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REDINGS ESSAY
HINTER DEM
FLAMINGOTEICH
Ein Essay von Benjamin Reding
I ch wollte nicht hin. Schon gar nicht jetzt. Das Risiko auf Bahnfahrten soll ja höher ist es dann ein Herr Glocker vom städtischen Garten- und Friedhofsamt. Und der legte
sein, hatte ich gelesen. Und ich hatte gehofft, sie rufen mich an. Wenn es ihnen ge-
los, entwarf einen Generaldirektoren-Vorgarten im XXXL-Format. Mit Seilbahn und Lili-
fällt, rufen sie an. Wenn es ihnen weniger gefällt, laden sie einen zum Gespräch. Wenn put-Eisenbahn, verschlungenen Wegen und großen Wiesen, geschwungenen Terrassen
es ihnen gar nicht gefällt, schicken sie einen Brief. Mich luden sie ein. Jetzt, mitten in der und gepunkteten Sonnenschirmen und hie und da noch einer Attraktion: einem Rosa-
Krise. Na, vielleicht gefiel ihnen mein neues Drehbuch sogar etwas mehr als etwas we- rium, einem Eiscafé, einer Voliere, einem japanischen Teehaus, dem Flamingoteich und –
niger. Redaktionsbesprechung im Landesstudio in Dortmund. In meiner alten Heimat- zum Abschluss der Anlage – einem großen See mit Musikbühne, Bootsausleihe und – als
stadt. Ein Zufall. Der ICE war leer und der Bahnhof war leer und die Bahnsteige, die Höhepunkt, als Clou – einer Wasserorgel. Hinter dem Flamingoteich bog ich ab, ging über
Kioske, alles. Wie an einem Sonntag. Einem Sonntag in den Sommerferien. Am Haupt- die große Wiese hinunter zum See. Ungenutzt ratterten die Seilbahn-Gondeln über mich
bahnhof musste ich umsteigen in die Vorortbahn nach Hagen. Auch hier niemand, nicht hinweg. Auch die Wiese lag verlassen bis auf ein junges Ehepaar mit Kindern. Die Eltern
mal die Schaffnerin kontrollierte. So viel Zeit! Sonst kommen die Züge zu spät, jetzt habe machten Bilder mit dem Smartphone, und die Kinder, ein Junge und ein Mädchen, spiel-
ich zwei Stunden zu viel. Der dritte Halt ist das Landesstudio, der zweite heißt „Signal- ten und lachten und juchzten auf dem frisch gemähten Rasen. In der AIT hatte ich über
Iduna-Park“ und meint die Fußball-Arena. Früher stand auf dem Stationsschild „Westfa- die BUGA 2019 in Heilbronn gelesen, dass die Freiflächen dort nach Ende der Ausstellung
lenstadion“ und darunter, versehen mit einem Richtungspfeil, „Westfalenpark“. Ich stieg bebaut würden, mit dringend gesuchten Wohnungen. Die Gartengestalter waren sehr
aus, das Schild schummelte. Der Weg war ziemlich weit. Ich kannte ihn, lange schon. stolz auf ihre Idee. Und ich überlegte, wie dieser Park aussähe, wenn man es nach 1959
Vorbei an Unterführungen, Gleisanlagen, Bundesstraßen, Parkplätzen, Versicherungs- hier genauso gemacht hätte. Dann stünden auf der Wiese 30 Mietsblöcke in Zeilenbau-
glasklötzen und dem verwaisten Stadion, dunkel weise und Ost-West-Ausrichtung und dazwischen
und sinnfrei wie eine plötzlich aufgegebene Ritter- ein paar längst verrostete Teppichstangen. Und wäh-
burg. Außer dem Wort „Park“ in Parkplatz sah hier rend ich die Kinder des Jahres 2020 auf der Wiese
nichts nach Grünfläche aus. Nur ein Imbisswägel- von 1959 herumtollen und sich freuen sah, wurde ich
chen dümpelte einsam wie ein notgelandetes Ufo rebellisch und dachte, wann hat in meiner, wann in
auf der weiten Asphaltfläche: Würstchen Gru- Ihrer Nähe, liebe Leser, überhaupt in den letzten 10,
chowski. „Nicht viel los heute, was?“ Die stämmige 20, 30 Jahren ein Park neu eröffnet? Wo gönnten die
Verkäuferin stand vor dem Wa gen, rauchte, sah Stadtoberen ihren Bewohnern Rasenflächen, Blu-
mich an und schüttelte den Kopf. „Na, wenn hier menbeete, Wasserorgeln und Flamingoteiche? Ich er-
Spiel is, dann vadienen wir uns (Sie sagte vadie- reichte den See. Die Wasserorgel war schon in mei-
nen, im Ruhrgebiet spricht man die Rs nur, wenn es ner Kindheit ein Relikt aus der drolligen Zeit, als Bun-
sich absolut nicht vermeiden lässt.) ´ne goldene deskanzler Zigarren rauchten und Bundespräsiden-
Nase! Und inna Woche kommen se rüba vonne ten Pepita-Hüte trugen. Am Parkeingang zeigte eine
Versicherungen.“ „Und getz?“ (Ah, jetzt fing ich Plastikuhr an, wann die nächste Vorführung der
auch schon an, passiert mir öfter in der alten Hei- Orgel beginnen würde. Dann versammelten sich die
mat.) „Na nix is, tote Hose.“ Sie drückte die Ziga- Parkbesucher an den Ufern des großen Sees und
rette aus. „Abba dat wird schon noch wieda!“ Sie warteten andächtig. „Da-tadatada, tadata, dam,
stopfte neue Servietten in den Halter. „Muss ja, dam, ta.“ Aus knarzigen Lautsprechern ertönten die
meine beiden Dötzken wollen ja auch wat zu fut- Foto: Benjamin Reding ersten Takte von Tschaikowskys Nussknacker-Suite.
tern haben.“ Und sie rief mir noch hinterher: „Und Und plötzlich – „Oh, ah!“ – schossen die Fontänen
dat Se sich nix holen tun, woll!?“ Den Eingang hat- aus dem Wasser, bei jedem Takt auf und ab, mit
ten sie umgebaut. Früher, bei den ersten Besuchen mit den Eltern, war es nicht mehr jedem Tusch, jedem Tremolo mächtiger und höher. „Tidetidelit!“
als eine weiße Kassenhaus-Klinkerkiste; jetzt irgendein aufwendiger Zickzack-Schnick- Mein Smartphone klingelte. Der Redakteur. Ich lauschte, ich nickte: „Natürlich, ja, ver-
schnack, den man zur Bauzeit wohl postmodern genannt hatte. standen, Termin verschoben, wegen der Krankheit. Ersatztermin? Steht nicht fest, aha,
„Da ham Se noch Glück, ab Montag is hier auch allet dicht.“ Der Herr hinter dem Glas Sie melden sich, danke, auf Wiederhören.“ Die Wasserorgel gab es nicht mehr. Abgestellt,
gab mir seufzend das Ticket. „Dat is ne Kacke.“ Er sagt es leise und nicht zu mir. Hinter schon vor Jahren. Aus Kostengründen, wie es hieß. Ich stellte mich an das Ufer, schloss
der Drehtür kam die alte Orientierung schnell zurück: links der Fernsehturm, rechts die die Augen und hörte sie wieder, die Nussknacker-Suite, scheppernd und kratzig, und
große Wiese und in der Mitte – tatsächlich, es gab ihn noch – der „Flamingoteich“, ein spürte die warme Frühlingsluft, roch den frisch gemähten Rasen, hörte das Lachen der
babyblaues Wasserbecken in Nierenform und darin, wie von einem Schaufensterdeko- Kinder. Und plötzlich konnte ich wieder die Hände meiner Eltern spüren, wie sie mich
rateur liebevoll arrangiert, diese geheimnisvollen Vögel, Flamingos, deren pink gefie- links und rechts hielten, fest und sicher. Und dann spürte ich plötzlich Nässe auf meinem
derte Körper jeder Statik zu trotzen scheinen. Den Fernsehturm hatten die Stadtväter Gesicht. Aber das war ja nicht die Fontäne, es muss ein Luftzug über dem See gewesen
1959 zur Eröffnung der Bundesgartenschau „Florianturm“ getauft. Florian? Der Name sein. Ganz gewiss. Jetzt wusste ich, was ich in meiner alten Heimatstadt wollte. Ich nahm
mochte zwar etwas mit Floristik zu tun haben, passte mit seinem Bayerisch aber so den Zug, die Vorortbahn, nur zwei Stationen, dann die Abkürzung vom Bahnhof, wie
wenig zum Ruhrgebiet, als hätte man eine Schachtanlage „Xaver“ oder eine Kohlen- immer. Ich ging die Straße hoch, vorbei an der Kurve mit den zwei Kastanien, und als
halde „Traudel“ genannt. Berühmte Gartenarchitekten hatten für die Dortmunder BUGA ich um die Ecke kam, sah ich Licht in der Küche meiner Mutter und oben im alten Kin-
Entwürfe geliefert: Herrmann Mattern, Gustav Allinger, Herta Hammerbacher. Geworden derzimmer meines Bruders. Ich atmete aus, ich war beruhigt – nein, ich war glücklich.
046 • AIT 5.2020