Page 66 - AIT0518_E-Paper
P. 66

REDINGS  ESSAY

                                                      DIE DICKE




                                                      MELUSINE






                                                               Ein Essay von Benjamin Reding




               D   as schaffst du nie.“ Das hatte ich doch schon mal gehört! Das schaffst du nie. Dieser  Und tatsächlich, es gab grünen Noppenboden  wie im Flughafen und Stege rauf und
                   aufstrebende Jungschauspieler hatte es mir zugezischt, am Abend meiner ersten Pre -
                                                                             Rampen runter, Lisenen hier und Bögen da, Gänge rauf und Treppen ab, alles unruhig,
               miere als Regie-Assistent am Theater. „Das Stück mag ja okay sein“, hatte er gesagt, „aber  schräg und durcheinander. Genau wie ich. Nicht auszuhalten. Ich ging hinaus. „Wenn es
               deine Schauspielführung, die war schwach.“ Und ich, übermütig, vom Premierenerfolg  dem Direktor gefällt, dann vergisst er, weiterzurauchen, dann wird die Asche an seiner
               beflügelt, rief: „Dann lerne ich das, wie du, auf einer Schauspielschule.“ Er hatte mich ge -  Zigarette länger und länger, daran könnt ihr erkennen, ob ihr auf dem richtigen Weg seid.“
               mustert und dann gelacht. „Das schaffst du nie.“ Und darum saß ich hier, im Zug nach  Die höheren Semester verteilten Brötchen und Kaffee und gaben Tipps und vor der Probe-
               Stuttgart. Auf dem Weg zur Schauspielprüfung. Jetzt hörte ich es wieder: „Das schaffst du  bühne drängten sich die Hoffnungsvollen und lauschten. Ein paar fielen auf. Ein süd ländi -
               nie.“ Eine junge Frau sagte es zu sich selbst. Sie saß auf einem der hinteren Plätze und  scher Schönling, den alle kannten, weil er an einer TV-Castingshow teilgenommen hat te,
               blätterte mit zittrigen Fingern in gelben Reclam-Bändchen. Jeans, C&A-Pullover, Karstadt-  eine fragile Schwarzhaarige, die ei ner schmerzverzückten Nonne im Fege feuer glich, und
               Föhnfrisur, pausbäckig, etwas rundlich. Sie flüsterte: „Wenn aber töricht jetzo Dir mein Tun  ein rundliches, kettenrau chen des, unaufhörlich Antigone in Ruhrge bietsdeutsch brabbeln-
               erscheint, mag wohl ein Tor mich der Torheit bezichtigen.“ Antigone! Also auch eine für  des Nervenbündel: Bir te. „Fisch are dschumping, so lustig!“ Birte begrüßte mich, als
               die Prüfung. Das sprechen sie alle: Antigone, Gretchen, Lady Macbeth. Was nicht gut ist.  kenne sie mich schon ewig. Dann übte sie ihre Antigone und machte dazu Bewegungen
               Dann haben die Lehrer zu viel Aus wahl, zu viel Vergleich. „Nee, der Torheit mich ein Tor  wie eine Stummfilmdiva. „Himmel, das hält man nicht aus!“ „Wat? Wieso?“ „Kannst Du
               bezichtigen ...“ Sie verhedder te sich, fing von vorne an, verhedderte sich wieder. Und  nicht  was  anderes?  Was  Leichtes,  Heite res?“  Ah,  nein,  jetzt  gab  ich  ihr  auch  noch
               sprach Ruhrgebietsdeutsch. Antigone mit „wat“ und „dat“. Ich starrte angestrengt aus   Ratschläge, ich Blödi. „Die dicke Melu si ne.“ „Kenn´ ich nicht.“ „Ist superlustig.“ „Aber ich
               dem Fenster. Hoffent lich spricht sie mich nicht                                          kann das nicht spielen, ich bin ja nicht dick.“
               an. „Gehst auch zur Schauspielprüfung?“ Ger -                                             Ich wollte widersprechen, ließ es aber. „Stopf
               ne hätte ich Nein gesagt. Aber man soll einen                                             dir Ta schentücher in die Backen. Und sprich es
               schweren Prüfungstag nicht mit einer Lüge be -                                            auf Ruhrgebiet le risch.“ „Aba dat geht nich, ich
               ginnen. „Ja!“ „deine wie vielte?“ Ihre Stimme                                             sprech im ma Hochdeutsch.“ Sie sagte es vol -
               eierte vor Aufregung. „Meine fünfte!“, „Boah,                                             ler Ernst. „Dann sprich es wie immer, okay?“
               erst? Meine ist die 18-te!“, „Nein?“ „Doch!“                                              Sie nickte. „Reding!“ Ein älterer Herr stand in
               „Nein, so  viel Schulen gibt es gar nicht!“,                                              der Probenraumtür, er rauchte, keine Asche
               „Doch, bei ein paar bin ich zwei mal hin.“ Sie                                            hing an seiner  Zigarettenspitze, und  winkte
               war also ein heilloser Fall, einer von diesen                                             mich herein. Ich spielte den Carlos, ernst und
               jungen Menschen, die alle ihre Probleme, alle                                             durchtrieben, ich spielte den Stanley Kowals -
               ihre Sehnsüchte, alle Sorgen, alle Ängste,                                                ki, ernst und wütend, und den Biff, ernst und
               Hoffnungen, Fragen, Zweifel in einen einzigen                                             verzweifelt. Hell strahlten die Bühnenschein -
               Satz packen und denken, er und er allein sei                                              werfer.  „Können  sie  auch  was  Lustiges,
               die Antwort: Ich muss  zum  Theater! “Was                                                 Leichtes?“ Die Stimme kam aus dem Dunkel,
               sprichst du vor?“ „Antigone, Gret chen und La -                                           sie klang freundlich, aber bestimmt. Nein, ich
               dy Macbeth.“ Sie ist verloren, dachte ich. Aber                                           hatte nichts vorbereitet. „Vielleicht ein Lied?“
               immerhin, nicht Linden straße oder so  was.                                               Ich suchte, grübelte. „Oh ja ... ja!“ Und ich
               „Und Lindenstraße, Folge 700, wo die Urszula                                              sang: „Summertime and the livin´ is  easy. Fish
               den Paolo verlässt. Und du?“, „Carlos aus Cla -  Fotos: Benjamin Reding                   are jumpin´ and the cotton is high.“ Beim
               vigo,  Stanley  Kowalski  aus  Endstation  Sehn -                                         Herausgehen meinte ich, an der Zigarette des
               sucht und den Biff aus Tod eines Handlungs -                                              Direktors etwas Asche hängen zu sehen, aber
               reisende.“ „Hast du nix Lustiges? Vielleicht ´n Lied?“ „Nee, das ist doch keine Musical-  vielleicht täuschte ich mich auch. Und dann riefen sie: „Holtkötter!“ Die Ergebnisse gab es
               Schu le“, „Dann sing  was für mich,  was Lustiges!“ Ich grübelte. „Kannst du keins?“,  am Nachmittag. Zwei Stunden warten. Ich ging weg, runter in die Stadt. Bis zum Museum
               „Doch!“ Unsicher sang ich was an. „Summertime and the livin´ is easy, fish are jumpin´  schaffte ich es, dann kam die Erschöpfung. Mir fehlte das Geld, aber verschlungene Wege
               and the cotton is high.“ „Fisch are dschumping“, sie begann zu lachen, ein völlig ent -  und Treppen führten eintrittsfrei bis in den Innenhof. Kreisrund, von Statuen umstellt und
               hemm tes, unkontrolliertes Lachen. Sie streckte die Hand aus. „Ich bin übrigens Birte, Birte  mit Efeu bewachsen. Ich legte mich nieder und die Stuttgarter Sonne beschien mich.
               Holtkötter.“ „Kein Star-Name.“ Es rutschte mir so raus. „Nee, aber der wird einer!“ „Und  Die Proberaumtür öffnete sich, die Unruhe, das überdrehte Reden, Husten, Kichern ver -
               was machst du, wenn sie dich nicht nehmen?“ „Dann spring ich aus dem Fenster.“   stumm te. Der Direktor schaute in die Runde, bat von Bekundungen der Freude oder der
               Frieden lag über der Stadt. Es roch nach Sommer, nach gemähtem Rasen, nach Taxi-Diesel  Trauer Abstand zu nehmen, kramte einen Zettel aus der Jackentasche und las vor: „Cor ne -
               auf dem morgendlichen, menschenleeren Bahnhofsvorplatz. Ich war zu früh da, viel zu  lio Armato.“ (Der Schönling, klar!) „Felicitas Kirchberg.“ (Die sensible Nonne!) „Birte
               früh. Sie hatte ich abgehängt, sie musste rauchen, irgendwo Zigaretten kaufen. Den Weg  Holtkötter.“ „AAAAHHH!!!“  Birte schrie auf, dann begann sie zu lachen, dann zu weinen,
               zur Schauspielschule kreuzte eine autobahnbreite Straße, wie ein Messerschnitt durch die  dann sackte sie vom Stuhl. Die folgenden Namen waren kaum zu verstehen. Irgendwann
               Stadt, und dahinter erhob sich ein Museum. Ich kannte es, mein Bruder studierte Archi -  als letzten hörte ich meinen. Der Weg zurück führte am Museum vorbei. Aha, hier würde
               tektur und hatte mir den Bau erklärt. Es sei postmodern und ganz missglückt. Außen römi -  ich also die nächsten drei Jahre lang gehen. Ich sprang die Stufen herunter. Zwei auf ein-
               sches Kolosseum und innen grüner Plastikboden und Säulen aus Gips. Ich ging hinein.  mal. Mir gefiel das Museum. Boah, was für ´n geiles Haus!


               066  •  AIT 5.2018
   61   62   63   64   65   66   67   68   69   70   71