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Redings Essay
IN DER HAUPTVERWALTUNG
EIN EINAKTER
Ein Essay von Benjamin Reding
P ersonen der Handlung: Frau Trümper (eine Sachbearbeiterin), Frau Yilmaz (eine „Es sind Controller im Haus. Eine ganze Busladung. Schreiben auf, ob die Leute arbei -
ten, wie viel sie reden, Pause machen. Mit der Stoppuhr, hast du sie schon gesehen?“
Sachbearbeiterin). Ort: Ein mittelgroßer Büroraum in einem mittelständischen Unter -
nehmen in einer Mittelstadt. Einfache, solide Ausstattung: Zwei Schreibtische, zwei Dreh - Frau Trümper: „Nein.“
stühle, zwei Computer. Die Schreibtische stehen sich in der Raummitte Stirn an Stirn ge - Frau Yilmaz: „Die machen das heimlich, man kriegt das gar nicht mit.“
gen über, dahinter ein großes Fenster zur Natur hinaus. Ein Tag von vielen. Frau Yilmaz und Frau Trümper (reckt sich, steht auf, schaut aus dem Fenster): „Da, da ist er!“
Frau Trümper sitzen vor ihren Schreibtischen, blicken konzentriert auf ihre Computer-Dis - Frau Yilmaz (reckt sich, schaut zum Fenster herüber): „Wie sieht er aus?“
p lays und tippen mit so viel Eifer auf die Tastatur, dass es knackt und knirscht. Frau Trümper: „Wie gestern.“
Frau Yilmaz (leise, zu sich): „Kalt. Die Klimaanlage. Immer zu kalt.“ (Sie knöpft ihre Frau Yilmaz: „Uh.“ (Frau Yilmaz steht auf, geht auf das Fenster zu.) „Kann nix sehen.“
Jacke zu.) Frau Trümper: „Na da, am Baum. Er hockt im Rasen, schläft ... nein, er raucht.“
Frau Trümper (während sie tippt, leise, zu sich): „Wir sind an der Ungerechtigkeit der Frau Yilmaz (zögernd): „Wir ... wir ... könnten ihm ... was zurufen.“
Welt schuld.“ Frau Trümper: „Die Fenster lassen sich nicht öffnen.“
Frau Yilmaz (während sie tippt): „Du bist nur an den Kaffeeflecken auf der Fens ter - Frau Yilmaz: „Oder zuwinken.“
bank schuld.“ Frau Trümper: „Die Scheiben sind verspiegelt.“
Frau Trümper (während sie tippt, zu sich): „Weil wir gierig und gnadenlos sind.“ Frau Yilmaz: „Aber uns kann er doch sehen, oder?“
Frau Yilmaz: (schaut zu ihrer Kollegin herüber) „Weil du die Kaffeetassen nie richtig Frau Trümper: „Er guckt hoch, ziemlich oft.“
sauber putzt.“ Frau Yilmaz (geht ganz nah an die Fens ter scheibe
Frau Trümper (starrt auf den Bildschirm): „Sie heran): „Heute sieht er wirklich schlimm aus, der
bestellen bei uns Blumentöpfe für 1,99 und Obdachlose.“
vergessen das Bezahlen und hoffen, dass wir es Frau Trümper: „Wir könnten ihn mitnehmen, in
vergessen, und dann liegt unsere Mahnung im die Kantine. Dann soll er sich mal so richtig den
Postkasten und der Blumentopf kostet 3,99 we - Magen vollschlagen. Wird doch so viel wegge -
gen der Mahngebühr. Und dann ärgern sie sich schmissen.“
und sind unglücklich und denken, hätte ich Frau Yilmaz: „Du willst ihm das Wegge schmis -
doch nie diesen blöden, doofen, sinnlosen Blu - sene geben?“
men topf bestellt.“ Frau Trümper (wie ertappt): „Quatsch. Ich be -
Frau Yilmaz (während sie tippt): „So ist das stell’ ihm was. Ich mein’ bloß.“
eben, das ist ein Gartengerätegroßhandel und Diddeldididdeldidit! Diddeldididdeldidit! Das
wir sind die Mahnabteilung.“ Te le fon auf Frau Trümpers Schreibtisch zittert.
Frau Trümper (starrt auf den Bildschirm): „Aber Sie wendet sich vom Fenster ab, drückt den Hö -
wir könnten es ihnen schenken. Sie würden den rer an ihr Ohr.
Blumentopf mögen, sich daran erfreuen und ihn Frau Trümper (sachlich): „Trümper, Mahn ab tei -
länger behalten, viel länger als den gekauften, lung. (jetzt angstvoll, sehr freundlich) Ah, hallo,
weil er ein Geschenk ist. Was sind schon 1,99 ... ? na, wie läuft es in der Personal abtei lung? Gut?
Und wir würden nicht mehr gehasst.“ (Frau Prima!“
Trümper starrt auf den Bildschirm und schweigt.) Frau Yilmaz wendet sich ruckartig vom Fenster
Frau Yilmaz (erschrocken, horcht auf): „Zett ab, eilt zu ihrem Platz vor dem Computer.
kommt.“ Frau Trümper (am Hörer): „Wir? Nein ... also,
Frau Trümper (sie horcht ebenfalls): „Zett nimmt immer erst einen Kaffee aus dem fast nie ... ganz selten ... ja, Herr Zett, ja, ... kommt nicht wieder vor ... selbstver-
Automaten. Schlurrrppp-Schlupp-Schlupp-Zisch und dann Ta-Dapp-Ta-Dapp-Tapp, ständlich ... ja, auch nicht bei Frau Yilmaz. Ja, natürlich. Schönen Tag noch und ...“
sein komischer Gang. Nein, das ist der Neue aus der Registratur.“ Frau Trümper horcht, legt auf, schweigt, schaut Frau Yilmaz an, schweigt weiter.
Frau Yilmaz (schaut auf die Fensterbank): „Früher sah man die Kaffeeflecken gar Frau Trümper: „Das ist kein Obdachloser. Der war verkleidet. Ist ein Controller. Und
nicht, als noch Pflanzen da standen. Aber die verbreiten Keime, über die Klimaanlage, hat uns gemeldet. Wir stehen zu oft am Fenster, hat er gesagt.“
haben die gesagt und alles weggenommen.“ Frau Trümper und Frau Yilmaz setzen sich wieder vor ihre Computer, starren auf die
Frau Trümper (während sie tippt): „Wir brauchen nur den Namen falsch schreiben. Bildschirme, tippen.
Oder die Straße oder den Ort, dann kommt die Mahnung nicht an. Müller statt Meier, Frau Trümper (spricht beim Tippen leise mit): „Haben wir sie anzumahnen, den fäl-
Homburg statt Hamburg, Zittau statt Zwickau. Nach drei Mal falsch zugestellt macht ligen Betrag von 3,99 Euro bis zum ...“ (Sie wendet sich zu Frau Yilmaz herüber.) „Sag
unsere Firma nix mehr. Klagen lohnt nicht, ist zu teuer.“ mal, wie wird Hamburg geschrieben?“
Frau Trümper: „Ob er heute wieder da ist?“ Frau Yilmaz (überlegt, zögert): „H-o-m-b-u-r-g.“
Frau Yilmaz: „Zett?“ Frau Trümper: „Und Bergweg?
Frau Trümper (zeigt Richtung Fenster): „Nein, ER natürlich.“ Frau Yilmaz: „Talstrasse.“
Frau Yilamz (schaut zum Fenster): „Das wär´ was.“ (Sie blickt zurück auf dem Bildschirm.) Frau Trümper nickt.
060 • AIT 4.2017