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Spolia of Expectations
von • by Carlijn Kingma
www.carlijnkingma.com
Sie sieht sich als Kartografin der Gesellschaft: Carlijn Kingma,
Absolventin der Architekturfakultät der TU Delft, entführt uns an-
hand einer Serie von Zeichnungen in düstere Gedächtnisland-
schaften. Ihre sogenannten „mindscapes“ sind imaginäre
Architekturwelten, die sich aus einstigen und heutigen Zukunfts -
utopien zusammensetzen. Sie zeugen ebenso von der baukünst-
lerischen Beobachtungsgabe wie von den tiefgreifenden kunst -
historischen Kenntnissen der Zeichnerin. Nicht selten wird, wie in
„The Objective Truth Factory“ (S. 26/27), eine Bruegel’sche
Betrachterperspektive eingenommen oder die grotesk-maschi -
nelle Geschäftigkeit aus Hieronymus Boschs Höllenszenarien refe -
renziert. Vor allem augenfällig ist aber die Nähe zu den
l
dimensions osen Kerker- und Ruinenwelten des Giovanni Battista
Piranesi. Indem Kingma dessen historisches Gesellschaftsbild aus
dem 18. Jahrhundert mit Ideenwelten unserer heutigen Zeit –
Kapi talismus, Religion, Politik, Visionen einer idealen Stadt –
zusammenfließen lässt, zeigt sie uns traurigerweise auf, dass sich
wohl nichts ändern wird: Was am Ende bleibt, sind skizzenhafte
Ideen einer besseren Zukunft. In „A History of the Utopian Tradi-
tion“ (S. 40/41) stapelt Kingma daher architekturhistorische
Utopien wie archäolgische Schichten übereinander – von waghal-
sigen Kuppelkonstruktionen der Antike über die in unendliche
Höhen strebende Gotik bis hin zur Kühnheit des italienischen Fu-
turismus: am Ende baut der Mensch doch nur, um später besser
bauen zu wollen, scheint Kingma uns sagen zu wollen. Und so ist
es auch kein Zufall, dass wir bei der kontemplativen Betrachtung
ihrer großformatigen Bildwerke immer wieder auf den babyloni -
schen Turmbau zurückgeworfen werden.