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SERIEN  PERSPEKTIVWECHSEL  •  CHANGE OF PERSPECTIVE


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                                                                         seit vergangenem Jahr die Interior Design Abteilung. Die individuellen Erscheinungsbilder
                                                                         der einzelnen Locations entstehen unter der kreativen Leitung von Denise Amann. Wir
                                                                         legen großen Wert auf eine starke visuelle Kommunikation. Deshalb arbeiten wir in allen
                                                                         Projekten eng mit unserem In-House-Grafik-Team zusammen. Gerne kooperieren wir
                                                                         auch mit externen Partnern aus Architektur, Produktdesign, Handwerk, Set-Design und
                                                                         Allroundern aus allen Bereichen. Es ist uns wichtig, neue Perspektiven aus verschiedenen
                                                                         Bereichen einfließen zu lassen. Nur im Austausch entstehen spannende Projekte.

                                                                         r  „Nichts ist so dauerhaft wie ein Provisorium“, heißt es. Auf das Condesa, 2014
                                                                         in Stuttgart als Pop-up-Café eröffnet, trifft das absolut zu. In diesem Jahr kann das
                                                                         Condesa zehnjähriges Jubiläum feiern. Hätten Sie das seinerzeit für möglich gehalten?
                                                                         Das Condesa ist ein tolles Beispiel dafür, wie aus Pop-up etwas Dauerhaftes werden
                                                                         kann. Im Laufe unserer Pop-up-Zeit haben wir die Vermieterin überzeugt, hier langfris-
                                                                         tig bleiben zu dürfen. Danke an dieser Stelle! Der Condesa-Mietvertrag war mein erster
                                                                         richtiger Mietvertrag, und ich glaube, ich habe bei der Unterzeichnung seinerzeit ganz
                                                                         schön gezittert. Eine Laufzeit von zehn Jahren war dann zwar auf dem Papier, aber fern
                                                                         jeder Vorstellungskraft. Nun, ein bisschen älter und ein paar Mietverträge später, finde ich
                                                                         den Ansatz, dass Konzepte in Würde altern dürfen, fast schon ein Supersupply-Manifest.
                                                                         Wenn man es schafft, ein breites Kundenspektrum anzusprechen, wächst dieses ständig
                                                                         nach. Gastronomien sind Orte des Alltags, und für mich gibt es kein größeres Lob als
                                                                         Stammgäste. Im Condesa gibt es einen älteren Herrn, der dort seine Zeitung von vorne
                                                                         bis hinten genießt. Derselbe Herr kommt ab und zu mit seiner Gattin auf einen frühen
                                                                         Drink ins Paul & George und danach gehen sie in die Oper. Da geht einem das Herz auf.

                                                                         r Mit dem Studio Amore bespielen Sie bis zur geplanten Sanierung einen Teil des
                                                                         früheren 5-Sterne-Hotels Althoff am Stuttgarter Schlossgarten interimsmäßig als Bar
                                                                         und Event Location. Wie schwierig ist es, an Räume wie diese heranzukommen?
                                                                         Am Anfang steht natürlich das Entdecken. Ich hoffe, es gibt viele BeobachterInnen,
                                                                         die ihre Stadt nach besonderen Räumen scannen. Im Falle von Interimslösungen fehlt
                                                                         Ämtern, Betreiber- und EigentümerInnen oftmals noch Know-how. Auch eine Pop-up-
                                                                         Nutzung muss genehmigungsfähig sein – und das mit gutem Grund. Ist ein Ort aufgrund
                                                                         von Rettungswegen nicht nutzbar oder sind Alkohol- und Speisenausgabe nicht geneh-
                                                                         migungsfähig, dann sollte dies auch nicht passieren. Versicherungen müssen abgeschlos-
                                                                         sen werden, die Grundlagen müssen abgearbeitet sein, dann hat eine Interimsnutzung
           Foto: Claudia Simchen, Berlin                                 einfacher. Dann gibt es schon Fluchtwege, Toiletten, eine Schankkonzession. Bei anderen
                                                                         Berechtigung. War an Ort und Stelle bereits ein gastronomischer Betrieb vorhanden, ist es

                                                                         Orten sollte eine temporäre Zwischenlösung leichter möglich sein, da sonst auch unge-
                                                                         nutzte tolle Räume durchs Raster fallen. Aber Brandschutz und Sicherheit sollten immer

                                                                         und bei VermieterInnen mehr Offenheit. Einerseits ist es oft einfacher, ein Gebäude leer
           Café Jules Geisberg (2020): altes Postgebäude in Berlin-Schöneberg • Café Jules Geisberg (2020), Berlin-Schöneberg  an erster Stelle stehen. Ich wünsche mir bei BetreiberInnen hier mehr Professionalität
                                                                         stehen zu lassen, als sich um die kurzfristige Nutzung zu kümmern. Andererseits wird
           Jules B-Part am Gleisdreieck in Berlin-Kreuzberg (2019) • Jules B-Part at Gleisdreieck in Berlin-Kreuzberg (2019)  temporären Räumen oft zu lange hinterher getrauert, wenn ihre Ära beendet ist. Im Ide-
            Café Bravo Berlin                                            alfall hat man die Räume so lange genutzt, wie es die Situation erlaubt hat. Im Fangels-
                                                                         bacher Eck und Co. haben wir damals unsere Getränke und Möbel erst rausgetragen,
                                                                         als der Abrissbagger kam. Der Vertrag wurde am Ende wochenweise verlängert. Dieser
                                                                         Spannungsbogen war auch für die Gäste sensationell. Wann auch immer wir das Studio
                                                                         Amore verlassen müssen, bedanke ich mich bereits an dieser Stelle für den Support und
                                                                         jeden Tag der Nutzung, den uns der Vermieter ermöglicht hat.

                                                                         r Interimslösungen für die Gastronomie bedeuten auch, dass mit wenig Budget und
                                                                         einfachen Materialien mehr erreicht werden muss. Ein Vorteil für die Nachhaltigkeit?
                                                                         Ja, temporäre Nutzungen in der Gastronomie können Nachhaltigkeit fördern, indem Res-
                                                                         sourcen kreativ wiederverwendet, umgenutzt und neu betrachtet werden. Ein Beispiel
                                                                         ist die Ciao Amore Pizza mit dem Blockhaus-Interieur. Durch die Nutzung bestehender
                                                                         Elemente ergab sich eine neue Lösung, allein schon durch das gezielte Einsetzen konträ-
                                                                         rer Materialien. So entstand ein Teil des Ausgabetresens, als wir in Berlin Möbel für eine
                                                                         Kaffeerösterei entwarfen. Wir entwerfen oft mit dem Anspruch, möglichst alles wieder-
                                                                         zuverwenden, und wir setzen gezielt Objekte ein, die wir bereits anderswo eingeplant
                                                                         hatten. Bei einer Interimsnutzung wird in der Regel alles danach wieder mitgenommen
           Foto: Supersupply                                             und zum Großteil weiterverwendet. Dann ist doch das pure Nutzen eines Raumes sowie
                                                                         all das, was erwirtschaftet und generiert wurde – Gehälter, Steuern, aber auch Spaß und
                                                                         Freude – schon nachhaltiger als ein Leerstand.

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