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Felicitas Seidler

                Portraitfotos: Filine Fink  1974 geboren in Hildesheim 1993 Schulabschluss, danach Praktika bei einem Tischler und in einem Architekturbüro in Hildesheim 1994–1999 Architekturstudium in Bremen 2000–

                                     2003 Praktikum und Ausbildung zur Goldschmiedin in Hamburg 2004 Umzug nach Berlin, freiberufliche Goldschmiedearbeiten in einer Gemeinschaftswerkstatt 2006 Gründung
                                     des eigenen Labels Felicious 2008 Eröffnung des eigenen Ladens und Studios in Berlin-Mitte Kontakt www.felicious.com, me@felicious.com




















                Fotos Square Wire: Caroline Heinecke








                Serie Square Wire: in Material und Formensprache so zeitlos wie die Architektur der Moderne • Square Wire series: material and design vocabulary are as timeless as modern architecture.




                Felicitas Seidler hat  Architektur studiert und anschließend  man beim Goldschmieden auch davon, ein Stück zu „bauen“. Die Ausbildung war
                –  ja  richtig, in dieser Reihenfolge! – eine Ausbildung zur Gold-  überaus sinnvoll, da ich auch lernte, wie man einen Laden und Kundengespräche
                schmiedin absolviert. 2006 gründete sie ihr eigenes Schmuck -  führt und Produkte kalkuliert – extrem wichtig für meine spätere Selbstständigkeit.
                label Felicious in Berlin. Die architektonische Prägung ist ihren
                Schmuckserien deutlich anzusehen. Warum dieser Weg für sie    r Zeitlosigkeit ist ein hoch geschätztes Kriterium in der Architektur. Auch im
                der richtige war, was es braucht, um als Schmuckdesignerin  Schmuckdesign scheint Ihnen dieser Aspekt sehr wichtig zu sein …
                erfolgreich zu sein, und warum sie Wachstum nicht um jeden    Schön, dass Sie das so sehen! Ich stimme Ihnen zu. Ich empfinde meinen Schmuck
                Preis will, erklärt Felicitas Seidler in diesem Interview.    als so zeitlos wie die Architektur der Moderne. Es gibt also einen mehr oder weni-
                                                                              ger eindeutigen Zeitbezug, der mehrere Jahrzehnte umfasst. Gleichzeitig interes-
                Felicitas Seidler studied architecture and afterwards – right, in  siert mich auch der Zeitgeist von heute, dem kann und will ich mich gar nicht ent-
                that order! – completed an apprenticeship to become a gold-   ziehen. Dies schlägt sich aber eher in der Produktionsweise nieder, indem ich bei-
                smith. In 2006, she founded her own Felicious jewellery label  spielsweise Prototypen in 3-D drucken lasse.
                in Berlin. The architectural imprint can be clearly seen in her je-
                wellery series. In this interview, Felicitas Seidler explains why  r Architekten legen in der Regel nicht selbst Hand an auf der Baustelle. Wie
                this path was the right one for her, what it takes to be success-  wichtig ist es Ihnen, selbst etwas herzustellen und „ihr eigenes Ding zu ma-
                ful as a jewelry designer, and why she is not interested in   chen“ – unabhängig von Fachplanern, Ämtern und Bauherren?
                growth at any price.                                          Ganz unabhängig bin ich auch nicht! Ich bin auf andere Firmen und Zulieferer an-
                                                                              gewiesen. Am Abend mein eigenes Tagwerk betrachten zu können ist mir aber
                                                                              sehr wichtig. Auch deswegen wollte ich mich selbstständig machen und nicht nur
                                                                              ausführende Kraft für andere sein. Ich arbeite gerne mit den Händen und muss
                F  Ich interessiere mich noch immer sehr für Architektur. Das sehe ich – mal  kaum theoretische Planungen vornehmen. Skizzen mache ich mir so gut wie keine,
                    rau Seidler, wie viel Architektin steckt immer noch in Ihnen?
                                                                              ich arbeite immer gleich mit dem Material, nachdem ich im Kopf eine Idee formu-
                mehr, mal weniger deutlich – auch meinen Stücken an. Ich weiß noch immer,  liert habe. Meine Arbeit ist also viel direkter als die einer Architektin.
                warum ich seinerzeit Architektur studiert habe, obwohl ich später nie als Architek-
                tin gearbeitet habe. Der Mensch, der sich damals so entschieden hat, bin noch  r Kreativität ist das eine, Business das andere. Welche Vertriebs- und Marke-
                immer ich. Außer  dem haben beide Disziplinen viel Gemeinsames. Beides sind ge-  tingwege sind wichtig, um erfolgreich zu sein?
                stalterische Berufe. Damals erschienen mir die Prozesse in der Architektur als lang-  Hauptstandbein ist natürlich mein eigener Laden. Daneben verkaufe ich meine
                wierig und kompliziert. Ich wollte so nah wie möglich am fertigen Produkt sein.   Stücke in Läden Dritter in Berlin, in Deutschland und im europäischen Ausland.
                                                                              Auf einer Messe war ich noch nie. Viel mehr Läden als bisher kann ich auch gar
                r Aus welchen Gründen und auf welchem Weg suchten und fanden Sie Ihr  nicht beliefern, denn ich produziere alles selbst. Einen Online-Shop baue ich ge-
                berufliches Glück im Schmuckdesign?                            rade auf. Gute Rückmeldungen bekomme ich über Instagram, was die einzige PR-
                Als ich das Architekturstudium in Bremen abgeschlossen hatte, begann ich ein  und Marketingplattform ist, die ich bisher nutze. Die Größe meines Labels passt
                Praktikum in einer Goldschmiede in Hamburg und machte dort später auch meine  gut zu mir. Insofern möchte ich da gar nicht so viel mehr Aufwand betreiben. Mög-
                Lehre, die ich aufgrund des Studiums verkürzen konnte. Interessanterweise spricht  lichkeiten gibt es sicher unzählige.

                                                                                                                              AIT 4.2019  •  035
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