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VERKAUF UND PRÄSENTATION • RETAIL AND PRESENTATION THEORIE • THEORY
alle weiteren Materialien und Möbel anschließend wiederverwendet wurden. Ein ähnlicher Fall ist das
2020 geschlossene Warenhaus Tati in Paris (3): Hier entstand anlässlich der Fashion Week 2022 für die
Marken Maisons Château Rouge und Jordan eine von PafAtelier gestaltete Zwischennutzung als Cafeteria,
Showroom und Workshop Space. Was sowohl mit Karstadt Sport als auch Tati künftig geschehen soll,
bleibt offen. Keine Frage: Den Bestand mit für seinen Standort passendem Konzept und zielgerichteten
Nutzungen dauerhaft zu ertüchtigen, ist der Schlüssel, um das Interesse potenzieller Nutzer zu wecken
und die Zukunft ehemaliger Warenhäuser zu sichern. „Unabhängig von der Einwohnerzahl der Städte
zeigen diversifizierte Nachnutzungskonzepte den größten Erfolg“, so Thomas Veith, Leiter des Bereichs
Real Assets bei der Unternehmensberatung PwC Deutschland. Mixed-Used-Concept ist das Zauberwort
und öffnet die Tür fürjede denk- und machbare Nutzungskombination. Auffällig ist an dieser Stelle, dass
eine Vielzahl von kleinen bis mittelgroßen Städten längst erfolgreich realisierte Kaufhaus-Umnutzungen
vorweisen können, während sich Großstädte scheinbar ausgesprochen schwertun. Man kommt nicht
umhin, sich zu fragen, ob in Kleinstädten der Leidensdruck bei einer Schließung höher und damit das
Bewusstsein der Dringlichkeit einer Nachnutzung gegenwärtiger ist. Stefan Müller-Schleipen weiß: „Ei-
gentümer der Warenhausimmobilien sind meist Finanzinvestoren, häufig mit Sitz im Ausland. Zieht der
Fotos: HSBK, Julia Schwendner Stadtretter kennt auch die Lösung für dieses Problem: „Städte und Kommunen müssen Verantwortung
Betreiber aus, versuchen sie zunächst, das Haus an einen anderen Händler zu vermieten.“ Doch der
übernehmen und sich stärker einbringen, sei es als Eigentümer oder als Betreiber. In Hanau beispiels-
weise hat ein Bürgerbüro ehemalige Kaufhausflächen bezogen. In Lübeck wird nach der Schließung
nachgedacht.“ Und auch AIT hat erst kürzlich über eine Umnutzung zum Bürgeramt in Darmstadt von
Für die Ausstellungsarchitektur wurden nur (2) ... • Only building materials found on site ... einer Karstadt-Filiale über eine Nutzung als öffentliches Zentrum für Bildung, Kultur und Dienstleistungen
Carsten Gerhards Architekten (AIT 12.2022) berichtet. Zudem gäbe es Fälle, so Müller-Schleipen, in denen
... vor Ort vorhandene Baumaterialien verwendet. • ... were used for the exhibit architecture. sich Bürgerfonds gebildet hätten, um städtebaulich wichtige Immobilien zu erwerben. „Menschen, die
in einer Stadt verwurzelt sind, wissen häufig sehr gut, was ihrem Heimatort fehlt und was machbar ist.“
Gelsenkirchen-Buer mit seinem alten Hertie-Gebäude ist ein solches Beispiel. Für das heutige Linden-
Karree haben sich 16 ortsansässige Kaufleute, Unternehmer, Handwerker und Immobilieneigentümer zu-
sammengetan und das Gebäude erworben, um es mit Einzelhandel, Gesundheitsdienstleistungen, Stadt-
bibliothek und altengerechten Wohnungen neu zu beleben. Ein großstädtisches Revitalisierungsprojekt
von Paulo Mendes da Rocha und MMBB architects findet sich in São Paulo: Den Architekten gelang es,
das ehemalige Möbelkaufhaus Mesbla in ein Kultur- und Freizeitzentrum umzugestalten. Das bestehende
Hochhaus wurde zu diesem Zweck völlig umstrukturiert, erhielt eine neue Tragstruktur, neue Zwischen-
ebenen, verschiedene Öffnungen innerhalb der Geschosse und in der Fassade. Für Gastronomie, Sport
und Kultur entstand so im SESC 24 de Maio (4) reichlich Raum mit hohem architektonischem Anspruch.
Neben Theater, Kletterpark, Bike-Platz, Solarium und Café glänzt das Ex-Warenhaus zudem mit einem
Swimmingpool auf dem Dach und ist zu einem echten Freizeitmagneten geworden.
Wenn Einzelhandel und Stadtentwicklung eine Symbiose eingehen
Hierzulande entwickeln in den letzten Jahren aber nicht nur Architekturbüros Ideen zu Kaufhaus-Nach-
nutzungen. Auch Studenten befassen sich mit der Aufgabe: An der Bauhaus-Universität Weimar bot
Aus einfachen Mitteln entstand ein Showroom. (3) • Showroom of simple materials Professor Steffen de Rudder im Wintersemester 2021/2022 an, sich im Freien Entwurf Gedanken um
eine Nachnutzung der aktuell noch geöffneten Karstadt-Filiale in der Müllerstraße im Berliner Wedding
zu machen. Und in Hamburg ging es für Masterstudenten der Hafen City University im Rahmen des
EDEKA.award „Rethinkung Urban Retail“ 2021 um die Revitalisierung der Mönckebergstraße samt Ar-
chitekturentwurf für das ehemalige Karstadt Sport-Gebäude und das leerstehende Kaufhof Galeria-Ge-
bäude. Der Award zeigt darüber hinaus auf, dass Einzelhandelsunternehmen wie Edeka, Aldi und Lidl
zunehmend die Stadt- und Immobilienentwicklung für sich entdeckt haben. Im Kern geht es hierbei
für die neuen Entwicklungsplayer darum, beim Neubau von Einzelhandelsflächen standortberei-
chernde Nutzungsergänzungen mit einzuplanen, wie die Integration von Wohnraum, anderen Gewer-
beflächen, Hotels, Büros oder sozialen Einrichtungen wie Kitas, Seniorenheimen oder Schulen, die den
Bauplatz insgesamt effektiv ausnutzen. Der sogenannte ImmoTail-Trend gründet auf dem Verständnis,
dass es als stationärer Einzelhändler nicht mehr ausreicht, auf sich selbst und die Konkurrenz zu
schauen, denn Angebote und Konzepte für Warenhäuser oder ganze Quartiere lassen sich nicht mehr
losgelöst vom Umfeld denken oder erfolgreich entwickeln. Das bewusste, aktive Gestalten der eigenen
Handelsstandorte in Mixd-Used-Quartern wird auch laut EHI Shopping-Center Report 2022 zum erstre-
benswerten Geschäftsmodell, denn derartige Projekte haben sich in Deutschland innerhalb eines Jahr-
zehnts verfünffacht. Ob man bei all der Entwicklungspower das Gesicht unserer Straßenzüge und
Quartiere großen Einzelhandelsketten überlassen sollte, ist wohl eine Frage des Anspruches an die Ar-
chitektur- und Innenarchitekturqualität des jeweiligen Projektes. Allen Überlegungen gemein bleibt die
Tatsache, dass umfangreichen Argumentationsketten für den Kaufhaus-Rückbau eine bemerkenswerte
Anzahl gelungener Warenhaus-Revitalisierungen gegenüber steht. Das, was unsere Kaufhaus-Kolosse
Foto: Paf Atelier brauchen, sind verantwortungsbewusste, zukunftsorientierte Städte, passgenaue Mixed-Used-Kon-
zepte und … zugegeben, auch ein wenig smart eingesetztes Kapital.
112 • AIT 1/2.2023