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125 JAHRE AIT INNENRÄUME AUS 125 JAHREN
1972 Phantasy Landscape in Köln – aus Architektur und Wohnwelt 1/1972
In einem Jahrzehnt der Krisen und Umbrüche ist die Gentrifizierung ganzer Stadt viertel in
vol lem Gange: Aufgrund der profitableren Vermietung an Unternehmen werden ein kom -
mensschwache Mieter aus ihren innerstädtischen Altbauwohnungen an die Stadt rän der
verdrängt. Zur gleichen Zeit – 1969, 1970 und 1972 – finden im Rahmen der In ter na tio nalen
Mö belmesse IMM Cologne die Visiona-Aus stel lungen unter dem Motto „Wohnen von mor- Ulrike Nicholson
gen“ statt. Das Chemieunternehmen Bayer hat dazu ein Rheinschiff ge mie tet, auf dem mit - Freie Journalistin
hilfe von Bayer-Fasern und -Chemiewerkstoffen sowohl Jose Cesare Colombo als auch
Verner Panton und Olivier Mourge ihre Vision vom künftigen Wohnen umsetzen. Alle
drei brechen mit den bisher üblichen Raumstrukturen. So scheinen in Pantons Wohn -
höhle – der Phantasy Landscape – Boden, Wand, Decke und Möbel aus einem Guss.
1984
Züblin-Firmenzentrale in Stuttgart – aus der AIT 5/1985
In den 1980er-Jahren sind gelungene Wohnungsbauten rar: Die Postmodernisten lehnten
sich gegen den Funktionalismus der Moderne auf, bedienten sich jeglicher Formen ver-
gangener Epochen und schufen ein bisweilen eigenartiges Architektur-Potpourri. Die ers -
ten Dekonstruktivisten wiederum begannen ursprüngliche Formen aufzulösen und defor -
miert wieder zusammenzusetzten. Umso erwähnenswerter ist die erstmalige Verleihung Désirée Spoden
des Pritzker-Preises an einen deutschen Architekten: 1986 erhielt Gottfried Böhm die Freie Journalistin
internationale Auszeichnung (AIT 7/8-86, S. 4). Eines seiner bekanntesten Bauwerke ist die
1984 fertiggestellte Züblin-Firmenzentrale in Stuttgart-Möhringen – nahe der AIT-Re dak tion.
Neuartig war der gemeinschaftsfördernde Raum: Eine 60 Meter lange, lichtdurchflutete,
gläserne Halle, die noch heute beeindruckt und als Ort für Veranstaltungen aller Art dient.
1998 Bad-Entwurf „Le grand bleu“ in Lüttringhausen – aus der AIT 3/99
Dieses Jahrzehnt ist schwer zu fassen. Reichhaltig an politischen und gesellschaftlichen
Veränderungen, bleibt es – will man seinen Gesamtcharakter benennen – doch seltsam
vage. Neue Medien erleichterten die Kommunikation und stellten gewohnte Muster des
sozialen Umgangs infrage. In der Kunst wurde vieles möglich und in der Architektur gab
es gleich mehrere Strömungen, die ihre Anhänger fanden: Den Studenten wurde „kon- Vera Cramer
struktive Ehrlichkeit“ gelehrt, die Ökologie hielt Einzug und „Signature architecture“ zog Freie Mitarbeit Redaktion
die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Die Neunziger – eine Zeit des Anything goes,
genau wie der originelle Bad-Entwurf „Le grand bleu“ von den Kölner Architekten
Kalhöfer und Korschildgen. Sie installierten eine wandelbare Nasszelle, in der sich für
unterschiedliche Nutzungszwecke durch Vorhänge individuelle Räume abtrennen lassen.
2000 Holländischer Expo-Pavillon in Hannover – aus der AIT 7/8–2000
Nachdem sich die Befürchtung, die Welt würde mit dem Jahrtausendwechsel untergehen, nicht bewahr -
heitete und auch die Computer das Millennium schadlos überstanden, konnte von Anfang Juni bis Ende
Oktober 2000 wie geplant die erste Expo in Deutschland stattfinden. Unter dem Motto „Mensch, Natur
und Technik – Eine neue Welt entsteht“ präsentierten sich in Hannover 155 Länder. Aufgrund der ein
Jahr zuvor geknackten Sechsmilliardenmarke der Weltbevölkerung wurden zudem architektonische Jennifer Schuh
Lösungs möglichkeiten für das immer dichter werdende Zusammenleben erörtert. Am radikalsten war Freie Mitarbeit Online-Redaktion
der Vor schlag zur Landgewinnung vom Architekturbüro MVRDV. Die Entwerfer stapelten, auf sieben
Ebe nen verteilt, die für ihr Heimatland Holland typischen Landschaften – vom Wald über die Tul pen -
felder bis zu den Dünen. Auch im direkten Umfeld der Menschen ist die zunehmende Technisierung des
Alltags zu spüren, so bestimmen den Wohnungsbau Materialien wie Metall, Glas, Stein und Beton.
2017
Maisonette P155 in Stuttgart – aus AIT 3/2017
Die zunehmende Bevölkerung und der immer knapper werdende Wohnraum bestimmen
auch die 2010er-Jahre. Ein akuter Wohnungsmangel sowie horrende Mietpreise entfachen
immer wieder rege Diskussionen um den Sozialen Wohnungsbau. Der Wohnturm, wie er
in anderen Län dern schon länger Einzug hält, wird ebenfalls für Deutschland prognos-
tiziert – auch fürs geho benere Wohnen. Parallel schreitet die Tech ni sie rung des Woh nens Katharina Burster
mit allerlei Smarthome-Lö sungen fort und der offene Grund riss, in dem Küche und Freie Mitarbeit Buchproduktion
Wohnen immer stärker verschmelzen, wird weiterhin fa vo ri siert. Dem gegenüber steht die
Suche nach Authentizität und Ortsverbundenheit. Mit na türlichen Ma te rialien, Mustern und
Farben sowie antiken Möbelstücken wird eine persönliche Note in die eigenen vier Wän -
de gebracht. Beispielhaft ist die eigene Wohnung des Stuttgarter Architekten Peter Ippolito.
074 • AIT 7/8.2017

