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            SERIEN IKONEN BEWOHNEN •  LIVING IN ICONS

















































            Im Erdgeschoss befinden sich die liebevoll eingerichtete Küche und die Wohnstube mit Essplatz • On the ground floor is the lovingly equipped kitchen and the living room with the dining area.


            oder wohlige Wärme im Winter ist also gesorgt. Ziel des eigenwilligen Einrichtungskon-  Kachelöfen sowie zwei praktische Einbauschränke und sämtliche originalen Türdrücker
            zeptes ist es, die  typische Architektur und das Design der „Goldenen Zwanziger“ für die  und Fenstergriffe auf. Der verwitterte Steinholzboden in der Küche, ein in Vergessenheit
            über Nacht bleibenden Gäste des Hauses wieder erlebbar zu machen. Wer das Haus mie-  geratener Baustoff, wurde nach alten Handwerksregeln neu gegossen. Kein Wunder also,
            tet, bekommt einen Schlüssel, kann sich überall frei bewegen, ins frisch gemachte Bett  dass in den letzten Jahren besonders Fachdelegationen und BesucherInnen aus dem In-
            legen, in der Küche eine Kleinigkeit kochen. Er kann aber auch in der hauseigenen Bi-  und Ausland erst die Baustelle und dann das fertige Haus besichtigten.
            bliothek schmökern, dort Interessantes über Architekt und Siedlung erfahren und seinen
            Ausflug durch das Welterbe, zu den anderen Welterbesiedlungen oder zum benachbarten Zwei fachkundige Besitzer: Landschaftsarchitektin und Designer
            Schloss Britz planen. Ein Vermittlungskonzept, das sich an einer einfachen Wahrheit ori-
            entiert, nämlich dass Architektur und Design immer für eine konkrete Nutzung entsteht  Sie treffen hier auf zwei kundige Besitzer, die sich seit Langem intensiv mit dem denkmal-
            und auch nur so angemessen erlebt und kommuniziert werden kann. Es richtet sich an  geschützten Ensemble und der wohl berühmtesten Siedlung Bruno Tauts befassen. Die
            alle, die keine Lust auf unpersönliche Hotels haben und für ihren nächsten Berlinbesuch  Landschaftsarchitektin und Denkmalexpertin Katrin Lesser und der Grafik- und Ausstel-
            etwas Besonderes abseits der ausgetretenen Touristenpfade suchen und dabei noch  lungsdesigner Ben Buschfeld wohnen seit fast 25 Jahren in der Hufeisensiedlung, knappe
            etwas über ein wichtiges Kapitel des deutschen Städtebaus erfahren und erleben wollen.  100 Meter Luftlinie von dem Tauten Heim entfernt. Sie engagieren sich für den Denkmal-
                                                                          schutz vor Ort, führen regelmäßig Besucher durch die Siedlung und gehören zu den In-
            Bei Taut ist Farbe das „Zeichen des neuen Glücks“             itiatoren des gemeinnützigen Vereins der „Freunde und Förderer der Hufeisensiedlung
                                                                          Berlin-Britz“. Katrin Lesser verfasste bereits zwei denkmalpflegerische Gutachten über die
            Aber nicht nur für allgemein Kulturinteressierte, auch für eingefleischte Bau- und Denk-  Grün- und Freiflächen der Hufeisensiedlung, und Ben Buschfeld entwickelte die Ausstel-
            malexperten ist das Haus ein interessantes Studienobjekt. Zum ersten Mal wurden hier  lung zur Geschichte der Siedlung sowie Konzept und Programmierung des Website-Portals
            alle Innenraumfarben streng nach Vorgaben der Restauratoren wiederhergestellt und die  www.hufeisensiedlung.info. Alles begann bereits im Frühjahr 2010: Da hatten die beiden
            Originalanstriche in Form von kleinen freigelegten Flächen und präzisen Farbangaben  die Gelegenheit, das gerade zum Verkauf anstehende Haus von innen zu besichtigen und
            dokumentiert. Erstaunlich, denn der Einsatz von starken Farben gilt als wesentliches  staunten nicht schlecht: Das Haus war zwar in einem sehr heruntergekommenen Zustand,
            Merkmal Bruno Tauts architektonischen Erbes. Für den in Fachkreisen auch als „Meister  hatte aber noch fast die komplette Originalausstattung. Ihnen war sofort klar: diesen
            des farbigen Bauens“ bekannten Architekten war Farbe gleich doppelt wirksam: Sie war  Schatz galt es zu heben. Nachdem sie sich vergeblich um öffentliche Fördergelder bemüht
            „Zeichen des neuen Glücks“ und verbreitete zugleich volkstümliche Heiterkeit. Wer die  hatten, entwickelten sie die Idee eines mietbaren Museums, widmeten über einen Zeit-
            farbenfroh in kräftigem Blau, dunklem Rot, gedecktem Grün und verschiedenen Grau-,  raum von fast zwei Jahren ihre Wochenenden der Planung und Instandsetzung dieses ein-
            Weiß- und Gelbtönen wieder auferstandenen Räume sieht, versteht die Bedeutung dieses  zigartigen Objekts und refinanzieren nun aus den Vermietungseinnahmen das ehrgeizige
            Konzepts. Auch sonst verfügt das Haus über herausragend viel Originalsubstanz: Als eines  Projekt. Für ihre besonderes Engagement sowie für die Idee und Umsetzung des Tauten
            der ganz wenigen Häuser der insgesamt 37 Hektar großen Siedlung weist das Innere des  Heims erhielten sie inzwischen den Berliner Denkmalpreis, die Ferdinand-von-Quast-Me-
            Tauten Heims – trotz nachträglich installierter Heizung – etwa noch alle drei historischen  daille und den European Prize for Cultural Heritage/Europa Nostra Award.

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