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BDIA im
                                                                                                                       Gespräch mit:


                                                                                                                       Ulla Basqué,
                                                                                                                       BDIA Bayern

                Foto: Dong Xuan Center






                Im  Pavillon  selbst  sind  35  ausgewählte  Bauten  für  gen  Aufenthaltsort  verschaffen.  Für  ein  denkmalge-  Bauen für Menschen, die eigentlich auf der Flucht
                Flüchtlinge und Migranten dokumentiert. Das Spektrum  schütztes,  ehemaliges  BayWa-Lagergebäude  im  Herzen  sind. Eine besondere Herausforderung?
                reicht  von  temporären,  riesigen  Leichtbauhallen  über  des  Ortes  Obertraubling  bei  Regensburg  hat  sie  ein  Auf jeden Fall! Es geht hierbei um mehr als ein schüt-
                individuelle Bürgerinitiativen bis zu konkreten Projekten  Wohnkonzept  vorgeschlagen,  das  nicht  nur  eine  ver-  zendes Dach über dem Kopf; die Menschen auf der
                des  dauerhaften,  kostengünstigen  Wohnungsbaus,  der  nachlässigte Straße wieder mit Leben füllen kann, son-  Flucht haben nicht nur ihre Existenz verloren, sondern
                nicht allein Geflüchteten eine Bleibe bieten soll. Einen  dern gleich von Beginn besonderes Potenzial hat, denn  sind durch den Krieg, Flucht und den Verlust vieler
                Schwerpunkt  bilden  Holzmodulbauten.  Der  Titel  es soll gemeinsam gebaut werden! Die Gelegenheit, sich  Angehöriger traumatisiert. Darüber hinaus erleben sie
                „Making  Heimat“  macht  deutlich,  dass  der  Aufenthalt  einen eigenen Ort mit zu erschaffen, hilft, neue Wurzeln  oftmals einen Kulturschock in unserer gleichberech-
                von Dauer sein kann. Und die Ausstellung zeigt auch,  zu  bilden,  selbst  wenn  dieser  nur  temporär  ist.  Einer  tigten und liberalen Gesellschaft.
                wie  sich  Einwanderer  mit  ihresgleichen  zusammen-  sinnvollen  Beschäftigung  nachzugehen  und  gleichzeitig  Ihr prägendstes Erlebnis in Ihrem Engagement für
                schließen. So entstehen, ganz ohne Planung, eine Viel -  Alltag  zu  erleben,  der  von  Arbeit  und  Strukturen  Geflüchtete?
                zahl von „Arrival Cities“, informelle, oftmals ungeplante  bestimmt  wird,  wirkt  dem  Nichtstun  entgegen,  beugt  Die enorme Hilfsbereitschaft meiner Landsleute hat
                Orte  der  Ankunft  und  des  ersten  Bleibens.  Sie  bieten  Depression und Isolation vor.   mich  zutiefst  beeindruckt,  insbesondere  auch  die
                günstige Mieten, Zugang zu Arbeitsplätzen und ein kultu-                           Leistung  von  Campusasyl,  einer  studentischen
                relles, ethnisches Netzwerk, das die Ankommenden auf-  Für die am Bau beteiligen Firmen bedeutet dies, gemein-  Organisation.  Meine  Auswertung  sozio-demografi-
                nimmt  und  einen  sozialen  Aufstieg  ermöglicht.  Dieses  sam mit einem Teil der zukünftigen Bewohner zu bauen  scher Daten hat gezeigt, dass Studenten und Künstler
                Modell der Arrival City wird in der Ausstellung „Making  und  sie  durch  Praktika  und  Arbeitspraxis  zu  fördern.  aufgrund  ihrer  Offenheit,  Neugier  und Toleranz  am
                Heimat“  auf  Beispiele  aus  Deutschland  angewendet.  Vorbild für den Entwurf ist das „Grandhotel Cosmopolis“  besten geeignet sind, mit Flüchtlingen in integrativen
                Eines  davon  ist  das  Dong  Xuan  Center  in  Berlin-  in  Augsburg,  ein  gesellschaftliches  Gesamtkunstwerk  Wohnkonzepten zu leben.
                Lichtenberg, ein vietnamesischer Großmarkt, in dem vie-  mitten  im  Augsburger  Domviertel,  welches  als  Was  kann  unser  Berufsstand  zu  einer  offenen,
                les  gänzlich  anders  funktioniert,  als  man  es  in  Flüchtlingsunterkunft/Hotel/  Kulturort  verschiedene  lebendigen Gesellschaft beitragen?
                Deutschland gewohnt ist.             cu  Räume bietet und Akzente setzen kann für ein friedli-  Wir  entwickeln  unsere  Projekte  von  innen  nach
                                                         ches, urbanes Zusammen leben.              außen, sodass wir uns zunächst umfassend mit den
                                                                                                    Bedürfnissen der Nutzer beschäftigen. So kann inter-
                Ein Weltbürgerhaus                       In  Basqués  Entwurf  wird  das  Lagergebäude  in  acht  kulturell  so  manche  Brücke  gebaut  werden,  die  zu
                                                         Häuser eingeteilt. Im Kopfteil des alten Lagergebäudes  einer Bereicherung auf beiden Seiten führt.
                Nicht  nur  in  Bayern  warten  Zehntausende  von  Kriegs-  befindet sich mit einem großen Gemeinschaftsbereich,  Welche Vorurteile erleben Sie unserem Berufsstand
                flüchtlingen  in  Behelfsunterkünften  nach  monatelanger  Küche  und  Terrasse  ein  Ort  für  Gemeinschaft  und  gegenüber?
                Flucht auf eine Perspektive in einer neuen Heimat, warten  Begegnungen  im  Alltag,  auch  mit  Nachbarn  und  Innenarchitekten  werden  häufig  mit  Dekorateuren
                auf  ihre  Registrierung  und  verstehen  gleichzeitig  die  Besuchern. Hier sollen auch Studenten leben. Die ande-  verwechselt, die „nur“ für die Atmosphäre zuständig
                Sprache und Kultur wenig. Traumatisierte Menschen sind  ren  sieben  Häuser  dienen  Familien  mit  Kindern  und  sind. Tatsächlich hat sich gerade die Zusammenarbeit
                so nach lebensgefährlichen Wochen und Monaten zum  geben anderen Flüchtlingen ein neues Zuhause. „Viele  mit Hochbaukollegen in großen Projekten als optimal
                Nichts   tun verdammt. Unter den Flüchtlingen können Aus -  Beispiele für Integration durch gemeinsames Bauen gibt  erwiesen.  Konstruktiv-technische  Prioritäten  können
                ein  andersetzungen und Frust entstehen. Für BDIA Mitglied  es  leider  nicht“,  sagt  Ulla  Basqué.  „Obwohl  solche  so an Fantasie und Leichtigkeit nur gewinnen.
                Ulla Basqué von Basqué Et Partner aus Regensburg ein  Maßnahmen zu einer Identifikation mit dem Ort verhel-  Wer hat Sie als Vorbild inspiriert?
                bedrückender und unbefriedigender Zustand, auf den sie  fen und Kosten minimieren können. Hilfe zur Selbsthilfe  Carlo Scarpa mit poetischen Details wie auch Andrée
                als Innenarchitektin Antworten finden möchte.  ist  ein  guter  Weg,  lokale  Ökonomien  zu  stärken  und  Putman für ihre zeitlose Eleganz.
                                                         wirtschaftsförder   Effekte   ausz   Viele  Welchen Ort haben Sie in diesem Jahr für sich ent-
                Sie beschäftigt sich mit zwei Schlüsselfaktoren für ver-  Bestandsbauten  befinden  sich  in  funktionierenden,  deckt?
                antwortungsvolles und nachhaltiges Handeln: Leerstand  innerstädtischen Quartieren – und könnten neue Räume  Die Ciudad de las Artes y de las Ciencias in Valencia,
                sinnvoll nutzen und Flüchtlingen einen menschenwürdi-  für Integration bieten.“   cu  ein  neu  entwickeltes  modernes  Wahrzeichen  in
                                                                                                    einem trockengelegten Flussbett des Turia.
                                                                                                    Warum engagieren Sie sich als Mitglied im BDIA?
                                                                                                    „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, wusste ja
                                                                                                    schon Erich Kästner. Mir liegen die gesellschaftspoliti-
                                                                                                    schen  Themen  sehr  am  Herzen:  energetische
                                                                                                    Sanierung und auch die Flüchtlingsproblematik. Der
                                                                                                    BDIA  kann  durch  den  Schwerpunkt  „Qualität  von
                                                                                                    nachhaltigen  Innenräumen“  beide  Themen  bestens
                Foto: Günther Schabert                                                              Ulla Basqué ist Innenarchitektin/Immobilienökonomin und seit 1996
                                                                                                    unterstützen.
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