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ÖFFENTLICHE BAUTEN • PUBLIC BUILDINGS THEORIE •  THEORY



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                                                                          Methoden zu reflektieren, zu hinterfragen und zu optimieren. Die Architekten und Stu-
                                                                          dierenden konnten sich nach und nach ein im Sinne der Soziologin Helga Nowotny „ge-
                                                                          sellschaftlich robustes Wissen“ aneignen, das sie in die Lage versetzte, eine den Nut-
                                                                          zerwünschen konforme Architektur zu entwerfen, ohne dass sich die Nutzer konkret zu
                                                                          Formen, Materialien oder Farben äußern mussten, sondern diese Entscheidungen ver-
                                                                          trauensvoll in die Hände der Architekten legen konnten.
                                                                          Kinder können spielerisch kommunizieren


                                                                          Nach dem Abschluss des Studienreformprojektes 2014 arbeiten Die Baupiloten BDA als
                                                                          Büro für partizipative Verfahren und als Architekturbüro. Für Teilhabeverfahren haben
                                                                          wir aus den Erfahrungen diverser Bauplanungen vielfältige Werkzeuge entwickelt, die
                                                                          in meinem Buch „Partizipation macht Architektur“ anschaulich vorgestellt werden.
                                                                          Wichtig für ein solches Verfahren ist, dass wirklich alle entscheidenden und interessier-
                                                                          ten Akteure einbezogen werden und sich an diesem Prozess kontinuierlich beteiligen.
                                                                          Grundsätzlich haben Die Baupiloten die Teilhabeverfahren in mehrere Schritte unter-
                                                                          teilt. Am Anfang eines solchen Verfahrens steht jeweils ein „Visionen-Workshop“, in
                                                                          dem sich die Beteiligten unabhängig von architektonischen Vorstellungen mit Hilfe von
            Fotos: Jan Bitter, Berlin                                     arbeiten, lernen oder eben leben wollen. Dieser Schritt kann, muss aber nicht in Form
                                                                          mehreren Workshop-Formaten Gedanken darüber machen, in welcher (Um-)Welt sie

                                                                          eines Visionenspiels erfolgen. Schul-, aber auch Kita-Kinder entwickeln in solchen

                                                                          und bringen diese Ideen in atmosphärischen Bildcollagen oder in kleinen Fühlkästen
            Durch die Sheddächer fällt viel Licht von oben ein. • The dynamic roofscape lets in plenty of light.  Workshops eine Vorstellung von der Welt, in der sie leben, lernen und spielen wollen,
                                                                          zum Ausdruck, die die Architekt*innen bei ihren Entwürfen aufgreifen und atmosphä-
                                                                          risch in Architektur umsetzen (können). Aus den Wunschvorstellungen entstehen ar-
            Viele Bezüge zur Außenwelt für insgesamt 105 Kinder. • Many references to the outside for 105 kids.  chitektonische Konzepte, die später wiederum als Basis für architektonische Entwürfe
                                                                          dienen. Die Kommunikation über Atmosphären wird dabei zu einem wichtigen Instru-
                                                                          ment. In einem zweiten Schritt, einer „Weiterdenken-Werkstatt“, soll dann in Rückkopp-
                                                                          lung der Ergebnisse aus den Workshops über konkretere Fragen zur Verwirklichung des
                                                                          Projektes wie funktionale und programmatische Beziehungen und Synergien der ein-
                                                                          zelnen Nutzungen nachgedacht werden. Danach kommt der architektonische Entwurf,
                                                                          der mit der partizipativen Arbeit eine tragfähige Grundlage für das Funktionieren der
                                                                          Schule oder der jeweiligen Einrichtung liefern soll.

                                                                           „Für Kindertagesstätten ist die partizipative
                                                                             Planung ein wichtiges Einsatzfeld, weil

                                                                            hier pädagogisch-räumliche Aspekte eine
                                                                                       besondere Rolle spielen.“

                                                                                          Dr. Susanne Hofmann
            Grundriss Erdgeschoss • Ground floor plan

                                                                          Zu den Baupiloten-Instrumenten der Vision- oder Wunscherforschung gehören deshalb
                                                                          auch Planspiele. Die Baupiloten BDA haben mit Unterstützung der Hans-Sauer-Stiftung
                                                                          das Schul-Visionenspiel entwickelt, das Schulen und Kommunen eine eigenständige
                                                                          partizipative Bedarfsanalyse ermöglicht. In 100 Minuten und 17 Schritten werden in die-
                                                                          sem Spiel die unterschiedlichen Bedürfnisse aller Nutzergruppen im Dialog mit Politik
                                                                          und Verwaltung spielerisch erkundet, Prioritäten verhandelt und zu einer gemeinsamen
                                                                          räumlich-pädagogischen Programmierung für die Schule zusammengebracht. Das hilft
                                                                          allen an diesem Prozess Beteiligten, ihre Vorstellungen über das Zusammenwirken von
                                                                          Pädagogik und Architektur zu schärfen und zu formulieren. Das Ergebnis des Verhand-
                                                                          lungsspiels bietet eine Raumbedarfsanalyse und zeigt Nutzerwünsche sowie Funktions-
                                                                          zusammenhänge der zukünftigen Schule auf. Es bildet ein abstraktes Schulbaukonzept
                                                                          in Form einer pädagogisch-räumlichen Zonierung und Zuordnung ab, keinen architek-
                                                                          tonischen Entwurf. Deshalb wird dieses Instrument oft als Orientierung der Bauherren
                                                                          und Nutzer in der Phase Null vor der eigentlichen Bauplanung eingesetzt. Das Schul-Vi-
                                                                          sionenspiel lässt der Fantasie der Spieler einerseits freien Lauf, strukturiert ihre Visio-
                                                                          nen andererseits aber so, dass das Spielergebnis als Grundlage und Anregung für den
                                                                          Entwurf eines Neubaus oder eines umfassenden Umbaus einer Schule oder der Neuge-
                                                                          staltung einer Lernlandschaft verwendet werden kann.

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