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Jeden Monat nähern sich unsere Kolumnisten, die Berliner Filmemacher Dominik und Benjamin Reding, dem jeweiligen Heftthema
auf ihre ganz eigene Art und Weise. Geboren wurden die Zwillinge am 3. Ja nuar 1969 in Dortmund. Während Dominik Architektur
in Aachen und Film in Hamburg studierte, absolvierte Benjamin ein Schauspielstudium in Stuttgart. 1997 begann die Arbeit an
ihrem ersten gemeinsamen Kinofilm „Oi! Warning“. Seitdem arbeiten sie für Fernseh- und Kinofilmprojekte zusammen.
Each month our columnists, Berlin-based filmmakers Dominik and Benjamin Reding, approach the respective issue-specific
theme in their very personal way. The twins were born on January 3, 1969 in Dortmund. Whilst Dominik studied architecture
in Aachen and film in Hamburg, Benjamin graduated in acting studies in Stuttgart. They started working on their first joint
motion picture “Oi! Warning“ in 1997. Since then they have tightly collaborated for TV and cinema film projects.
Studium, wollte zeigen, was ich kann. Und in die AIT wollte ich auch damit, unbedingt.“ Standort Schluss. Ich schleiche mich auf das Gelände, fahre mit dem Lastenaufzug. Das
Das hat geklappt. Der Artikel zeigt raumhohe Glasflächen, glatte, leuch tend gelb gelackte Bond-Set wurde runtergestrippt bis auf die Betonstützen. Jetzt, 2018, stehen hier
Wände, transluzente Vorhänge und die „Mock Up Box“, einen fensterlosen Raum im Maschinen die Maschinen herstellen. „Darf ich das fotografieren?“ „Ist verboten“, sagt
Raum, in dem Lichtstimmungen getestet werden. Herr Smida packt die Originalpläne der Vorarbeiter und wischt sich den Metallstaub aus dem zerfurchten Gesicht.
aus. Ich schaue, staune. Die 1999er-Büro-Visionen der Zu kunft: Alles Bleistift auf Papier. Vierte Adresse: Werbeagentur Publicis, Berlin-Mitte, Architekten: Katrin von Mallinck rodt
Jede Glas aufhängung, jedes Türscharnier einzeln entworfen. Man spürt den Fleiß, die und Maud Winkler-Momberger. Ich werde nervös. Gibt es denn nach weniger als zwei
Rigorosität, die Hingabe eines jungen Designers an sein Erstlingswerk. „Lange her“, sagt Jahrzehnten von diesen Büro-Visionen für das neue Millennium nichts mehr? Wäre ein
Herr Smida und streicht über das verblasste Transparentpapier. „War das Büro im 1950 neu eingerichtetes Büro auch nach neunzehn Jahren schon in den Müll gewandert?
Hinterhaus, vierter Stock, rechts? Ich bin mir nicht sicher.“ Er grübelt, zuckt mit den Sind die Millenniums-Bauherren, Firmeninhaber, Aufsichtsrats vorsitzenden nicht mehr
Schultern. „Bin mir auch nicht mehr sicher. Ich gehe mit Ihnen hin, wenn ich etwas Zeit stolz auf das gemeinsam mit den Architekten Geschaffene? Wenn etwas nicht überlebt
habe, ja?“ hat, dann das: Das Büro einer fran zö -
Zweite Adresse: Kreativagentur Ledesi, sischen Werbe agentur auf einer ganzen
Berlin-Kreuzberg, Architekt: Wolfgang Fabriketage in einem der angesagtesten
Staudt. Damals, 1999, war es wirklich Häuserblocks von Berlin-Mitte. Der AIT-
innovativ. Ein geschwungenes Eckbüro Artikel zeigt Eleganz, ja Luxus: breite
voller leuchtender, gebogener Wände aus Korridore, signalrot gelackte Wände,
Gaze und hölzernen Trägern. Flugzeug - diskrete, indirekte Beleuchtung. Ein Hauch
konstruk teu re halfen, wie der Artikel von Ozeandampfer, von Art deco und Coco
voller Staunen berichtet, die Träger zu Chanel weht durch die Büroflure. Très chic!
berechnen. Die im Artikel angegebene Dass sich in nicht allzu ferner Zukunft bär-
Adresse entpuppt sich als eines dieser tige Hipster mit ihren Laptops auf dem
typischen Berliner Altbau-Hinterhof - Boden lümmeln, in den Pausen Tisch fuß-
labyrinthe. Eine Kreativ agen tur Ledesi fin - ball spielen und nach der After-Work-Party
det sich auf keinem der Tür schilder. Dafür noch nachts um drei schuften würden,
Medienfirmen. Hun derte! Die neuen muss 1999 noch unvorstellbar gewesen
Lieblinge der Inves toren! Ich werde es sein. Publicis ist längt umgezogen, jetzt
nicht finden. Doch die AIT zeigt ja den residiert hier die Digitalagentur Aperto,
Grundriss. Da! Kein Altbau. Ein ge - eine Tochter der IBM-Company. Na, das
schwun gener Anbau. Ich klingle, es war´s dann, wenn mir schon eine
dauert. Eine junge Frau öffnet, atemlos. Kreuzberger WG nicht die Türen öffnet,
„Ist grad Berlinale, viel zu tun“, sagt sie. dann sicher nicht der alte Riese IBM. Ich
Ob ich vielleicht nen Blick in das Büro ...? frage an, zögerlich, pessimistisch und
Artikel, Architekturzeitschrift ..., 1999 ..., erhalte Antwort: „Ja, kommen sie vorbei!“
tolle Einrichtung ... Dürfte ich Fotos Foto: Frank Wittmer Es geht durch viele Flure, viele Trep -
machen? Sie starrt mich an, überrascht, penhäuser, viele Etagen, dann öffnet sich
fast erschrocken. Hinter ihr erspähe ich Die dritte Adresse: Internetdienstleister Pixelpark, Berlin-Moabit, Architekt: Frank Witt mer eine Stahltür und ich stehe davor und
das Büro. Die alte Ausstat tung, die Wände kann es nicht glauben. Hier in der brodeln-
vom Flugzeugbauer: Ge schichte. Jetzt sind es weiße PVC-Tische und Laptops, ein Büro, den Berliner Mitte, hier im Auge des Immobilien-Orkans, im Zentrum der New Economy
wie überall. Sie lächelt höflich, sagt nein und schließt die Tür. hat sie sich erhalten, die einstige AIT-Büro-Vision von 1999. Nahezu unverändert, nur ein
Dritte Adresse: Internetdienstleister Pixelpark, Berlin-Moabit, Architekt: Frank Witt mer. Kickertisch ist als Tribut an den Zeitgeist hinzugekommen und die Wände sind jetzt grau.
„Ein von einem langen Aquarium spektakulär in grünes Licht getauchter Gang „Das Rot hielt ja keiner aus“, sagt der Aperto-Geschäfts führer und lacht.
empfängt den Besucher und bereitet ihn vor auf seine Reise in die Welt der neuen Draußen rauscht der Verkehr, traben die Berlintouristen an all den Büroetagen vorbei,
Medien“, schrieb die AIT. Und was für eine Reise! Dieses Aquarium! Zehn Meter lang, die sich niemals für sie öffnen werden. Mein Handy klingelt. Herr Smida. Er habe jetzt
einen Meter fünfzig hoch, zwanzig Tonnen schwer. „Ich hatte gar nicht damit gerech- etwas Zeit. Es regnet, wir ducken uns, gehen raus auf den alten Hinterhof. Sein Blick
net, dass sie das wirklich machen“, sagt Architekt Frank Wittmer und man spürt sein wandert die Backsteinfassade hoch. Vierte Etage, rechts. „Doch, es ist die richtige
stilles Amü se ment durch den Telefonhörer. „Die bekamen viel Geld von der Bank und Adresse.“ Plötzlich freut er sich, zeigt auf die Fenster, ganz aufgeregt. „Die Vorhänge,
mussten es zeigen, mussten repräsentieren.“ Die Aktie stieg innerhalb eines Jahres um die sind noch drin. Das sind unsere.“ Jung klingt die Stimme, jung und begeistert.
das Hundertfache. Und die Firma expandierte. Schon nach drei Jahren war am alten Neunzehn Jahre, das ist nur ein Augenblick.
AIT 4.2018 • 055

