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                                  Katrin Lesser + Ben Buschfeld            Bruno Taut


                                  KL: 1963 geboren in Konstanz  1988 Meisterprüfung 1994 Diplom Land-  1880 geboren in Königsberg 1897-1900 Baugewerkschule 1904-08 Th. Fi-
                                  schaftsarchitektin 2017 Gold. Ehrennadel Bez. Neukölln BB: 1970 geboren  scher, Stuttgart 1909 Taut&Hoffmann, Berlin 1913 mit Max Taut 1921-24 Mag-
                                  in Köln 1990-95 Kommunikationsdesign Wuppertal 2010-12 Tautes Heim  deburg ab 1924 Berlin 1933/34 Japan bis 1936 Berlin 1938 Tod in Istanbul































             Schlafzimmereinrichtung im Bauhaus-Stil • Bedroom furnishing in Bauhaus style   Gleich daneben – die Kammer als Kinderzimmer • Right next door – the small room as the children’s room



             von • by Ben Buschfeld
             D   er Name des nach Museumsstandard möblierten Hauses ist Programm. Er spielt  wo alle Reihenhäuser einen eigenen Garten besitzen. Auch vor dem Tauten Heim befin-
                                                                           det sich ein solcher Garten. Er wurde nach historischen Vorlagen wiederhergestellt. Der
                 an auf den Architekten Bruno Taut, der mit seinen Siedlungsbauten Anfang des
             20. Jahrhunderts weltweit Maßstäbe setzte, bevor er, von den Nationalsozialisten ver-  rund 200 Quadratmeter große Garten verfügt über eine vorgelagerte Terrasse mit Esstisch
             folgt, ins Exil nach Japan und in die Türkei ging. Besonders die zwischen 1925 und 1930  und Sitzplätzen sowie mehrere Obstbäume, Beerensträucher, Fliederbüsche und eine
             nach seinen Entwürfen errichtete Hufeisensiedlung, zu der das Taute Heim gehört, gilt  umlaufende Hecke aus duftenden Wildrosen. Wer sich hier niederlässt versteht, warum
             heute international als Schlüsselwerk des reformorientierten städtischen Wohnungsbaus  der Ruf nach Häusern mit Zugang zum Grünen die im Stadtteil Berlin-Britz gelegene Huf-
             und ist ein beliebtes Studienobjekt und Reiseziel für Architekten, Städteplaner und  eisensiedlung schon damals zu einer sehr begehrten Wohnlage machte.
             Freunde moderner Baukunst. Ihre Mischung aus sensibel gruppierten, zum Teil dörflich
             idyllisch wirkenden Reihenhäusern und klassisch modern anmutenden Wohnblocks lädt Kluge Grundrisse, zeittypisch möbliert
             zum ausgedehnten Flanieren ein. Die aus fast 200    0 Wohneinheiten bestehende, mit vie-
             len Gärten und Grünflächen aufwartende Siedlung gruppiert sich um einen 350 Meter  Aber auch das zu dem Garten gehörende, für bis zu vier Personen ausgelegte Haus ist ein
             langen, spektakulär in Form eines Hufeisens gebogenen zentralen Bauteil. Gemeinsam  Kleinod. Wie kein anderes Objekt des jüngsten Berliner Welterbes vermittelt es das be-
             mit fünf weiteren städtebaulichen Großprojekten der 1920er-Jahre wurde sie bereits 2008  sondere Wohngefühl der aufkommenden Moderne und füllt damit eine wichtige Lücke
              zum UNESCO-Welterbe Siedlungen der Berliner Moderne ernannt. Der Variantenreichtum  in der Berliner Museumslandschaft. Obwohl im Inneren auf den ersten Blick wie ein lie-
              einzelner Bauabschnitte, Häuser- und Wohnungstypen der sicherlich berühmtesten Ber-  bevoll ausgestattetes Museum anmutend, ist es nicht bloß zum Anschauen gedacht, son-
             liner Siedlung verblüfft Experten bis heute. Zum Markenzeichen des Architekten jedoch  dern wurde nach Art eines Ferienhauses bewusst für einen längeren Aufenthalt und die
             wurden vor allem seine klug und funktional geplanten Grundrisse sowie die expressive  konkrete Benutzung ausgelegt. In dem mit nur 65 Quadratmeter kompakt, dabei aber er -
             Farbgebung von Häusern und Innenräumen. Wie gut man hinter den in Gelb, Blau, Rot  staunlich funktional geschnittenen, fast freistehenden Haus findet sich Raum für drei Zim-
             und Weiß leuchtenden Fassaden auch wohnen kann, bleibt dem „normalen“ Besucher  mer plus Küche, Bad und ein elegant geschwungenes Treppenhaus. Die sorgfältig zusam-
             jedoch im wahrsten Sinne verschlossen. Aber auch für architekturinteressierte Touristen  mengestellte Einrichtung spiegelt den Aufbruch von der bürgerlichen Wohnwelt der Wei-
             gibt es jetzt einen Ort, wo sie die hohe Wohnqualität, die kräftigen Innenraumfarben und  marer Republik zu der sich auch in der Inneneinrichtung bereits abzeichnenden Moderne
             typische Ausstattungselemente dieser Ikone des Stadtbaus individuell erleben können.   wider: Finden sich in Küche und Wohnzimmer diverse Stücke, die dem ein oder anderen
                                                                           noch aus Omas guter Stube vertraut sein dürften, so zeugen sowohl das mit allem Kom-
             Licht, Luft und Sonne – Antwort auf die Enge der Stadt        fort ausgestattete Bad als auch das in kräftigem Blau gestrichene und mit Möbeln im Bau-
                                                                           haus-Stil eingerichtete Schlafzimmer unmissverständlich von der allgemeinen Aufbruch-
             Aus der U-Bahn steigend fällt der Blick schnell auf ein Haus, das fröhlich, markant und  stimmung in Design, Kunst und Gesellschaft. Dieses Zeitgefühl ist hier deutlich zu spüren
             selbstbewusst aus der Zeile hervorschaut: Mit seiner klaren Kantigkeit und der weißen  und wird von den vielen handverlesenen Ausstattungsstücken noch unterstützt. Ein be-
             Grundfarbe zeigt es typische Merkmale von Bauhaus-Moderne und International Style  sonderes humorvolles Detail ist das eigens angefertigte Häkelbild, dessen Slogan „Tautes
             und verbindet sie mit dem reformerischen Anspruch an ein Leben im Grünen. Die Anfang  Heim – Glück allein“ die Wand neben dem Esstisch ziert und ganz nebenbei auch das
             des 20. Jahrhunderts populäre Losung „Licht, Luft und Sonne“ war die städtebauliche  Programm vorgibt. Sämtliche Möbel und Ausstattungselemente im Inneren stammen ent-
             Antwort auf die bedrückende Enge der Arbeiterquartiere der Jahrhundertwende mit  weder aus den 1920er-Jahren und wurden sorgfältig aufgearbeitet oder sind nach histori-
             ihren, besonders in Berlin, dunklen und tief gestaffelten Hinterhöfen. Nur selten wurde  schem Vorbild auf Maß konstruiert. In die zeittypische Möblierung integriert wurde aber
             dieses verheißungsvolle Leitbild so konsequent umgesetzt wie in der Hufeisensiedlung,  auch der Komfort von heute – für eine kräftige Dusche, den WLAN-Zugang auf der Terrasse

                                                                                                                           AIT 11.2021  •  045
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