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Entwurf • Design Björn Liese, Hamburg
                                                                           Bauherr • Client FRIEDA Ottensen GmbH & Co. KG
                                                                           Standort • Location Friedensallee 54a, Hamburg
                                                                           Wohnfläche • Living space 1.280 m 2
                                                                           Fotos • Photos Roland Borgmann Fotografie, Münster
                                                                           Mehr Informationen auf Seite • More information on page 126






























             Durch die Öffnung und Verglasung der Fassade ... • Due to the opening and the glazing of the façade ...  ... entstehen unterschiedlich tiefe neue Zwischen-Räume. • ... in-between spaces are produced.



             von • by Theresa Hütte
             F  ast wirkt es, als wolle sich der Bunker Frieda Ottensen verstecken. Hinter einer  Reihe  gung nachzukommen, wird der Wärmebedarf mit einer Ökostrom-betriebenen Wärme-
                                                                           pumpe gedeckt. Ein Solar-Eisspeicher dient hierbei als saisonaler Energiespeicher für
                herrschaftlicher Gründerzeithäuser liegt er in einem Hinterhof im beliebten Hambur-
              ger Stadtteil Ottensen. Frieda – wie die Bewohner ihr Zuhause liebevoll nennen – ist um-  den Betrieb der Wärmepumpe und bietet die Möglichkeit der sommerlichen Kühlung des
              geben von einer stadtteiltypischen Struktur aus Gewerbe- und Hinterhöfen. In dieser  Gebäudes. Die Energieeffizienz wird über die Wärmerückgewinnung aus der Wohnungs-
              dicht bebauten Lage fällt selbst der 1942 erbaute Betonmonolith, der einst bis zu 700  abluft zusätzlich verbessert. Die historischen Betonaußenwände wurden im Inneren
             Menschen Schutz bot, nur durch seine imposante Höhe auf. Über Jahrzehnte war auch  durch eine auf die neue Funktion zugeschnittene Struktur ergänzt. Ein Treppenhaus mit
             Frieda – wie viele weitere Bauten dieser Art – dem Verfall und Leerstand ausgesetzt. Zu  Aufzug sowie tragende Wände und Decken aus unverputztem Beton verbinden insgesamt
             negativ behaftet ist die Historie dieser Gebäude, zu abgeschottet und abweisend ihr äu-  sieben Geschosse. Während im Erdgeschoss Platz für Pkw- und Fahrradstellplätze zur Ver-
             ßeres Erscheinungsbild. Die urbane Lage in einem von Hamburgs ältesten Stadtteilen  fügung steht, verteilen sich auf den weiteren sechs Geschossen Wohnungen in einer
              macht Frieda dennoch sehr attraktiv. Als der Bund beschloss, den Hochbunker an der  Größe von 44 bis 127 Quadratmeter.
             Friedensallee auf den Markt zu geben, ergriffen einige Anwohner die Chance. Um nicht
             willkürlichen Veränderungen vor dem eigenen Zuhause zusehen zu müssen, trommelten  Offene, individuell gestaltete Grundrisse
             sie weitere Anwohner, Freunde und Eltern zusammen, gründeten eine Bauträgergemein-
             schaft, gaben ein Angebot ab und bekamen Ende 2013 den Zuschlag. Nach einer langen  Bei der Entwicklung der Wohnungsgrößen war vor allen Dingen Flexibilität wichtig. Ei-
             Planungsphase begann 2016 mit Hilfe des Architekten Björn Liese aus Hamburg der  nige der Wohneinheiten lassen sich teilen oder zusammenschließen und können auf sich
             Umbau mit dem Ziel, funktionalen und flexiblen Wohnraum zu schaffen. Besonders  verändernde Lebensumstände der Bewohner reagieren. Damit wird eine Beständigkeit
             wichtig war dabei nicht nur der Erhalt des historischen Gebäudecharakters, sondern vor  in der Bewohnergruppe, die sich aus Mietern und Eigentümern zusammensetzt, erreicht.
             allen Dingen die Entwicklung eines zukunftsorientierten Energiekonzeptes.  Die Grundrisse der Wohnungen sind individuell gestaltet, doch zeichnen sie sich alle
                                                                           durch Offenheit aus. So gelangt selbst in die durch die Tiefe des Bunkers bedingten in-
             Eine Herausforderung: das Aufschneiden des Betonkolosses      nenliegenden Bereiche ausreichend Tageslicht. Auch die Flure, in der Flucht der Fenster
                                                                           liegend, können so belichtet werden. Dank der Einschnitte in die Fassade entsteht neuer
             Damit aus dem Hochbunker ein Wohngebäude werden konnte, musste das Innere  zu-  Wohnraum, der in den sehr massiven Außenwänden liegt und variationsreich genutzt
             nächst vollständig entkernt werden. Alte Geschossdecken und Raumaufteilungen wichen  wird. Französische Balkone, kleine Loggien, angesetzte Balkone oder die Zuordnung zum
             einer neuen Gebäudestruktur, die in die leere Hülle implementiert werden sollte. Parallel  Innenraum entstehen durch die unterschiedliche Laibungstiefe der Fensteröffnungen.
             musste die massive Fassade mit einer Tiefe von 110 Zentimeter an drei Gebäudeseiten  Dass dieses Bauvorhaben von einer Gemeinschaft getragen wurde, schlägt sich auch im
             aufgeschnitten werden, um das Innere für Tageslicht zu öffnen. Die schweren Abbruch-  Raumprogramm nieder. Bereiche wie die neu entstandene Dachterrasse, der Hobbyraum
             und Umbauarbeiten waren aufgrund der beengten Verhältnisse in Hinterhoflage und  im ersten Geschoss oder der Hinterhof ergänzen die privaten Wohnungen und stehen
             einer nicht gesicherten Erschließung eine große Herausforderung. In Abstimmung mit  allen Bewohnern gleichermaßen zu Verfügung. Vor allen Dingen die Dachterrasse des Ge-
             den Anrainern, den Baulasten und nachbarlichen Zustimmungen gelang schließlich das  bäudes, das die Umgebungsbebauung deutlich überragt, wird gemeinsam genutzt und
             fast unmögliche Unterfangen: Die Fassade des Betonkolosses konnte geöffnet werden.  gepflegt und ist damit zum Highlight geworden. Im Inneren sowie an der Außenhaut blit-
             Nach den schweren Abbrucharbeiten folgte die energetische Verbesserung der Gebäude-  zen immer wieder Details auf, die das ursprüngliche Gebäude freigeben. Der Bestand
             hülle. Ab dem ersten Obergeschoss bekam der Bunker eine wärmegedämmte Fassade  und die Folgen der Umwandlung zeigen sich in unterschiedlicher Form – in Abbruchspu-
             mit einem mineralischen, grauen Anstrich, während im Erdgeschoss die Originalfassade  ren und rohen Außenwänden. Der ehemalige Bunker bleibt dadurch erlebbar und prä-
             sichtbar bleibt. Um den Wunsch der Bauherren nach einer ökologischen Energieversor-  sentiert sich nach der Umnutzung von einer neuen, offenen und freundlichen Seite.

                                                                                                                          AIT 7/8.2020  •  107
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