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Imbi Leitaru                             Koko Architects


                                     geboren 1994 seit 2013 Architekturstudium an der RWTH Aachen,   gegründet 2000 Büropartner Raivo Kotov, Andrus Kõresaar Mitarbei-
                Foto: Imbi Leitaru   Abschluss Master of Science: 2020 2016–2017 Koko Architects, Tallinn  ter 35 Büroschwerpunkte Transformation von Altbauten, Museen, Aus-
                                                                              stellungen, Hotels, Wohnbauten Standort Peetri 11, EE-Tallinn
                                     seit 2017 Studentische Hilfskraft bei Jones Lang LaSalle, Köln





















                Fotos Markthalle: Tõnu Tunnel






                Reanimierung der historischen Markthalle zwischen Tallinns Bahnhof und dem Wohnbezirk Kalamaja • Revival of the historic market hall between Tallinn’s station and the Kalamaja residential district




                F  rau Leitaru, Sie besitzen deutsch-estnische Wurzeln, sind in Deutschland  ganz eigenen Charakter und Wiedererkennungswert. Jedes Projekt wird individuell
                                                                              betrachtet und bearbeitet. Standardlösungen gibt es nicht. Generell sind bei Koko
                   aufgewachsen und studieren an der RWTH Aachen Architektur. Welche Ver-
                bindung haben Sie zu Estland, und wann keimte in Ihnen der Wunsch auf, in   Architects neue Inputs und kreative Ansätze gefragt. Während meines Praktikums
                Tallinn eine Zeit lang zu leben und ein Praktikum zu machen?  war die Arbeitsatmosphäre immer sehr kommunikativ. Auch in stressigen Endpha-
                Meine Großeltern kommen aus Estland und Lettland und sind in den 1940ern nach  sen von Wettbewerben hatten wir regelmäßige Meetings, in denen Dinge immer wie-
                Deutschland geflüchtet. Die estnische Kultur und Sprache hatten immer einen hohen  der neu diskutiert, umgeworfen und neu geplant wurden. Generell würde ich sagen,
                Stellenwert in unserer Familie. Wir wurden zweisprachig erzogen und die meisten  dass die Hierarchien sehr flach sind und den Mitarbeitern auch schnell Verantwor-
                Familienurlaube, sowohl im Sommer als auch im Winter, verbrachten wir in der Hei-  tung übertragen wird. Ich habe mich sehr wohlgefühlt, da alle sich gut verstanden
                mat meiner Großeltern. Viele meiner Kindheitserinnerungen sind mit Estland ver-  und der Umgang immer kollegial war. Auch außerhalb der Arbeitszeiten gab es Ver-
                bunden. Nach dem Bachelor an der RWTH Aachen wollte ich praktische Erfahrungen  anstaltungen für das Team, zum Beispiel eine Architekturexkursion nach Tartu, um
                im Architekturbüro sammeln und auch gerne außerhalb von Deutschland wohnen.  verschiedene Museen anzusehen. Es wurde ein Yoga-Kurs angeboten und es wurden
                Daraufhin entschied ich mich, nach Estland zu gehen. So konnte ich Estland nicht  zwei Feste gefeiert – einmal an Weihnachten, traditionell auf einer Baustelle, die fast
                nur als Urlaubsland, sondern als meine Heimat entdecken, den Alltag erleben und  fertiggestellt war, und dann noch ein Abschiedsfest für einen langjährigen Kollegen.
                Menschen kennenlernen.                                        Beide Feste sind schöne Erinnerungen!

                r Durch den wirtschaftlichen Aufschwung im Zuge der Unabhängigkeit 1991 und  r An welchen Projekten durften Sie während Ihres Praktikums mitwirken?
                des EU-Beitritts 2004 konnten die „Baltischen Tigerstaaten“ auch stark in Archi-  Ich habe an verschiedenen Wettbewerben im Städtebau und Hochbau mitgewirkt,
                tektur investieren. Wie hat sich Koko Architects seit seinem Erstlingswerk, dem  mal im Entwurf, mal in der Darstellung und im Modellbau. Ein Projekt, mit dem ich
                Estnischen Pavillon auf der EXPO 2000 in Hannover, entwickelt?   mich längerfristig beschäftigt habe, war die Umnutzung eines kleinen Gebäudekom-
                Nach der EXPO 2000 hat sich Koko verschiedensten Aufgaben gestellt und dadurch  plexes, der sich aus einer Werkstatt und einem Pumpenhaus zusammensetzte. Ich
                ständig weiterentwickelt. Das Spektrum ist sehr breit und facettenreich. Es umfasst  entwickelte Umnutzungsideen und -konzepte und entwarf unter anderem verschie-
                Wohnprojekte, Museen, Ausstellungskonzepte, Hotels und Transformationen von In-  dene Varianten für einen Neubau des Dachs. Diese dienten schließlich als Grundlage
                dustriegebäuden in Estland bis zu Wanderhütten in Norwegen. Koko Architects  für eine Präsentation beim Amt für Denkmalschutz. Des Weiteren fing Koko zur Zeit
                schauen über den Tellerrand, über die Grenzen Estlands hinaus. Mittlerweile zählt  meines Praktikums an, aktiv an deutschen Wettbewerben teilzunehmen. Hier war
                das Büro 40 Mitarbeiter. Während meiner Praktikumszeit wurde eine weitere Deut-  ich für administrative Aufgaben verantwortlich. Ich machte interessante deutsche
                sche eingestellt und mittlerweile gibt es auch einige internationale Projektleiter. Das  Wettbewerbe ausfindig, übersetzte die Anforderungen und Aufgaben und stellte die
                interdisziplinäre Team setzt sich aus Architekten, BIM-Spezialisten, Innenarchitekten,  Unterlagen für die Teilnahme zusammen.
                Landschaftsarchitekten, Grafikern und Illustratoren zusammen. Der Stamm der
                Mitarbeiter wächst kontinuierlich, und so ist Koko Architects erst vor einiger Zeit in  r Welche Voraussetzungen sollten Interessenten mitbringen, um in einem estni-
                größere Räumlichkeiten umgezogen.                             schen Architekturbüro zu arbeiten? Ein Drittel der Estländer spricht russisch. Und
                                                                              wie kommt man in Alltag und Beruf als Trainee in Tallinn zurecht?
                r Worin liegt für Sie die besondere Qualität der Projekte und des Büros?  Mein großer Vorteil ist, dass ich Estnisch spreche und so überhaupt keine Probleme
                Diese liegt in der Art und Weise, wie Koko Architects Altes und Neues verbinden. Der  hatte. Dennoch kommt man auch mit Englisch sehr gut klar, vor allem die jüngere
                sensible Umgang und die Wertschätzung des Bestands geben den Projekten einen  Generation ist sprachlich fit. In Tallinn kommt man auch ohne Estnisch-Kenntnisse


                                                                                                                              AIT 11.2019  •  043
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