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BDIA










               Der BDIA fördert und festigt seit über 60 Jahren den Berufsstand der Innenarchitektinnen und
               Innenarchitekten in Deutschland. Dabei setzt er sich als Berufsvertretung seiner Mitglieder für
               deren Belange in der Öffentlichkeit und gegenüber Wirtschaft und Politik ein.





                                                        uns Menschen voneinander, auch die Art, wie wir
                                                        Raum erleben und mit Leben füllen.  Was löst für die
                                                        jeweilige  Herkunftskultur  ein  Heimatgefühl  in
                                                        Räumen aus? Diese Frage blieb unbeantwortet.
                                                        Der  polnische  Pavillon  stellt  eine weitere wichtige
                                                        Frage: Wer baut unsere Gebäude? Und appelliert an
                                                        die Verantwortlichen, Gebäude fair zu errichten. Der
                                                        spanische  Pavillon  zeigt  mit  „Unfinished“  den
                                                        Besuchern  die  Folgen  der  spanischen  Immobilien-  Foto: Kirsten Bucher
                                                        krise  und  liefert  überzeugende  bauliche  Lösungen
                                                        für diese Leerstände.
                 Liebe Kolleginnen und Kollegen,        Großbritannien widmet  sich  insbesondere  den  ins  Die Heimatmacher
                                                        Unzumutbare  steigenden  Immobilienpreisen  in
                 in diesem Jahr war es wieder so weit: die Architek-  London und will wissen, „Was braucht der Mensch  Vier  spektakuläre  Öffnungen  im  denkmalgeschützten
                 turbiennale in Venedig öffnete ihre Tore. Alle zwei  zum Wohnen?“  Wie viel Fläche ist nötig in unter-  Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig
                 Jahre präsentiert sich auf dem Gelände des Arsenale  schiedlichen Lebensphasen, welche Raumlösungen  bieten wahrlich neue Perspektiven, auf den Ort, auf sich
                 und der Giardini die internationale Architekturszene  sind  jeweils  erforderlich?  Wohnen  in  Zeitfenstern  selbst,  auf  unsere  Gesellschaft.  48  Tonnen  Ziegelsteine
                 und  vermittelt  dem  Besucher  einen  globalen  gedacht und diskutiert.        sind aus den denkmalgeschützten Wänden herausgebro-
                 Überblick über aktuelle Themen aus der Architektur.  Als  Innenarchitektin  suchte  ich  vergebens  klare  chen und verwandeln den Pavillon in ein offenes Haus.
                 Sowohl  die  sozialpolitischen  Fragestellungen  wer-  innenarchitektonische  Positionen.  Sie  waren  eher  Mit  dieser  Geste  fordern  die  Kuratoren  des  Deutschen
                 den  diskutiert,  wie  der  rasante  Anstieg  von  am Rande erkennbar oder bezogen sich nur auf das  Architekturmuseums DAM dazu auf, über Deutschland als
                 Wohnbedarf in Megacities und der damit verbunde-  Thema  Wohnbedarf,  wie  beim  englischen  oder   offenes Einwanderungsland nachzudenken.
                 ne Flächenverbrauch zu bewältigen ist, als auch die  dem italienischen Beitrag, der mobiles Wohnen auf
                 drohende Unterversorgung bei Strom-, Wasser- und  kleinsten  Raum  zeigte  und  als  Beispiel  einen  Für die Dauer der Biennale wird es von Mai bis November
                 Abwasserversorgung  durch  fehlende  Infrastruktur.  schwimmenden Raum auf dem Wasser präsentierte.  2016  keine  geschlossenen Türen  im  Deutschen  Pavillon
                 Den  Herausforderungen  durch  Migration  der  In  Erinnerung  blieb  die  Ausstellungsfläche  von  geben.  Tag  und  Nacht  steht  er  offen.  Die  Öffnung  der
                 Menschen  standen  klassische  Themen  wie  Mate -  Singapur. Gezeigt werden Menschen in Wohnungen,  Wände  wurde  mit  der  venezianischen  Denkmalschutz-
                 rialinnovationen  oder  architektonische  Spezial -  in  öffentlichen  Räumen  und  in  Außenräumen.  behörde akribisch abgestimmt. Die dreiseitigen Stahlrah-
                 lösungen gegenüber. Das Spektrum ist sehr umfas-  Gebäudemodelle sind ausgestellt mit dazugehörigen  men sind erdbebensicher ausgeführt und werden im Zuge
                 send, will  Impulse  geben  und  das  eigene  planeri-  Fotos  völlig  unterschiedlich  bewohnter  Räume.  des Rückbaus wieder entfernt. Dennoch ist umstritten, wie
                 sche Tun hinterfragen.                 Unendlich  scheinende  Varianten  machen  deutlich,  massiv  durch  diese  räumliche  Interpretation  in  die
                 Der Deutsche Pavillon überzeugt durch sein klares  wie verschieden allein die individuellen Bedürfnisse  Denkmalsubstanz eingegriffen wurde. Aber die architekto-
                 Statement, ein offenes Haus zu sein und Menschen  an  einen  Innenraum  sind  und  welche  Vielfalt  an  nische  Geste  ist  stark:  „Während  Zug  um  Zug  einzelne
                 eine  Heimat  bieten  zu  wollen.  Dass  Unmögliches  Lebensräumen unsere gebaute Umwelt bietet. Wie  Staaten ihre Grenzen schließen, um die Festung Europa zu
                 möglich wird, zeigen die Ausstellungsmacher allein  muss diese sein, um der Diversität unserer sich ver-  sichern“,  schreibt  Architekturtheoretiker  Prof.  Dr.-Ing.
                 schon durch ihre kühne Idee, die Außenwände des  ändernden Gesellschaft gerecht zu werden?    Werner Durth in einem Kommentar, „werden in Venedig
                 denkmalgeschützten  Pavillons  zu  öffnen  und  die  Im  irischen  Pavillon  kann  man  passend  dazu  16  Mauern  geöffnet,  zunächst  nur  für  einen  Sommer,  als
                 Türen  aus  den  Angeln  zu  heben.  Der  Deutsche  Regeln für das Planen für Menschen mit demenziel-  Ermutigung für eine andere Politik im Geist der Einheit
                 Pavillon  wird  zu  einem  licht-  und  luftdurchflute-  ler Erkrankung entdecken.  Europas, in Verpflichtung auf die unantastbare Würde des
                 tenRaum  mit  verheißungsvollen  Ein-,  Aus-  und  Mein Fazit: Ein Besuch lohnt sich, auch wenn die  Menschen.“
                 Durchblicken. Eine beeindruckende, mutige Geste!  Innenarchitekturfragen mit der Lupe zu suchen sind
                 Die Thematik der Zuwanderung behandeln ebenfalls  - aber vielleicht auch gerade deshalb!
                 der griechische Pavillon und der österreichische, der
                 mit  einer  pragmatischen  Grundausstattung  zeigt,  Viel Spaß beim Lesen
                 wie  mittels  Sonnenschirm,  Doppelstecker  und
                 Kabelbindern  ein  „persönlicher  Raum“  in  der  Not
                 entstehen kann.
                 Vermisst  habe  ich  jedoch  den  Diskurs  über  die
                 unterschiedlichen  Lebensraumgewohnheiten  der
                                                                                                 Foto: Kirsten Bucher
                 Menschen  aus  den  verschiedenen  Kulturen,  denn
                 nicht  nur  die  Sprache  oder  Religion  unterscheidet  Vera Schmitz, Präsidentin BDIA




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