Page 90 - AIT0517_E-Paper
P. 90
ÖFFENTLICHE BAUTEN • PUBLIC BUILDINGS LITERATUR • LITERATURE
lang unser Lieb lings fotograf. Wir ha ben
die Gebäude entworfen, er hat sie foto-
grafiert … Und was er für Fo tos machte …
Wie gekonnt er die richtigen Blick winkel
und die Kontraste in der Architek tur traf,
von der er so viel verstand!“ Tat sächlich
scheint hier das Ver ständnis für die Archi -
tektur eine Grund voraussetzung für die
fotografische Um setzung zu sein. Gau the -
rot hatte selbst in den 1920er-Jah ren Ar -
chi tektur studiert und später den Satz ge -
prägt „Fotografie ist Ar chitektur“. Je mand,
der nichts von Archi tektur verstehe, so
Gautherot, sei schlichtweg nicht imstan -
de, ein guter Fotograf zu sein. So schreibt
er in einem Artikel für die Zeit schrift „Dis -
Marcel Gautherot, 1910–1996 cours sur l’architecture française“. Gau -
the roth ist ein Kind der Zeit, als die Archi -
Seit Beginn des Zweiten Weltkriegs war tek turmo derne zu ihrem großen Sprung
Bra siliens Attraktivität für Fotografen und an setzte: 1925, als er mit dem Architektur -
Fotokünstler groß. Das lag auch an der re - stu dium begann, setzten Le Corbusier
gen Bautätigkeit in Brasília – an Brasi liens und Pierre Jeanneret mit dem „Pavillon
fantastischer Architektur-Moderne. Auch l’Esprit Nouveau“ für die Welt ausstellung
Marcel Gautherots Werk wird vor al lem des Kunstgewerbes und In dus triedesigns
mit seinen Bildern des Aufbaus von Bra - ein eindrucksvolles Zei chen. In seinem
sília und mit der Architektur von Os car Werk, das seit 1939 fast ausschließlich in
Niemeyer verbunden. Doch war er nicht Bra si lien entsteht, versammelt Gautherot
nur an dem neuen Brasilien interessiert. viele Schlüsselmo mente der brasiliani-
Volkstümliche Riten, die Fischer von Be - schen Architekturge schichte – fotografiert
lém oder Bilder aus dem Dschungel sind stets im quadratischen 6x6-Format mit
ebenfalls Teil seines großen Werks, das der Rollei flex. Im Gleich ge wicht sind
jüngst in einer Ausstellung im „Mai son diese Archi tektur bil der. Das Buch zeigt:
Eu ropéenne de la Photographie“ in Paris Gauthe rot ist der große Sta ti ker unter den
wie derentdeckt wurde. Begleitend zu der Foto grafen. Doch gelingen ihm nicht nur
Schau des französisch-brasilianischen Fo - Ar chitek tur foto gra fien, sondern auch ein-
tografen ist vor Kurzem ein Buch im Ver - dringliche Land schaftsbilder vom Amazo -
lag Scheidegger & Spiess erschienen. Es nas, mo ment hafte Darstellun gen von Ca -
ist die erste Monografie des 1910 gebore- poeira-Tänzern und Szenen von Volkstän -
nen und 1996 verstorbenen Foto grafen. Im zen wie der „Festa do Guerrei ro“, fotogra-
Zentrum stehen seine Bilder Brasílias, wel- fiert in Ma ceió um 1956. Es entstehen
che die Baustellen und die Arbeiten zei- Reise- und Landschaftsimpres sio nen, Por -
gen – aber auch die fertigen Gebäude. Der trätfoto gra fie, ethnologische Bilderkun -
Band umfasst mehr als 200 Fotogra fien dun gen oder Alltagsaufnahmen. Um 1954
aus allen Schaffensphasen. Er wird her- et wa fotografiert er Boote im Hafen beim
ausgegeben vom „Ins tituto Moreira Sal - Markt Ver-o-Peso in Belém, zwei Jahre
les“ in Rio de Janeiro, das Gautherots spä ter gelingt ihm ein wunderbares Por -
Nachlass beherbergt. Die einführenden trät einer Ver käu ferin bei der Prozes sion
Texte stammen unter anderem von Sa - zu Ehren des Herrn der Seefahrer in Sal -
muel Titan Jr., dem Direktor des „Instituto vador. Schon 1943 fängt er die Linien ei -
Moreira Sal les“, und von Sergio Burgi, ner Fächer pal me auf ungesehene Art und
des sen Kurator und Res tau rator. Sie er - Wei se ein. Doch in Erinnerung geblieben
läutern den Weg Gautherots vom „Do - sind nicht so sehr die Bilder, welche die
kumen ta ris ten im Gewand eines Ethno - Natur schönheiten oder die kulturelle Viel -
logen“, wie es Michel Frizot ausdrückt, falt Brasiliens vor Augen führen, sondern
hin zur Entde ckung der Fotogra fie als sei- vor allem seine Architekturfotogra fien der
ner ei gentlichen Beru fung. Die fotografi- Nie meyer-Bau ten, deren wunderbare Kur -
sche Ausein an derset zung mit der moder- ven er wie kein anderer einzufangen ver-
nistischen Formen spra che wird bald das mocht hat. Marc Peschke
be vorzugte Feld des Fotografen. Schon
zwischen 1942 und 1944 dokumentierte er Marcel Gautherot – Die Monografie
den Komplex Pam pulha von Oscar Nie - Herausgegeben von Samuel Titan Jr. & Sergio Burgi. Er schie -
meyer in Belo Hori zon te. Sein Auftragge - nen 2016 im Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich. Deutsch.
ber, Niemeyer, war von seiner Arbeit über - 256 Seiten. Hardcover. Format: 23,5 x 27,5 cm. 48,00 EUR.
zeugt: „Marcel Gau therot war viele Jahre ISBN 978-3-85881-495-1