Page 112 - AIT0925_E-Paper
P. 112
VERKAUF UND PRÄSENTATION • RETAIL AND PRESENTATION THEORIE • THEORY
Und in der Kunst verschob sich der Fokus nach New York: Jackson Pollock (1912–1956) fertigte großfor-
matige Werke im Drip-Painting-Verfahren, Mark Rothko (1903–1970) malte ineinander verschwimmende,
monochrome Farbflächen, und Pierre Soulages (1919–2022) brachte Licht in seine schwarzen Gemälde.
Emotionen waren wichtiger als Motive. Zur selben Zeit regten sich in Paris die Existenzialisten: Jazzkel-
ler, Rollkragen und Zigarettenrauch. Schwarz wurde zum Symbol – intellektuell und zurückgenommen.
Die Schauspielerin Audrey Hepburn (1929–1993) brachte diesen Look im Film „Funny Face“ (1957) auf
die Leinwand. Die amerikanische Modedesignerin Donna Karan gestaltete den Rollkragenpullover für
die Großstadt. Apple-CEO Steve Jobs (1955–2011) trug ihn wie eine Uniform – gefertigt vom japanischen
Modeschöpfer Issey Miyake (1938–2022). Und dann regte sich plötzlich Protest auf der Straße: Ende der
1960er-Jahre marschierte die sozialistisch-revolutionäre „Black Panther Party“ in militärischem Stil, um
im Interesse der afroamerikanischen Bevölkerung bewaffneten Widerstand gegen die gesellschaftliche
Unterdrückung zu leisten. Ihre Mitglieder trugen schwarze Jacken, Baretts und Sonnenbrillen. Dabei war
ihre Kleidung mehr als nur ein Look: Sie war Ausdruck von Selbstbewusstsein und „Black Power“. Ein
Jahrzehnt später entstand als Reaktion gegen gesellschaftliche Normen und Konventionen zuerst in New
York und dann in London die Jugendkultur und Musikrichtung Punk: zerrissene, schwarze Mode, Dr.
Martens, Do it yourself statt Couture. Der Frust hatte seine Wurzeln in Arbeits- und Perspektivlosigkeit
einer Generation: „No Future“ wurde zur Haltung, Wut wurde zur Uniform. Zwei Kleidungsstücke, ein
Code: Rollkragen und Lederjacke. Intellekt und Rebellion – beide in Schwarz.
Pierre Soulages fing mit Schwarz das Licht ein. • Pierre Soulages captured light through black. Intellectual Black
Anfang der 1980er-Jahre kamen mit DesignerInnen wie Rei Kawakubo, Issey Miyake oder Yohji Yamamo-
Schwarz: Zeichen von Unabhängigkeit, Intellekt, Coolness • independence, intellect, coolness to neue Linien aus Japan auf. Ihre Entwürfe widersprachen allem, was Mode bis dahin ausmachte: Es
gab keinen Glamour, keine Betonung der Figur und keine Symmetrie, sondern vielmehr Hüllen, Schat-
ten, verwaschene Flächen und offene Nähte. Ihr Schwarz war Sabotage: Es war gegen Konventionen und
gegen das Gefällige. Geprägt war diese Ästhetik von Wabi-Sabi, der Schönheit des Unvollkommenen,
und zog eine Szene an, die sich nicht ausstellen wollte: DenkerInnen, KünstlerInnen und ArchitektIn-
nen. Keine Logos, nur Präsenz. Und während Yves Saint Laurents „Le Smoking“ von 1966 ein Statement
für Klarheit und Form war, machte Grace Jones in diesem Jahrzehnt daraus ein Bild neuer Schönheit:
androgyn, kraftvoll, schwarz. In den 1990er-Jahren etablierte sich Schwarz schließlich im Rahmen eines
neuen Minimalismus: Die Entwürfe von Helmut Lang, Jil Sander und Miuccia Prada standen für elegante
Strenge und funktionale Schönheit. Besonders in der Kunst- und Architekturszene wurde dieser Look zur
bewussten Wahl: keine Ablenkung, kein Überfluss. Schwarz passte in den White Cube, ins Büro und aufs
Podium – eine Uniform für alle, die mit Inhalt überzeugen wollten.
Community in Black
In den 1960er-Jahren wurde Schwarz politisch. • In the 1960s, black became political. Parallel zur intellektuellen Strenge entstand auf der Straße mit dem Hip-Hop eine eigene Sprache. Die
US-Band Run-D.M.C. gab mit schwarzen Lederjacken, weißen Adidas-Sneakern und Goldketten den Ton
an. Kein Understatement, sondern Präsenz: Baggy Pants, Basketballtrikots und „Bling-Bling“ waren State-
ment und Zugehörigkeit zugleich. Farbcodes? Oft Tiefschwarz mit Schneeweiß – ein Kontrast, der in
Amsterdam noch streng war, erfuhr nun eine urbane Aufladung. Adidas und Nike erkannten diese Codes
und machten sie global bekannt: Was in der Bronx begann, lief bald über die Laufstege. Doch das Ori-
ginal blieb: Schwarz als Haltung, Weiß als Echo. Darunter pulsierte die Clubkultur: House, Techno und
Queerness in Detroit, Chicago und Berlin. In Clubs wie dem Berghain wurde Schwarz zum Eintrittscode.
Nicht, um aufzufallen, sondern um zu verschwinden: Licht, Sound, Körper – und Schwarz als Hülle.
Schwarz als Projektionsfläche
Was sagt Schwarz also? Vielleicht so viel, weil es sich entzieht. Schwarz ist nie nur eine Farbe, sondern
auch ein Ausdruck von Macht oder Protest, Schutz oder Präsenz, Eleganz oder Widerstand. Klar und
offen. Schwarz lenkt nicht ab, es lässt Raum. Es wirkt nicht, weil es laut ist, sondern weil es zurücktritt.
Ich glaube nicht, dass ArchitektInnen Schwarz tragen, weil es eine Regel ist, sondern weil Schwarz nichts
vorgibt – und doch alles erlaubt. Vielleicht, weil Schwarz nicht fertig ist. So wie wir.
Buchtipp
Illustrationen: Marcel Rijkse, Berlin Why Do Architects Wear Black?
Herausgegeben von Cordula Rau.
Erschienen 2025 im Birkhäuser Verlag, Basel.
Englisch. 292 Seiten. Softcover. Format: 10,5 ² 15 cm. 26,00 EUR.
112 • AIT 9.2025 ISBN 978-3-0356-2948-4