Page 59 - AIT0518_E-Paper
P. 59

Lilly Reich


                                                                              1885 geboren in Berlin, Abitur, Ausbildung als Kurbelstickerin 1908 Arbeit bei Josef Hoffmann, Wiener Werk stätte
                                                                              1911 Mitarbeit Ausstellung „Die Frau im Haus und im Beruf“ 1920 Berufung Vorstand des Deutschen Werkbundes
                                                                              1931 Musterhaus Berliner Bauaustellung 1945 Gründung Interessengemeinschaft Innenausbau 1947 gestorben
























                Aus: Bauwelt Nr. 9, 1911                                      Aus. Die Welt. Heft 24, 1912, S. 477




                Lehrerinnenzimmer – Charlottenburger Jugendheim 1911 • Women Teachers´ room Charlottenburg Youth Center  Arbeiterwohnung – Ausstellung „Die Frau im Haus und im Beruf“ 1912 • Worker´s Apartment Berlin 1912



                von • by Dr. Magdalena Droste
                L  illy Reich, geboren am 16. Juni 1885 in Berlin, hatte keine professionelle Ausbildung  die Leistung auf dem Gebiet der Schaufensterdekoration zu zeigen.“ Den Zugang und
                                                                              schnellen Aufstieg in diesen „weiblichen Räumen”  verdankte Reich nicht nur ihrer
                   als Architektin, sondern durchlief eine breit gefächerte Schulung mit Schwerpunkt
                auf textilen Techniken, Mode und Inneneinrichtung, wie sie um 1900 typisch war für die  Begabung, sondern auch ihrer Mitgliedschaft in zwei damals einflussreichen Vereinen:
                vielen jungen Frauen, die als Künstlerinnen selbstständig arbeiten wollten. Als eine der  Der eine ist der noch heute bestehende Lyceum-Club, der akademisch und künstlerisch
                ganz wenigen dieser Kunstgewerblerinnen – so adressierte sie der Deutsche Werkbund  tätige Frauen förderte. Noch  wichtiger  war ihre Mitgliedschaft im 1907 gegründeten
                noch 1928 – gelang es ihr, ihre Karriere nach dem Ersten Weltkrieg in der Weimarer  Deutschen Werkbund, der die Zusam  menarbeit zwischen Produktion, Handel und Kunst
                Republik fortzusetzen. In den Jahren zwischen 1927 und 1931 schuf sie ihre besten und  als „Durchgeistigung der deutschen Arbeit“ förderte. Hier konnte man nur durch
                schönsten Arbeiten in kreativer Kooperation mit dem Architekten Ludwig Mies van der  Empfehlung Mitglied  werden, der Anteil der Künstlerinnen  war gering.  Beide
                Rohe. Das einzige Haus, das sie selbstständig entwarf, war ein Musterhaus in der riesi-  Mitgliedschaften sind Indizien der frühen professionellen Vernetzung Reichs.
                gen Ausstellungshalle auf der Berliner Bauausstellung 1931. Alle anderen realisierten
                Bauauf gaben sind Umbauten. Im historischen Rückblick liegen ihre Qualitäten im  „... ein ordentliches Schlafzimmer von Fräulein Reich.“
                Bereich der Inneneinrichtung, der Ausstellungsgestaltung und des De signs. Heute kön-
                nen wir sie noch zusätzlich als Kuratorin bezeichnen. Trotz ihrer anerkannten Erfolge  Die „Innenarchitektur” galt als das „jüngste Gebiet”, „auf dem die Frau sich selbständig
                war sie nach 1945 schnell vergessen. Ihre Renaissance begann 1977 in den USA mit  betätigt”, und Reich wurde in einem Artikel zu „den besten Namen” auf dem Gebiet der
                Ludwig Glaesers Publikation zu Mies Möbeln und setzte sich dann 1988 in Deutschland  Raumkunst gezählt. Reich agierte in den „weiblichen Räu men”, aber sie überschritt sie
                mit Sonja Günthers erster Mono gra fie fort. 1996 organisierte das Museum of Modern  zunehmend. Über die Weltkriegsjahre wissen wir wenig. 1915 zeigte das Fachblatt für
                Art, das ihren Nachlass bewahrt, die erste und bislang einzige Ausstellung. Das Buch  Holzarbeiter „ein ordentliches Schlafzimmer”  von „Fräulein Reich”. Im gleichen Jahr
                von Christiane Lange 2006 war die erste fokussierte Einzeluntersuchung über „Möbel  organi sierte sie mit dem Plakat künstler Lucian Bernhard – wieder im Rahmen des Werk -
                und Räume”. Es existiert kein einziger Lebens lauf aus der Hand  von Lilly Reich.  bundes – ehrenamtlich eine Modenschau der  zwölf führenden Berliner Konfek tions -
                Familiärer Überlieferung zufolge absolvierte sie nach dem Abitur eine Ausbildung als  häuser im preußischen Abgeord netenhaus. Ziel war die Förderung der deutschen Mode,
                Kurbel stickerin und arbeitete 1908 bei Josef Hoff mann an der Wiener Werkstätte. Ihre  wofür Lilly Reich noch 1922 warb, bis der Deutsche Werkbund dies aus seiner Agenda
                wohl erste Erwähnung in der Bauwelt 1911 nennt sie allerdings „eine Schülerin Else  strich. In den folgenden Jahren sollte der Werkbund einer ihrer wichtigsten Auftraggeber
                Oppler-Legbands”. Reichs erste Nennung betrifft die Inneneinrichtung des von Hermann  bleiben. 1920 wurde sie als erste Frau in dessen Vorstand berufen. In den frühen Jahren
                Dernburg entworfenen Jugend heims der Stadt Charlottenburg in der Goethe straße 22.  der  Weimarer Republik kuratierte Reich  zunehmend Design ausstellungen. Ihre erste
                Hier hat „Lilly Reich mit großem Feingefühl und mit den einfachsten Mitteln Ordnung,  eigenständige Ausstellung war anscheinend 1919 „Kunsthand werk in der Mode“, die im
                Sauberkeit, Schönheit zu schaffen verstanden“ und 32 Räume eingerichtet. Nur wenige  damaligen Kunstgewerbe museum, dem heutigen Berliner Gropiusbau stattfand. Es folgte
                Monate später meldet die Fach presse ihre Mitarbeit an der Ausstellung „Die Frau in  1920/21  eine Wander ausstellung für die USA, ihre Mit arbeit 1922 an der Deutschen
                Haus und Beruf“ (ab 24. Februar 1911) in den Berliner Hallen am Zoo, die unter dem Pro -  Gewerbeausstellung in München, ihre Tätigkeit für die Wanderausstellung „Die Form“
                tektorat der Kaiserin stand. Hier war Else Oppler-Legband leitend tätig. Reich stellte eine  und gleichzeitig ihre mehrjährige Arbeit im Haus Werk bund beim Messeamt in Frankfurt/
                Arbeiter wohnung aus. Else Oppler-Legband war auch die geschäftsführende Vor sitzen -  Main. Auf diesen Ausstellungen wurde das neue Design der 1920er-Jahre geboren, und
                de des Hauses der Frau auf der großen Kölner Werkbund-Ausstellung 1914, wo Reich in  Reich saß an vielen Schaltstellen, die Auswahl, Organisation und Aufbau betrafen. Ihr
                der Abteilung „Raumkunst“ einen  Wohnraum  eingerichtet hatte und  Maschi -  aus  heutiger  Sicht  wichtigster  Groß auftrag  war  die Ausstellung  „Von  der  Faser  zum
                nenstickereien zeigte. Zusätzlich war Reich für den „Vitrinengang” zuständig, arbeitete  Gewebe“ für die Frankfurter Messe im September 1926, die eine ganze Halle ausfüllte.
                also als Schau fenstergestalterin, einer Vorform des späteren Ausstellungsdesigns, „um  Daneben betrieb sie ihr Atelier für hochwertige handgefertigte Mode in Frankfurt und ab


                                                                                                                              AIT 5.2018  •  059
   54   55   56   57   58   59   60   61   62   63   64