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WOHNEN • LIVING THEORIE • THEORY
























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            Pflanzen, viel Textur und Viva Magenta! Stephan Faulhaber visualisiert pointiert die Zutaten für trendiges Wohnen. • Plants, lots of texture and viva magenta! Stephan Faulhaber pointedly visualizes the ingredients for trendy living.




            nende Technologien werden nur dann zur spürbaren Erleichterung, wenn sie sich an  bei gleichbleibender Bautätigkeit der Wohnraum immer knapper (sowie teurer) wird und
            den Bedürfnissen der Bewohnenden orientieren und sich an wechselnde Lebenssitua-  neben den Antworten auf die zeitnah eintreffenden Trends von PlanRadar ganz neue
            tionen anpassen können. naturnah, (gemeinschaftlich) und strukturiert. Die Covid-19-  Wohnkonzepte gefragt sind. Der demografische Wandel wird diese Notwendigkeit noch
            Lockdowns haben die Bedürfnisse der Menschen möglicherweise auch auf andere  verstärken: Der Bedarf an altersgerechtem und barrierefreiem Wohnraum steigt, Wohnen
            Weise beeinflusst: Ein Viertel der Länder räumt dem Außenraum jetzt eine höhere  auf Zeit wird immer gängiger, und Singlewohnungen gewinnen an Attraktivität: Schon
            Priorität ein, und der Wunsch nach Innenräumen, die einen direkten Kontakt mit der  heute liegt der Anteil von Ein-Personen-Haushalten bei rund 40 Prozent. Unsere Gesell-
            Natur ermöglichen, ist größer als je zuvor. In Frankreich, Großbritannien, Österreich  schaft hat sich stark verändert und wird dies auch weiterhin tun: Sie wird zunehmend
            und den USA ist zudem das Interesse an gemeinschaftlich nutzbaren (Außen-)Räumen  individualisierter, multilokaler und mobiler – unterschiedliche Lebensstile und Familien-
            gestiegen. Co-Living und generationenübergreifende Wohnformen werden daher dort  modelle verändern die Anforderungen an Wohnformen enorm.
            in Zukunft den Immobilienmarkt prägen. In Deutschland wird hier allerdings kein
            Trend gesehen – an wenigen Stellen offenbart die Studie auch länderspezifische Un-  Flexibilität, Funktionalität und Zeitgeschmack
            terschiede: So wünschen sich die Menschen hierzulande als Einzige explizit antibak-
            terielle Materialien und selbstreinigende Flächen im Wohnbereich. Auch strapazierfä-  Flexibilität in baulichen Strukturen ist daher das generelle (!) Gebot der Stunde: Die klas-
            higere Stoffe, taktile beziehungsweise texturierte Oberflächen, die eine sensorische Ge-  sischen Grenzen zwischen Wohnen und Arbeiten, Beruf und Freizeit, öffentlich und pri-
            staltung unterstützen, und eine stärkere Fokussierung auf die Küche als neuen Lebens-  vat, Familie und Freundeskreis werden laut Zukunftsinstitut weiter verschwimmen. „In-
            mittelpunkt sind ebenso Themen, für die sich vor allem die Deutschen interessieren.  novativer Wohnungsbau und zukunftsweisendes Immobilienmanagement werden daher
                                                                          auch neue Konzepte entwickeln, die eine funktionale Integration und Konvergenz unter-
            Viva Magenta – die Farbe des Jahres 2023                      schiedlicher Lebensbereiche zulassen.“ Die Trendforscher sehen, dass „Wohnungen,
                                                                          Grundrisse, Gebäude und Quartiere zunehmend multifunktional und ‚nutzungsneutral‘
            Eine Reminiszenz an die Natur hat auch das Pantone Color Institute angekündigt: Nach  gestaltet“ werden. Sie ermöglichen so „vielfältige Lebens- und Wohnmodelle und bieten
            „Very Peri“ wird 2023 der Farbton „Viva Magenta“ in unsere Wohnräume einziehen: Das  beispielsweise Hausgemeinschaften Räume der Begegnung, die den Zusammenhalt för-
            Purpurrot „strahlt Kraft und Elan aus, findet seine Wurzeln in der Natur, wirkt mutig und  dern“ – Ziel wird es sein, dass die Grundrisse „mitwachsen“ und sich der jeweiligen Le-
            furchtlos, pulsiert und vibriert, ist fröhlich und optimistisch“. Laut Farbexperten eine  benssituation anpassen können. Die Bauwirtschaft (wie auch die Politik) steht damit
            klare Antwort auf Pandemie, Krieg, instabile Wirtschaft, soziale Unruhen und Heraus-  weltweit vor vielen spannenden Aufgaben und gleichzeitig vor einer der größten Heraus-
            forderungen in Lieferketten, denn „das lebhafte Rot schwelgt in purer Freude und ermu-  forderungen unserer Gesellschaft: Innovative Lösungen für bezahlbares, individuelles
            tigt zu Experimenten und hemmungslosem Selbstausdruck“. Auch hier wird deutlich:  und gemeinschaftliches Wohnen sind ebenso gefragt wie ressourcenschonende Archi-
            Wohntrends spiegeln die großen gesellschaftlichen Veränderungen, den allgemeinen  tektur und lebenswerte Quartiers- und Stadtplanungen mit nachhaltiger Infrastruktur. Es
            Zeitgeist und hin und wieder auch Bedürfnisse und Sehnsüchte wider: Sie finden ihren  gibt also derzeit viel (Spiel-)Raum, um die Zukunft des Wohnens mitzugestalten – solange
            Ausdruck in Farben, Formen, Mustern, Materialien und Möbeln. Doch wie werden wir  der Mensch im Mittelpunkt steht: Ibrahim Imam, Mitgründer und Co-CEO von PlanRadar,
            in Zukunft unsere eigenen vier Wände nicht nur einrichten, sondern wie werden wir  resümiert: „Daten der OECD belegen, dass Wohnkosten rund 20Prozent des monatlichen
            wohnen? Wenn wir ehrlich sind, dann waren die Trends Nachhaltigkeit, Multifunktio-  Einkommens ausmachen und damit zu den größten Ausgabeposten zählen. Daher ist es
            nalität und digitale Vernetzung durchaus vorhersehbar – schließlich haben wir sie alle in  erforderlich, dass Wohnräume mehr bieten als nur Funktionalität. Durch die Erforschung
            den letzten Monaten irgendwie herbeigesehnt. Aber um einen Blick in die Zukunft wer-  von Trends und des sich wandelnden Zeitgeschmacks können alle Akteure der Branche
            fen zu können, hilft vielleicht ein wenig mehr Kontext. Denn ohne das Thema der Urba-  Räume schaffen, die den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen in den kommenden
            nisierung zu beleuchten, ist es schwer, das Wohnen der Zukunft zu beschreiben. Klar ist,  Jahren entsprechen. Das Zuhause ist eng mit der Identität, den Ambitionen und dem Zu-
            dass wir uns auf das Zeitalter der Megastädte zubewegen: Laut einem Bericht der Ver-  gehörigkeitsgefühl der Menschen verbunden. Der Zugang zu Wohnraum (oder dessen
            einten Nationen wird es bis 2030 43 Metropolen mit mehr als zehn Millionen Einwoh-  Fehlen) beeinflusst Wahlen, führt zu Protesten und verändert die Lebenschancen der
            nenden geben, bis 2050 werden zwei Drittel der Weltbevölkerung (die bis dahin auf 9,7  Menschen dramatisch.“ Umso wertvoller ist es also zu verstehen, was für die Menschen
            Milliarden Menschen gewachsen sein wird) in Städten leben. Das bedeutet, dass selbst  wichtig ist: vom einfachen Dach über dem Kopf bis hin zum ersehnten „Ideal“ ...

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