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Redings Essay
EICHENDORFFWEG 10
ODER IS THERE LIFE ON MARS?
Ein Essay von Dominik Reding
D oris Day heißt Beverly Boyer oder einfach das „Happy Girl“. Weil sie die Happy- mutung verschlossen, zwingend, fast hypnotisch. Ich betrachtete das Haus minutenlang.
Seife so liebt. Jedenfalls muss sie das immer sagen. In den Happy-Seife-Wer be -
Von den möglichen Bewohnern fehlte jede Spur. Kein Kinder spiel zeug im Vorgarten, keine
spots. Dann küsst sie die Seife, bis sie Schaum vor dem Mund hat. Ihr Ehegatte mag Schuhe vor der Eingangstür, kein Auto vor der Garage, keine Radio mu sik aus dem Wohn -
die Werbe ambi tio nen seiner Frau nicht und fährt aus Zorn seinen Cadillac in den haus- zimmer, keine Essensdünste aus dem Küchenfenster. Wie ein angehaltenes Filmbild, eine
eigenen Swim ming pool. Dabei fallen Waschmittelpackungen ins Becken. Die stehen handkolorierte Fotopostkarte, ein Feenschloss nach dem Zauber spruch – so stand es da.
da für den nächsten Happy-Seife-Werbespot. Es schäumt ganz doll und Beverlys Kin - Das Geheimnis seiner Bewohner für sich behaltend. Ich staunte. Und beim nächsten Be -
der freuen sich, weil es im Sommer schneit. Sowas lief, als ich klein war, im Sonn tag - such noch mehr. Das Haus war gar kein Bungalow. Durch die Nach bargärten konnte man
nach mittags fernseh pro gramm. Ich war begeistert. Nicht wegen der Film-Story, die es sehen: Es stand an einem Hang, die Rückseite öffnete sich mit Balkons und raumhohen
habe ich nicht verstanden, aber wegen des Film-Wohnhauses. Die Küche war so groß Fenstern drei Etagen hinab zu einem kleinen, von Koniferen ver schatteten Rasengrund -
wie unsere Schul sporthalle, die Flurtreppe so zickzack-schwungvoll wie die Blumen - stück. Auch hier blieb das Haus diskret, Vor hän ge verhinderten Ein blicke. Nur eine Hand-
va sen meiner Oma und der Vorgarten so geomet risch, grün und aufgeräumt wie Fuß - voll gestapelter Gartenstühle kündeten von eventuellen Be woh nern. Der Boden würde
ball plätze auf Panini-Bildchen. Ob es wirklich Men schen gab, die so wohnten? blau gekachelt sein, eine Treppe würde sich in wilden Windun gen durch das Haus schrau -
In diese Straße wäre ich nie gekommen. Aber mein großer Bruder wurde 14 und wollte ben, es würde eine Küche geben, so groß und weiß und chromglänzend wie bei Doris
die Kir chenzeitung nicht mehr austragen – also Day und einen Ca dil lac oder wenigstens einen
mach te ich das jetzt und bekam dafür fünf Mark. Opel Ad mi ral in der Garage. Ach, zu gerne hätte
Das Blatt hieß „Der Dom“, verzichtete auf Fotos ich das In nere gesehen, aber dann hätte ich klin-
und hatte Überschriften wie: „Pfarrer Dr. Remi - geln müs sen, verschwitzt vom Fahrradfahren,
gius Alt büschel wird neuer Dechant in der Sankt- keu chend, mit drecki gen Schuhen Einlass erbet-
Pius Kir che in Rheda-Wiedenbrück“ oder „Für teln. Ich traute mich nicht.
seine 50-jährige seelsorgerische Tätigkeit in der Aber einmal, ganz bestimmt, würden Spiel sa -
Christ kö nigs-Gemeinde erhält Seelsorger Pater chen im Garten liegen und der Rasen würde un -
Klaus-Die ter Strunk das Bundesver dienst kreuz ge mäht sein und die Haustür offen stehen und
am Ban de“. Wer las das? Aber es gab Men schen, die Bewoh ner preisgeben. Es wurde zum Spiel,
die es nicht nur lasen, sondern abonnierten. viel leicht zur Obsession. Jedes wöchentli che Zei -
Die Ein mün dung lag versteckt hinter hohen Bäu - tungsaustragen bekam diesen Spannungs mo -
men. Eine Sackgasse. Bungalows und Einfami lien - ment: Einbiegen in die Sackgasse, zügig die ers -
häu ser, Rasenrechtecke und Ligusterhecken, links ten Meter mit dem Fahr rad, Blick nach links
und rechts aufgereiht. Der Kies knirschte un ter und ... Aber nein, es war wie immer. Der Rasen
dem Fahr radschlauch. Es roch nach Buchs baum, ge mäht, die Gardinen zugezogen, die Haustür
nach Blumendünger und frisch gemähtem Rasen. ge schlossen. Nun kam ich nicht mehr nur Sonn -
Ich warf die Kirchenzeitung durch den Post kasten - tags zum Zeitungsaustragen, ich kam einfach so,
schlitz. Das kleinste Haus in der Reihe. Kirchenzei - in der Woche, quasi unan ge meldet. Ich kam
tungsabonnenten wohnen nicht in Vil len. Und ra - Foto: Benjamin Reding morgens, in der ersten Däm me rung und abends,
del te zurück. Still war es hier – nur Vo gel ge zwit - kurz vor Einbruch der Dunkel heit. Ich kam im
scher und das gleichmäßige Rauschen der Rasen - lieblichen Frühjahr, im glühenden Hoch sommer,
sprenger. Ich beeilte mich, mein Ächzen, Atmen, Pedalgeklapper störte. Noch ein Tritt und im verregneten Herbst, im schneedurchtosten Winter. Ich lugte um die Ecke und ... Der
noch einer und ... ich sah es: Auf der anderen Straßenseite, bewacht von zwei alten Bir - Rasen war gemäht, die Vor hänge zu, die Haustür fest verschlossen.
ken – dieses Haus. Ich hielt an, stieg vom Rad. Ein gelbliches Bungalow-Recht eck aus der Ich verließ die Ruhrgebietsstadt, studierte, wechselte den Studienort, das Studienfach, die
Zeit der Schwarz-Weiß-Fernseher und Heckflossenautos, als es mich noch nicht gab. Ich Städte, die Länder, die Kontinente. Sah andere Straßen mit Rasenrechtecken und Bun ga -
ging auf das Rechteck zu. Sattgrüner, kurzgeschorener Rasen, dane ben ein Gara gen anbau, lows. Und doch, immer wenn ich in meine Heimatstadt zurückkam, fuhr ich wieder hin.
die hölzernen Doppel türen fest verschlossen. Der Hauseingang lag zurückge setzt, dunkel- Vielleicht würden – dieses eine Mal – die Gardinen verschoben, der Rasen ungemäht, die
rotes Türblatt, Glasbausteine und eine pillenförmige Milchglaslam pe über dem Haustür geöffnet sein, und wenn auch nur einen schmalen Spalt. Vergebens. Und dann
Klingelknopf. Die Fenster reihe der Frontfassade erlaubte keine klaren Durch blicke. Gerif - kamen meine Filme, dann die Kolumne in der AIT und damit meine letzte, große Chance:
fel tes Glas verwischte das Innere, nur Gardinen ließen sich erahnen – weiß, mit Falten in Also, liebe, unbekannte Bewohner im Eichendorffweg 10, welche Sie umgeben sind von
un bewegten, strengen Parallelen. Ich grübelte. Eigentlich sah der Bun ga low nicht viel blauen Kacheln, gemähtem Rasen und undurchschaubaren Glasbausteinen, wenn Sie
anders aus als die andern in der Straße. Und schluckte. Doch, sah er. Er war perfekt. Die diese Zeilen lesen: bitte, bitte, lassen Sie mich in Ihr Haus. Ich werde die Schuhe aus -
Fassade im vollkommenen Gleichgewicht, die Materialien in fehlerlo ser Addition, die An - ziehen, mir die Hände waschen und nichts anfassen. Versprochen!
056 • AIT 7/8.2016