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                                                                                                             Jeannette

                                                                                                             Göbel

                           Wir Innenarchitekten sind gefragt!      Mobilität, Freiheit, Autonomie.           bdia NRW
                           Wie werde ich alt sein? Wann werde ich über-  Als Mitglied der Babyboomer Generation entwi-
                           haupt alt sein? Das Alter als Zahl allein ist nicht  ckelt Michael Schlenke erfolgreiche Strategien  Wohnen im Alter – ein Thema
                           entscheidend. Wenn ich Glück habe, führe ich  für innovative Wohnformen im Alter. Zusam-  für Ihre Bauherren?
                           hochbetagt ein fröhliches und selbstbestimm-  men mit dem bdia hat er eine spannende Vor-  Gerade beim Badumbau, ein
                           tes Leben und wohne bis zum Tod in meinen ei-  tragsreihe unter der Überschrift „Wie werden  Bereich auf den ich mich spe-
                           genen vier Wänden. Was aber, wenn nicht? Und  wir im Alter wohnen? Zukunftsstrategien für die  zialisiert habe, treffe ich häufig
                           hängt mein Wohlergehen allein vom Alter ab?  Aging Society“ ins Leben gerufen. Im Interview  auf zukunftsorientierte Bau-
                           Persönliche Beschränkungen, körperliche Ge-  verrät er,  warum sich die Berufsgruppe der   herren, die für das Alter vo-
                           brechen, Krankheiten,  mentale, psychische  Innenarchitekten mit dem  Wachstumsmarkt  rausplanen wollen.
                           oder kognitive Veränderung können Menschen  Healthcare beschäftigen sollte.
                           in jedem Alter betreffen.                                                         Welche Trends beobachten
                                                                   In Ihrer aktuellen Vortragsreihe stellen Sie die  Sie?
                           Assistenz und Pflege im privaten Wohnumfeld  Frage, ob in Zukunft mehr Rollatoren als Kin-  Wenn es um eine Behinderung
                           lässt sich eventuell familiär oder organisato-  derwagen unseren Alltag bestimmen werden.  geht, können die Bedürfnisse
                           risch lösen. Als Innenarchitektin empfehle ich  Was genau meinen Sie damit?       und Anforderungen sehr unter-
                           oftmals mit kleinen Tricks schlanke Lösungen  Ich möchte insbesondere die Kreativwirtschaft  schiedlich sein. Was aber
                           für bauliche Anpassungen und berate zu den fi-  dafür sensibilisieren, dass wir in einer der ältes-  immer ein Thema ist, sind
                           nanziellen Fördermöglichkeiten. In Seniorenzen-  ten Gesellschaften der Welt leben und uns der  Maßnahmen, die das Leben
                           tren  werden  heute  vorwiegend  pflegebedürf-  oft zitierte demografische Wandel bereits voll  einfacher und bequemer ma-
                           tige  und  demente  Menschen betreut.  Träger  erwischt hat. Wir müssen heute – und nicht ir-  chen und dabei eine individu-
                           müssen knapp haushalten, es herrscht Perso-  gendwann in ferner Zukunft – an attraktiven  elle und moderne Gestaltung
                           nalnotstand und Zeitdruck. Es ist erwiesen,  Lösungen für das Wohnen im Alter arbeiten.   berücksichtigen. Das ist für
                           dass ein gutes Umfeld positive Auswirkungen                                       jedes Alter interessant.
                           hat. Gut gestaltete Räume und Strukturen be-  Welche Schwerpunkte gilt es zu beachten?
                           einflussen das  Wohlbefinden,  verbessern die  Es geht um Themen wie Mobilität, Freiheit, Au-  Warum sollten gerade Innen-
                           Orientierung und damit die Sicherheit der Be-  tonomie und die Sicherstellung eines Lebensge-  architekten dieses Thema be-
                           wohner. Weniger Unruhe und Stress wirken sich  fühls, das sich idealerweise am Bedarf  setzen?
                           positiv auf die Senioren und damit auch auf  möglichst aller Nutzergruppen orientiert. Er-  Für individuelle Wünsche die
                           Personal, Betreiber und Angehörige aus.   folgreiche Innenarchitekten haben immer  beste Lösung finden, dabei
                                                                   schon den Nutzer und seinen Bedarf im Visier  DIN-Normen einhalten, bau-
                           „Barrierefreies Bauen“ ist in den  jeweiligen  gehabt. Jetzt heißt es den Fokus größer zu zie-  konstruktive Gegebenheiten
                           Bauordnungen verankert. Der Gesetzgeber de-  hen, um den besonderen Ansprüchen der älter  prüfen und das Budget berück-
                           finiert hier bauliche Grundsätze, detailliert  werdenden Gesellschaft gerecht zu werden.  sichtigen, dies alles sind Auf-
                           diese durch die DIN 18040 und setzt somit Stan-                                   gaben, die ein Innenarchitekt
                           dards für den Wohnungsbau, damit wir mög-  In Ihren Vorträgen sprechen Sie über so wich-  täglich zu bewältigen hat.
                           lichst lange und bis ins hohe Alter zu Hause  tige Themen wie Healing Architecture, Univer-  Die meisten der Kollegen, die
                   Foto: Eckhart Matthäus, Wertingen, Grafik: Sonnenstaub
                           leben können. Diese Anforderungen bestimmen  sal Design und die Bedeutung einer zielgrup-  ich kenne, machen das mit viel
                           ein Gebäude aber so grundlegend, dass sie  pengerechten Kommunikation. Bitte geben Sie  Kreativität, Engagement und
                           nicht erst mit der Werkplanung einfließen kön-  uns ein Beispiel mit Bezug zum Healthcare-  Leidenschaft.
                           nen, sondern bereits vor dem ersten Bleistift-  Markt!
                           strich zu klären und zu berücksichtigen sind.  Im Prinzip ist es ganz einfach.  Schaffen  Sie
                           Nur dann können aus den „Zwängen“ span-  Räume, in denen Menschen sich wohlfühlen.
                           nende, kreative,  wirtschaftliche und damit  Zum Beispiel für die stetig wachsende, beson-
                           auch nachhaltige Lösungen entstehen. Bauli-  ders schützenswerte Gruppe von Menschen mit
                           che Standards reichen hierfür nicht aus. Hier ist  Demenz. Sie werden schnell feststellen, dass
                           das Know-how unserer Fachrichtung Innenar-  sich in diesen Räumen eigentlich  jeder gern
                           chitektur gefragt.                      aufhält. Aber bitte versehen Sie das Ganze nicht
                                                                   mit einer stigmatisierenden Überschrift.
                           Autorin: Claudia Gerstner ist bdia Innenarchi-
                           tektin, Sachverständige für Barrierefreies Pla-  Autor:  Michael  Schlenke, Inhaber des Bera-
                           nen und Bauen und Inhaberin von inexklusiv.de,  tungsunternehmens The Caretakers, Kaarst und
                           Monheim.                                Universal-Design-Experte.


                                                                                                                           AIT 10.2017  •  149
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