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Jørn Utzon
1918 in Kopenhagen geboren 1937–1942 Architekturstudium an der Königlichen Akademie der Künste, Kopenhagen 1942–1946 Mitarbeiter von Paul Hedqvist, Stockholm 1946–1949
Foto: Ole Haupt
Weltreisen; Treffen mit Alvar Aalto, Frank Lloyd Wright sowie Charles und Ray Eames 1950 eigenes Architekturbüro, Kopenhagen 1957 Wettbewerbsgewinn Opernhaus in Sydney 1957–1966
Umzug nach Australien 1966–1971 Bau von Can Lis auf Mallorca 1973 Einweihung des Opernhauses in Sydney ohne den Architekten 2003 Pritzker-Preis 2008 in Kopenhagen verstorben
Tiefe Fensterlaibungen inszenieren die Ausblicke. • Deep window soffits frame the views.
von • by Dr. Uwe Bresan
D ie Straße ist schmal und staubig. Verbranntes Gras und verdorrte Sträucher säu-
men den Weg. Von Porto Pedro, das früher vielleicht mal ein verträumtes Fischer -
dorf war, heute aber nur noch ein gesichtsloser Ferienort, wie es sie zu Hunderten auf
der Insel gibt, sind es mit dem Auto fünf Minuten; zu Fuß, mit Gepäck und in der sen-
genden Mittags sonne sind es endlos quälende Kilometer! Can Lis, das Haus, das der
dänische Architekt Jørn Utzon, weltbekannt für den Bau der Oper in Sydney, zu
Beginn der 1970er-Jahre auf einem einsamen Felsen an der Südost-Küste Mallorcas für
sich und seine Familie errichtete, macht es seinen Besuchern nicht einfach. Eine
Reihe Mauern schirmt den Bau fast hermetisch gegen die Straße ab. Ihr gelber
Sandstein wird vor Ort abgebaut. Die Steine sind sauber gearbeitet, ihre Fugen dicht
verschlossen. Undurchdringlich! Und doch weichen sie zurück, um einem breiten und
tiefen Altan Platz zu geben. Er markiert den Eingang. Ein schmales, einfaches Holztor,
ein gemauertes Bänkchen und darüber drei flache Tonnen, die vor dem Wetter schüt- Streiflicht belebt im Tagesverlauf die steinernen Wände. • Side light enlivens the walls over the course of the day.
zen. Das ist der schlichte Auftakt. Mehr Sein als Schein! Mehr gelebte, alltägliche
Lebens routine, als denkwürdiger, erinnerungswürdiger, überwältigender Auftritt.
Gegenüber den protzigen Villen, die die Küsten Mallorcas wie Eiterpickel stören, saal. Und das Stück, das hier tagtäglich gegeben wird? – Es heißt Natur! Es heißt
nimmt sich Can Lis in Material, Form, Gestalt und Haltung so angenehm zurück wie Meer, Wind, Ge zeiten! Und es wird nie langweilig. Nicht am dritten Tag, nicht am
ein guter Kellner. Unaufdringlich, und doch achtsam! Stets hilfsbereit, und doch auch zehnten, und wahrscheinlich auch nicht nach zehn Jahren. Niemals! Der Stein, der
Respekt fordernd! Dienend, aber niemals unterwürfig! das Haus nach außen abschirmt, ist der gleiche Stein, der den Besucher im Inneren
umfängt. Im Streiflicht gewinnt er durch seine handwerkliche Bearbeitung fast textile
Der gelbe Sandstein ist der schönste Schmuck von Can Lis Qualität. Die archaischen Steinsägen haben tiefe Muster ins Material ge fressen. Ihr
Bild erinnert an Fischskelette oder Federhalme. In der Repetition entstehen Schmuck -
Hinter dem Tor beginnt das Haus zu tanzen. So streng die Fassade zur Straße, so be - bilder, Tapetenmotive, Bordüren, Ranken, Dekore. Sie sind der schönste Schmuck des
wegt ist Can Lis im Inneren. Niveaus springen, Raumhöhen springen, Gebäudekanten Hauses. Sie entstehen mit dem Licht, dem Spiel der Sonne auf und mit der Topografie
springen. Achsen werden angekündigt, aufgebaut, inszeniert und dann ebenso abrupt des Hauses. Nach und nach wird im Tagesverlauf jede Wand von ihrem Licht gestreift,
abgeschnitten, zerstört und fortgewischt, wie sie entstanden sind. Im Grundriss sind und so gewinnt Stunde um Stunde Raum für Raum eine neue magische Qualität. Das
es fünf mehr oder weniger strenge und streng voneinander getrennte Kuben, die wie Leben im Haus folgt diesem Rhythmus – vom Atelier- und Gästetrakt, über die
an einer Schnur aufgereiht das Haus bilden. Ihre Funktionen sind ebenso alltäglich, Schlafkammern, den überhohen Wohnraum und das Küchen gebäude mit dem zum
wie ihre jeweilige Gestalt außergewöhnlich ist. Das Wohnzimmer etwa, der Haupt - Meer hin geöffneten Kolonnadenhof bis zu dem dachlosen Observatorium ganz im
raum des Gebäudes, wird über einen schmalen Säulengang betreten, der sich als Westen der Anlage. Hier geht die Sonne unter und mit ihr verschwindet das
Portikus vor das eigentliche Raumvolumen stellt. Vier Holztüren öffnen sich parallel Ornament des Tages. Und ein zweites Thema des Hauses rückt ins Bewusstsein:
und verleihen dem Zugang etwas Festliches. Es ist kein Wohnzimmer, das hier betre- Nennen wir es das Ornament der Nacht! Als Can Lis entstand, hieß die Straße vor
ten wird, sondern ein Theater, ein Opernraum, ein öffentlicher, geschmückter Fest - dem Haus noch nicht Avinguda Jørn Utzon, sondern Calle de la Media Luna, Halb -
AIT 12.2018 • 059