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ÖFFENTLICHE BAUTEN • PUBLIC BUILDINGS
KINGSTON UNIVERSITY
IN LONDON
Entwurf • Design Grafton Architects, IE-Dublin
Mit Universitätsbauten in Mailand und Lima hatten Grafton Architects
bereits auf sich aufmerksam gemacht, und sie bleiben auf Erfolgskurs:
2018 kuratierten Yvonne Farrell und Shelley McNamara die Architek-
turbiennale in Venedig, in diesem Jahr wurden sie mit der RIBA Gold
Medal und dem Pritzker-Preis ausgezeichnet. Nun erweiterten sie die
Kingston University um den spektakulären Neubau Town House.
von • by Anna Katharina Göb
T own House ist das jüngste Gebäude von vier über die Stadt verteilten Standorten
der Kingston University im Südwesten Londons – und der Name ist Programm. Für
die Universität, die mit 19.000 Studierenden immerhin die Hälfte der Einwohner King-
stons stellt, soll der 50 Millionen englische Pfund teure Neubau Zentrum und Visitenkarte
zugleich sein – für Kingston selbst identitätsstiftendes Tor zur Stadt. Bezugnehmend auf
viktorianische Townhouses, die sich durch verklinkerte Fassaden und vorgelagerte, ganze
Straßenzüge verbindende Kolonnaden auszeichnen, wählten Yvonne Farrell und Shelley
McNamara eben diese Architektursprache und gestalteten den orthogonalen, sechsge-
schossigen Baukörper mit einer Fassade aus Ziegelsteinen und einer offen nach außen
tretenden Struktur aus Betonfertigteilen. Die gebaute Offenheit spiegelt die gewünschte
Nutzung wider: Bibliothek und Archiv, Tanzstudio und Theater, Lernort und Café sollen
die Studierenden und die Bevölkerung möglichst schwellenarm zusammenführen. Im
Erdgeschoss liegt neben dem weiten Foyer ein Café direkt an der Straße, und ein zentra-
ler, überdachter, dreigeschossiger Innenhof bietet sich als offener Treffpunkt an. Hier er-
möglichen die weiten Schiebetüren und die breiten Sitztribünen eine flexible Nutzung,
die Blickbeziehungen zwischen den Ebenen machen neugierig auf die unterschiedlichen
Räume. Eine ebenfalls wichtige verbindende Rolle übernimmt die Treppe: Als große Tri-
büne startet sie im Foyer neben dem Café und windet sich – stets schmaler werdend –
bis ins fünfte Obergeschoss, wo sie wiederum im Cafébereich endet. Auf dem Weg dort-
hin erschließt sie 9.400 Quadratmeter Nutzfläche, die zu 50 Prozent offen gestaltet ist.
Einschübe und geschosshohe Glaswän de erzeugen lichtdurchflutete Räume und kom-
munikationsfördernde Zonen, die Studierenden und Anwohnern als Rückzug oder Treff-
punkt dienen können. Die Bibliothek streckt sich dabei entlang der offenen Treppe über
mehrere Etagen – wo sie endet und wo freie Arbeitsräume anfangen, bleibt fließend.
Somit ist eine städtische, demokratische Architektur gelungen, die Studenten und Bürger
gleichermaßen einlädt, das Gebäude für sich persönlich zu erkunden und zu nutzen.
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