Page 149 - AIT1017_E-Paper
P. 149
3
Fragen an
Jeannette
Göbel
Wir Innenarchitekten sind gefragt! Mobilität, Freiheit, Autonomie. bdia NRW
Wie werde ich alt sein? Wann werde ich über- Als Mitglied der Babyboomer Generation entwi-
haupt alt sein? Das Alter als Zahl allein ist nicht ckelt Michael Schlenke erfolgreiche Strategien Wohnen im Alter – ein Thema
entscheidend. Wenn ich Glück habe, führe ich für innovative Wohnformen im Alter. Zusam- für Ihre Bauherren?
hochbetagt ein fröhliches und selbstbestimm- men mit dem bdia hat er eine spannende Vor- Gerade beim Badumbau, ein
tes Leben und wohne bis zum Tod in meinen ei- tragsreihe unter der Überschrift „Wie werden Bereich auf den ich mich spe-
genen vier Wänden. Was aber, wenn nicht? Und wir im Alter wohnen? Zukunftsstrategien für die zialisiert habe, treffe ich häufig
hängt mein Wohlergehen allein vom Alter ab? Aging Society“ ins Leben gerufen. Im Interview auf zukunftsorientierte Bau-
Persönliche Beschränkungen, körperliche Ge- verrät er, warum sich die Berufsgruppe der herren, die für das Alter vo-
brechen, Krankheiten, mentale, psychische Innenarchitekten mit dem Wachstumsmarkt rausplanen wollen.
oder kognitive Veränderung können Menschen Healthcare beschäftigen sollte.
in jedem Alter betreffen. Welche Trends beobachten
In Ihrer aktuellen Vortragsreihe stellen Sie die Sie?
Assistenz und Pflege im privaten Wohnumfeld Frage, ob in Zukunft mehr Rollatoren als Kin- Wenn es um eine Behinderung
lässt sich eventuell familiär oder organisato- derwagen unseren Alltag bestimmen werden. geht, können die Bedürfnisse
risch lösen. Als Innenarchitektin empfehle ich Was genau meinen Sie damit? und Anforderungen sehr unter-
oftmals mit kleinen Tricks schlanke Lösungen Ich möchte insbesondere die Kreativwirtschaft schiedlich sein. Was aber
für bauliche Anpassungen und berate zu den fi- dafür sensibilisieren, dass wir in einer der ältes- immer ein Thema ist, sind
nanziellen Fördermöglichkeiten. In Seniorenzen- ten Gesellschaften der Welt leben und uns der Maßnahmen, die das Leben
tren werden heute vorwiegend pflegebedürf- oft zitierte demografische Wandel bereits voll einfacher und bequemer ma-
tige und demente Menschen betreut. Träger erwischt hat. Wir müssen heute – und nicht ir- chen und dabei eine individu-
müssen knapp haushalten, es herrscht Perso- gendwann in ferner Zukunft – an attraktiven elle und moderne Gestaltung
nalnotstand und Zeitdruck. Es ist erwiesen, Lösungen für das Wohnen im Alter arbeiten. berücksichtigen. Das ist für
dass ein gutes Umfeld positive Auswirkungen jedes Alter interessant.
hat. Gut gestaltete Räume und Strukturen be- Welche Schwerpunkte gilt es zu beachten?
einflussen das Wohlbefinden, verbessern die Es geht um Themen wie Mobilität, Freiheit, Au- Warum sollten gerade Innen-
Orientierung und damit die Sicherheit der Be- tonomie und die Sicherstellung eines Lebensge- architekten dieses Thema be-
wohner. Weniger Unruhe und Stress wirken sich fühls, das sich idealerweise am Bedarf setzen?
positiv auf die Senioren und damit auch auf möglichst aller Nutzergruppen orientiert. Er- Für individuelle Wünsche die
Personal, Betreiber und Angehörige aus. folgreiche Innenarchitekten haben immer beste Lösung finden, dabei
schon den Nutzer und seinen Bedarf im Visier DIN-Normen einhalten, bau-
„Barrierefreies Bauen“ ist in den jeweiligen gehabt. Jetzt heißt es den Fokus größer zu zie- konstruktive Gegebenheiten
Bauordnungen verankert. Der Gesetzgeber de- hen, um den besonderen Ansprüchen der älter prüfen und das Budget berück-
finiert hier bauliche Grundsätze, detailliert werdenden Gesellschaft gerecht zu werden. sichtigen, dies alles sind Auf-
diese durch die DIN 18040 und setzt somit Stan- gaben, die ein Innenarchitekt
dards für den Wohnungsbau, damit wir mög- In Ihren Vorträgen sprechen Sie über so wich- täglich zu bewältigen hat.
lichst lange und bis ins hohe Alter zu Hause tige Themen wie Healing Architecture, Univer- Die meisten der Kollegen, die
Foto: Eckhart Matthäus, Wertingen, Grafik: Sonnenstaub
leben können. Diese Anforderungen bestimmen sal Design und die Bedeutung einer zielgrup- ich kenne, machen das mit viel
ein Gebäude aber so grundlegend, dass sie pengerechten Kommunikation. Bitte geben Sie Kreativität, Engagement und
nicht erst mit der Werkplanung einfließen kön- uns ein Beispiel mit Bezug zum Healthcare- Leidenschaft.
nen, sondern bereits vor dem ersten Bleistift- Markt!
strich zu klären und zu berücksichtigen sind. Im Prinzip ist es ganz einfach. Schaffen Sie
Nur dann können aus den „Zwängen“ span- Räume, in denen Menschen sich wohlfühlen.
nende, kreative, wirtschaftliche und damit Zum Beispiel für die stetig wachsende, beson-
auch nachhaltige Lösungen entstehen. Bauli- ders schützenswerte Gruppe von Menschen mit
che Standards reichen hierfür nicht aus. Hier ist Demenz. Sie werden schnell feststellen, dass
das Know-how unserer Fachrichtung Innenar- sich in diesen Räumen eigentlich jeder gern
chitektur gefragt. aufhält. Aber bitte versehen Sie das Ganze nicht
mit einer stigmatisierenden Überschrift.
Autorin: Claudia Gerstner ist bdia Innenarchi-
tektin, Sachverständige für Barrierefreies Pla- Autor: Michael Schlenke, Inhaber des Bera-
nen und Bauen und Inhaberin von inexklusiv.de, tungsunternehmens The Caretakers, Kaarst und
Monheim. Universal-Design-Experte.
AIT 10.2017 • 149