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ÖFFENTLICHE BAUTEN  •  PUBLIC BUILDINGS LITERATUR • LITERATURE

                                                                                                           lang unser Lieb lings fotograf. Wir ha ben
                                                                                                           die Gebäude entworfen, er hat sie foto-
                                                                                                           grafiert … Und was er für Fo tos machte …
                                                                                                           Wie gekonnt er die richtigen Blick winkel
                                                                                                           und die Kontraste in der Architek tur traf,
                                                                                                           von der er so viel verstand!“ Tat sächlich
                                                                                                           scheint hier das Ver ständnis für die Archi -
                                                                                                             tektur eine Grund voraussetzung für die
                                                                                                           fotografische Um setzung zu sein. Gau the -
                                                                                                           rot hatte selbst in den 1920er-Jah ren Ar -
                                                                                                           chi tektur studiert und später den Satz ge -
                                                                                                           prägt „Fotografie ist Ar chitektur“. Je mand,
                                                                                                           der nichts von Archi tektur verstehe, so
                                                                                                           Gautherot, sei schlichtweg nicht imstan -
                                                                                                           de, ein guter Fotograf zu sein. So schreibt
                                                                                                           er in einem Artikel für die Zeit schrift „Dis -
                                                                             Marcel Gautherot, 1910–1996   cours sur l’architecture française“. Gau -
                                                                                                           the roth ist ein Kind der Zeit, als die Archi -
                                                                             Seit Beginn des Zweiten Weltkriegs war  tek turmo derne zu ihrem großen Sprung
                                                                             Bra siliens Attraktivität für Fotografen und  an setzte: 1925, als er mit dem Architektur -
                                                                             Fotokünstler groß. Das lag auch an der re -  stu dium begann, setzten Le Corbusier
                                                                             gen Bautätigkeit in Brasília – an Brasi liens  und Pierre Jeanneret mit dem „Pavillon
                                                                             fantastischer Architektur-Moderne. Auch  l’Esprit Nouveau“ für die Welt ausstellung
                                                                             Marcel Gautherots Werk wird vor al lem  des Kunstgewerbes und In dus triedesigns
                                                                             mit seinen Bildern des Aufbaus von Bra -  ein eindrucksvolles Zei chen. In seinem
                                                                             sília und mit der Architektur von Os car  Werk, das seit 1939 fast ausschließlich in
                                                                             Niemeyer verbunden. Doch war er nicht  Bra si lien entsteht, versammelt Gautherot
                                                                             nur an dem neuen Brasilien interessiert.  viele Schlüsselmo mente der brasiliani-
                                                                             Volkstümliche Riten, die Fischer von Be -  schen Architekturge schichte – fotografiert
                                                                             lém oder Bilder aus dem Dschungel sind  stets im quadratischen 6x6-Format mit
                                                                             ebenfalls Teil seines großen Werks, das  der Rollei flex. Im Gleich ge wicht sind
                                                                             jüngst in einer Ausstellung im „Mai son  diese Archi tektur bil der. Das Buch zeigt:
                                                                             Eu ropéenne de la Photographie“ in Paris  Gauthe rot ist der große Sta ti ker unter den
                                                                             wie derentdeckt wurde. Begleitend zu der  Foto grafen. Doch gelingen ihm nicht nur
                                                                             Schau des französisch-brasilianischen Fo -  Ar chitek tur foto gra fien, sondern auch ein-
                                                                             tografen ist vor Kurzem ein Buch im Ver -  dringliche Land schaftsbilder vom Amazo -
                                                                             lag Scheidegger & Spiess erschienen. Es  nas, mo ment hafte Darstellun gen von Ca -
                                                                             ist die erste Monografie des 1910 gebore-  poeira-Tänzern und Szenen von Volkstän -
                                                                             nen und 1996 verstorbenen Foto grafen. Im  zen wie der „Festa do Guerrei ro“, fotogra-
                                                                             Zentrum stehen seine Bilder Brasílias, wel-  fiert in Ma ceió um 1956. Es entstehen
                                                                             che die Baustellen und die Arbeiten zei-  Reise- und Landschaftsimpres sio  nen, Por -
                                                                             gen – aber auch die fertigen Gebäude. Der  trätfoto gra fie, ethnologische Bilderkun -
                                                                             Band umfasst mehr als 200 Fotogra fien  dun gen oder Alltagsaufnahmen. Um 1954
                                                                             aus allen Schaffensphasen. Er wird her-  et wa fotografiert er Boote im Hafen beim
                                                                             ausgegeben vom „Ins tituto Moreira Sal -  Markt Ver-o-Peso in Belém, zwei Jahre
                                                                             les“ in Rio de Janeiro, das Gautherots  spä ter gelingt ihm ein wunderbares Por -
                                                                             Nachlass beherbergt. Die einführenden  trät einer Ver käu ferin bei der Prozes sion
                                                                             Texte stammen unter anderem von Sa -  zu Ehren des Herrn der Seefahrer in Sal -
                                                                             muel Titan Jr., dem Direktor des „Instituto  vador. Schon 1943 fängt er die Linien ei -
                                                                             Moreira Sal les“, und von Sergio Burgi,  ner Fächer pal me auf ungesehene Art und
                                                                             des    sen Kurator und Res tau rator. Sie er -  Wei se ein. Doch in Erinnerung geblieben
                                                                             läutern den Weg Gautherots vom „Do -  sind nicht so sehr die Bilder, welche die
                                                                             kumen ta ris ten im Gewand eines Ethno -  Natur schönheiten oder die kulturelle Viel -
                                                                             logen“, wie es Michel Frizot ausdrückt,  falt Brasiliens vor Augen führen, sondern
                                                                             hin zur Entde ckung der Fotogra fie als sei-  vor allem seine Architekturfotogra fien der
                                                                             ner ei gentlichen Beru fung. Die fotografi-  Nie  meyer-Bau ten, deren wunderbare Kur   -
                                                                             sche Ausein an derset zung mit der moder-  ven er wie kein anderer einzufangen ver-
                                                                             nistischen Formen spra che wird bald das  mocht hat.                        Marc Peschke
                                                                             be vorzugte Feld des Fotografen. Schon
                                                                             zwischen 1942 und 1944 dokumentierte er  Marcel Gautherot – Die Monografie
                                                                             den Komplex Pam pulha von Oscar Nie -  Herausgegeben von Samuel Titan Jr. & Sergio Burgi. Er schie -
                                                                             meyer in Belo Hori zon te. Sein Auftragge -  nen 2016 im Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich. Deutsch.
                                                                             ber, Niemeyer, war von seiner Arbeit über -  256 Seiten. Hardcover. Format: 23,5 x 27,5 cm. 48,00 EUR.
                                                                             zeugt: „Marcel Gau therot war viele Jahre  ISBN 978-3-85881-495-1
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