Patrick Aebischer, der Präsident der ETH Lausanne, den versammelten Journalisten anlässlich des Neubaus des
Rolex Learning Center in Lausanne. „Die Kommunikation zu fördern, sei eine zentrale Vorgabe des Wettbewerbs gewesen,
ergänzte Kazuyo Sejima, die mit Ryue Nishizawa zusammen das japanische Büro Sanaa leitet, das sich mit seinem
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Vorschlag in einem hochrangigen Bewerberfeld durchgesetzt hat.“ Dieses Zitat aus der Zeitschrift art unter der Fotos: Alain Herzog (2)
Überschrift „Eine Bibliothek zum Flanieren“ zeigt auf, wie die Zusam menhänge von Raum, Zufall, Begegnung, Intuition,
Interdisziplinarität und Innovation durch den Bauherrn und das Architekturbüro Sanaa beim Neubau des Rolex Learning
AIT 10.2016 • 159