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REDINGS ESSAY
DER
UNVOLLENDETE
Ein Essay von Dominik Reding
V ier Elefanten zogen voran. Dann kamen die Eunuchen. In purpurnen Gewändern, mit Aber wir sahen sie nie. Wir wohnten bei der Großtante, eine Etage tiefer. Akkurate
Perlen im Haar. Dann Pulcheria, seine Schwester, in einer Tunika aus indischer Seide
Wohnkultur mit Schrankwand, Tischtüchern und Sofakissen. Nur der schwere, beißende
und Aelia, seine Gemahlin, gekrönt mit dem Rubin-Diadem der Kaiserin Helena. Dann die Holzkohlegeruch, der über ganz Istanbul lag, ließ sich auch hier nicht vertrei ben, wie ein
400 persischen Sklaven, in silbernen Rüstungen. Dann zehn Kamele, acht Dro medare, Eindringling, ein archaischer Bauer, der zwischen den Lackmöbeln und Tep pich böden am
sechs Zebras, vier Bären und zuletzt, vom Kaiser selbst an ledernen Riemen ge hal ten, zwei Lagerfeuer hockt und erjagte Hasen grillt. Kadirs ganze Familie lebte hier. Ein schmales
Löwen und zwei Leoparden. Theodosius lächelte nicht, schwankte nicht, schwitz te nicht. betoniertes Fünf-Etagen-Haus mit einem Wassertank auf dem Dach. „Wegen der Dürre im
Die letzten Meter ging er zu Fuß. Die glatten Stufen hinab zum Marmara-Meer. Die Menge, Sommer“, übersetzte Kadir seine Großtante. Dann fiel der Strom aus. Und ging wieder an.
vieltausendköpfig, starrte atemlos. Kaiser Theodosius schaute hinaus aufs Meer, schloss „Das passiert öfter“, erklärte die Großtante. Sie servierte Tee, so schwarz und rauchig wie
die Augen, betete, drehte sich zur Menge um und rief: „Hier wird er stehen, mein Palast. der Kohle-Geruch über Istanbul. Präsident Atatürk war auch da. Er hing an der Wand. Gütig
Jetzt und für immerdar!“ Dann kniete er nieder, strich mit der Hand über die Felskante lächelnd, als verblichene Schwarz-Weiß-Fotografie. Kadir sagte, er wol le mir nun Istanbul
und küsste sie. Die Menge schrie auf, es gab Ohnmachten, vereinzelt wurde geweint. zeigen. und wir gingen hinaus in den Regen und Rauch der Stadt. Auf dem Weg sprach er
Das Modell liegt hinter meinem Bücherschrank, die Altstadt von Istanbul, Maßstab 1:500. von Ernst Jünger, wie er die Artillerie-Angriffe auf Paris durch den Schliff eines Sektglases
Die Minarette sind abgeknickt, die Farben verblichen, die Kuppeln der Styrodur-Mo scheen bestaunt hatte, und vom Dichter Malaparte und seiner rationalistischen Villa auf Capri, die,
mit Staub bedeckt. Es sollte der große Entwurf werden, die Zulassung zum Diplom. Die so zitierte er den Dichter, „ernst, hart und streng“ sein sollte, „wie er selbst“. Er stieg mit
Idee war vermessen. Eine Mediathek in der Alt - mir in die be rühmte Palast-Zisterne, mit ihren
stadt von Istanbul, direkt zwischen Hagia So phia römischen Säulen und umgestürzten Mar-
und den Resten des Bukoleon-Palastes. Aber der morköpfen, er präsentierte mir Kemal Atatürks
neue Professor für Bauentwurfslehre suchte Sterbezimmer im Dolma bah ce-Palast, in dem
nach Talenten und legte die Messlatte hoch. Sein alle Uhren in seiner Todes stunde angehalten
Architekturbüro arbeitete an einem ähnlichen worden waren und führ te mich in das
Projekt für Abu Dhabi. Was boten die anderen Konzerthaus am Taksim platz zur Aufführung von
Lehrstühle? Ein Rathaus in Rott weil, eine Rei - Bruckners vierter Sym phonie. Am vierten Tag
hen haussiedlung in Essen-Kray und ein Senio - endlich besuchten wir den Bauplatz der Me -
ren heim am Tegernsee. Natür lich entschied ich diathek, eine ver gessene Grünfläche vor den
mich für Istanbul. Und eine Handvoll Uner schro - Resten des Buko leon-Palastes. Hier gab es keine
ckene taten es auch. Wie Kadir. Das war eine Er - Touristen, kaum Verkehr, nur das Klatschen der
mutigung, nein, es war eine Heraus for derung. Wellen gegen die algengrünen, erdbebenver-
Ka dir gehörte zur Elite, den besten des Jahr - schobenen Kaimauern und den Geruch von
gangs. Er las Tolstoi, Ernst Jünger und Yukio Mi - Schiffs diesel, saurer Milch und vergorenem
shi ma, liebte die Kunst der italienischen Futu - Fisch. Vom Palast standen nach Kreuzrittern, Os -
risten und die Bauten der fran zösischen Revolu - ma nen und dem Bau einer Eisenbahntrasse nur
tions architekten, hörte Mu sik von Mahler, noch Kellergewölbe, eine Handvoll Außen-
Bruckner und Franz Liszt und war, wie eine Lehr - mauern und von der Sonne ausgeglühte mar-
stuhl-Assistentin in einem Moment selbstver - morne Türrahmen und Fensterlaibungen. Ich trat
gessener Bewun de rung feststellte, „schön wie Grafik: Benjamin Reding näher und hörte Stimmen. Alle diese stei nernen
ein Märchenprinz“. Wenn er sprach, hörte man Rechtecke waren bewohnt. Plas tik tüten ersetzen
hin, nicht nur, weil es klug war, sondern wegen Eingangstüren, Gaskocher die Heizung, Kerzen
des Klangs. Jeden Vokal, jeden Konsonanten ließ er wie eine Delikatesse zwischen Zunge das elektrische Licht. Kadir ging daran vorbei, als habe er es nicht bemerkt. „Wer wohnt
und Gaumen zerschmelzen. Niemand sprach Deutsch so wie er. Er liebte diese Sprache. Er hier? Kurden?“ Ich weiß nicht, warum ich es sagte, warum ich gerade auf die Kur den kam.
war nicht mit ihr aufgewachsen. Er hatte sie gelernt. Kadir aus Istanbul, Kadir aus der Vielleicht, weil sie unterdrückt werden, weil sie arm sind, weil man in der Tages schau von
Hochhaus-Siedlung in Köln-Kalk, Kadir mit dem persischen Namen: Der Bezwinger. ihnen hört. Seine Augen wurden schmal, sein Märchenprinz-Gesicht hart. „Es gibt keine
Ich zeichnete den ersten Entwurf, es sah aus wie eine schwache Kopie von Zaha Hadid. Ich Kurden.“ Er schüttelte den Kopf verwundert, ja verärgert über so viel Dummheit.
zeichnete einen zweiten Entwurf. Es sah wieder aus wie von Zaha Hadid. Ich machte „Kurdistan ...“, er behielt das Wort im Mund wie Gift, „... was ist das?“ Kadir schaute mich
Pause, baute das Modell, einen Monat lang in der Sommerhitze meiner Dachkammer, und an mit seinen ernsten, edlen, jetzt zusammengekniffenen Augen, suchte, prüfte, forschte.
zeichnete den dritten Entwurf. Es sah immer noch aus wie eine schwache Kopie von Zaha Und erkannte mich und meine Nähe zu den Schwachen. Er lachte auf, erst spöttisch, dann
Hadid. Kadir machte es besser, er zeichnete nichts. Und sagte: „Lass es uns erst an - enttäuscht, dann fasste er sich: „Lass uns gehen.“ Zwei Tage trotteten wir durch Istanbul,
schauen.“ Es war kalt in Istanbul, Regen und schneidender Wind zogen vom Meer her über. besuchten die Blaue Moschee und die Hagia Sophia und spielten Minigolf. Im Flugzeug
Im Flughafen hörte ich Kadir das erste Mal Türkisch sprechen. Als einer der uniformierten zurück sagte ich, es darf keine Mediathek sein, man muss dort Wohnungen bauen, viele
Stahlhelmträger das dritte Mal unsere Pässe prüfte. Es klang so charaktervoll wie sein Wohnungen, mit Bad und Küche und Strom, bezahlbar für jedermann. Kadir sah aus dem
Deutsch. Kadir lächelte und entschuldigte den harschen Auftritt seines Lands manns. Wir Fenster, las und schwieg. Nach der Landung in Köln gab er mir höflich die Hand. „Ich
fuhren mit dem Taxi bis zum Haus seiner Großmutter. Jene, die mit Atatürk getanzt hatte. melde mich“, sagte er und tat es nie wieder.
050 • AIT 7/8.2018