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Grit Bauer-Revellio
1924 geboren in Stuttgart-Bad Cannstatt 1942 Architekturstudium TH Stuttgart 1949 Architekturdiplom bei Rolf
Gutbrod 1952 Wettbewerbsgewinn GEDOK-Wohn- und Atelierhaus in Stuttgart 1955 Einweihung GEDOK-Haus 1956
Heirat mit Fritz Revellio 1959 Auszeichnung GEDOK mit Paul-Bonatz-Preis 2013 gestorben in Stuttgart
Abbildung: Archiv der GEDOK Stuttgart Abbildung: Archiv der GEDOK Stuttgart
Ausstellungsraum im GEDOK-Haus, 1955 • Exhibition room in the GEDOK building, 1955 Südfassade des GEDOK-Hauses, 1955 • South façade of the GEDOK building, 1955
von • by Kerstin Renz
S tudenten antreten zum Räumen“, so hieß es nach 1945 in vielen deutschen Städten. Trümmer räumen und Steine klopfen
Eine der Zugangsvoraussetzungen zum Studium nach dem Zweiten Weltkrieg war
die Teilnahme an den Aufräumarbeiten auf dem Hochschulgelände. Das Trümmer räu- ebneten den Weg zur Immatrikulation
men, Material sortieren, Steine klopfen ebnete für Frauen wie für Männer den Weg zur
Immatrikulation. Auch für die 1924 in Stuttgart-Bad Cannstatt geborene Grit Bauer wurde
das Aufräumen nach dem Krieg zum Eintrittsbillett für ein Studium an der Technischen
Hochschule ihrer Heimatstadt. Hier wollte sie nur eines: Architektin werden. Und sie
kann te sich aus. Der Vater Ludwig Bauer war gelernter Architekt und Eigentümer des Monaten unterbrach die „Nicht-Normalstudentin“ Grit Bauer das Studium. Doch schon
gleich namigen bekannten Bauunternehmens mit Sitz in Stuttgart, seit den 1910er-Jahren im Wintersemester 1945 erwarb sie den anfangs beschriebenen Berech ti gungsschein, um
war die Firma gut im Geschäft. Stahlbetonbau war das Spezialgebiet, die Firma war als weiterzumachen. Die sogenannte „Stuttgarter Schule“ war bei Frauen schon vor 1945 kein
innovativ und zuverlässig bekannt. Man baute mit und für die „Großen“ im Südwesten, besonders beliebter Studienort, möglicherweise spielte hierbei die dort enge Ver zahnung
für Theodor Fischer und Paul Bonatz, aber auch für Hitlers Autobahn den Belag und so von Architektur und Ingenieurbau eine Rolle. Doch Grit Bauer, die dieses Mitein ander
manche Brücke. Die Bauer’sche Unternehmervilla, schon 1928 von Bonatz gebaut, war schon aus dem heimischen Unternehmen kannte, begab sich in die Höhle der Löwen. An
ein gut sichtbares Statussymbol in Stuttgarter Halbhöhenlage. Vier Kinder zählte die der Fakultät zog es sie zu den Neuerern hin: zur Baukonstruktions lehre von Günter
Familie, Grits Schwester wurde Journalistin, der ältere Bruder Reinhard studierte und pro- Wilhelm mit seiner Auslandserfahrung und seiner ruhig-bestimmten Detail versessenheit,
movierte im Bereich Bauingenieurswesen und wurde ein gefragter Stahl baufachmann, zur weltoffenen Entwurfshaltung des Gebäudelehrers Rolf Gutbrod, zur politisch unbe-
der jüngere Bruder Heinz sollte Architekt werden und für Grit war zu nächst die Rolle der quemen und vielfach radikalen Stadtplanungslehre von Richard Döcker. 1949 machte sie
Innenarchitektin vorgesehen. ihr Diplom bei Gutbrod – wie so viele andere auch, die fest an die künstlerische Seite des
Architektenberufes glaubten. Und dann kam das, was nach diesem Studienverlauf kom-
Weibliche Studenten wurden nicht wirklich ernst genommen men musste: Die selbstbewusste Diplom-Ingenieurin der Architektur trat nicht in das
väterliche Unternehmen ein, sondern wollte sich fortan selbst durchschlagen – wie sich
Doch es kam anders: Der künstlerisch begabte Heinz starb an der Front und Grit wollte eine Unternehmerstochter eben so durchschlägt. Nach ersten sozialversicherungsfreien
sich nicht mit der Rolle der Farb- und Lichtkünstlerin zufriedengeben. Nach dem Abitur Gehversuchen als sogenannte „Selbstständige Mitarbeiterin“ unter anderem in den Büros
und einer in Innsbruck absolvierten Maurer- und Zimmererlehre schrieb sie sich zum von Manfred Lehmbruck und Otto Jäger kam 1952 die große Chance: ein Wettbewerb für
Sommer semester 1942 in den Fach bereich Bauwesen an der TH Stuttgart ein. Die Stu - ein Wohn- und Atelierhaus im Stuttgarter Westen, ausgelobt von der GEDOK
dien bedingungen waren in diesen Kriegsjahren besondere: Die „Stuttgarter Schule“ erleb- (Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen
te eine Politisierung und Dogmatisierung in der Architekturlehre. Weibliche Stu dierende e. V.). Die Vereinigung bestand seit 1926, wurde im NS-System gleichgeschaltet und wollte
wie Grit Bauer wurden nicht wirklich ernst genommen, auch nicht vom weltgewandten nun für ihre erste lokale Neugründung nach 1945 in Stuttgart ein Haus haben, in dem
Bonatz. Rückblickend hatte er die Studienbedingungen vor seinem Weggang in die Türkei Künstlerinnen sämtlicher Sparten leben und arbeiten konnten. Zum Wett bewerb waren
beschrieben: „Hochschule, kleiner Betrieb, alles war Soldat, einige Ausländer, ausschließlich Architektinnen zugelassen; wer kein Büro hatte, nutzte den Firmenstempel
Studentinnen, Verletzte, der Normalstudent fehlte.“ Mittels eines aufwendig organisierten von Vater, Bruder oder Ehegatte. Grit Bauer nahm – mit eigenem Stempel (!) – teil. Die
Fernstudiums (inklusive Diplom- und Promotionsbetreuung) bemühte sich die Fakultät Jury war mit Martin Elsaesser und Dieter Oesterlen durchaus prominent besetzt und
um die Weiterqualifizierung des männlichen Nachwuchses an der Front. Nach wenigen urteilte über die Entwürfe von nur sieben Kolleginnen. Schließlich bekam die Tochter der
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