Page 78 - AIT0625_E-Paper
P. 78

BAR HOTEL RESTAURANT

































           RESTAURANT BAR POLEPŠOVNA

           IN PRAG


           Entwurf • Design SMLXL, CZ-Prag



           Seit jeher ist die Bierbraukunst in der Tschechischen Republik tief
           verwurzelt und umfasst weit mehr als das Getränk per se: Der Knei-
           penbesuch spielt eine wichtige Rolle in der Alltagskultur und gilt als
           fester Bestandteil der nationalen Identität. Mehr noch als der Pub in
           Großbritannien oder die Kneipe in Deutschland, wird die tschechi-
           sche Hospoda vor allem als Begegnungsort verstanden.



           von • by Yannice Keller, Stuttgart
           S   chlicht, gesellig, ehrlich – so lässt sich das Konzept traditioneller tschechischer Lokale
               beschreiben. In einem revitalisierten Industrieareal in Holešovice, einem der dyna-
           mischsten Bezirke Prags, hat SMLXL dieses Prinzip in einen neuen Kontext übertragen. Für
           den neuen Treffpunkt Polepšovna (Besserungsanstalt!) nutzten die Architektinnen Klára
           Valová und Tereza Podroužková das wirkungsvolle Prinzip spannungsvoller Gegensätze:
           Die Räumlichkeiten sind in zwei Bereiche gegliedert, die durch ein Edelstahl-Portal klar
           voneinander getrennt werden. Der Hauptbereich der Bierhalle ist ganz in Weiß gehalten,
           während sich dahinter ein Loungebereich in tiefem Schwarz öffnet. An großen Gemein-
           schaftstischen werden unterschiedliche Sitzqualitäten angeboten, die zu jeder Tageszeit
           den passenden Rahmen bilden. Erst bei näherer Betrachtung geben sich die Bartische als
           umgenutzte Bettgestelle zu erkennen! Die stimmungsvolle Lounge bietet hingegen Raum
           für eher ruhigeren Austausch abseits des lebhaften Geschehens. Farblich behandeltes
           Sichtmauerwerk zeugt neben großzügigen Oberlichtern von der Vergangenheit der heuti-
           gen Bar- und Restaurantfläche als Fabrikhalle. Auch bei der Decke wurde auf eine Verklei-
           dung verzichtet, der Beton wurde lediglich gereinigt und in seiner ursprünglichen Form
           sichtbar belassen – mit entsprechend offen geführten Lüftungskanälen und Elektroin-
           stallationen, die die industrielle Anmutung zusätzlich unterstreichen. Ergänzt werden die
           rohen,  authentischen Materialien von geflammtem Holz als Wandverkleidung, hinter der
           die offen einsehbare Küche angesiedelt ist. Das Zusammenspiel der Materialien erzeugt
           ein vielschichtiges Raumgefühl, getragen von unterschiedlichen Haptiken und Texturen.
           Humorvolle Details verweisen mit einem Augenzwinkern wiederholt auf die neue Nut-
           zung des Ortes, wie die mit Flaschen bestückte Wand neben schimmernden Möbelfron-
           ten, deren Struktur an aufschäumendes Bier erinnert. Einen Bruch in der konsequent
           monochromen Farbgebung bildet das signalgelb eingefärbte Treppenhaus, das wie eine
           markante Fuge in den Raum einschneidet. Ganz im Sinne barrierefreier Gestaltung führt
           ein farbiges Leitsystem auch Gäste in überschäumender Stimmung sicher an ihr Ziel.

           078  •  AIT 6.2025
   73   74   75   76   77   78   79   80   81   82   83