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Arne Jacobsen
Foto: Jørgen Strüwing
1902 in Kopenhagen geboren 1924 Abschluss einer Steinmetz-Ausbildung 1927 Abschluss des Architekturstudiums an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen 1928–1929
Architekt im Städtischen Bauamt in Kopenhagen ab 1930 eigenes Architekturbüro mit Flemming Lassen sowie erste Arbeiten als Designer 1943–1945 Exil in Schweden ab 1956 Professor an
der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen 1964 Teilnahme an der documenta III in Kassel (Abteilung Industrial Design) 1971 in Kopenhagen gestorben
von • by Hendrik Bohle
M it dem Satz „Wir müssen in die Zukunft schauen“, beschloss Otto-Uwe Schmiedt,
Bürgermeister a. D. des Fehmarner Hauptortes Burg, im Jahr 2007 kurzerhand
den Abriss von Arne Jacobsens Kurmittelhaus (3). Was für ein Fehler. Anfang der 1960er-
Jahre konnte es dem Bauherrenkonsortium gar nicht schnell genug gehen, die Anlage
zu errichten. „Die Vor schläge wurden ohne unser Wissen begonnen. Otto und ich ent-
deckten, als wir mit dem Flugzeug nach Mainz flogen, dass man mit den Bauarbeiten
bereits begonnen hatte“, erinnert sich ein enger Mitarbeiter Otto Weit lings. Jacobsen
und Weitling hatten den international ausgelobten Wettbewerb 1965 gewonnen. Der
Vorsitzende des Preis gerichtes war kein geringerer als Egon Eiermann. Alle Entwürfe
der engeren Wahl hatten die Spielwiese und ein kleines Wäldchen als Grüne Lunge der
Halbinsel frei gelassen. Ein Grund, weshalb Burg bereits 1928 als Ostseebad anerkannt
wurde. Die Essenzen des Tannenwaldes und die salzhaltige Luft der Ostsee seien eine
hervorragende Kom bi nation, um Menschen mit Lungen prob lemen zu heilen, hieß es
bei der Verleihung der Badekonzession. In diesem Bewusst sein und mit Respekt für die
Landschaft entwarfen Jacobsen und Weitling parallel zur Küste ein Musterbad der
„langsam ansteigenden Hori zonte“. In seinem Zentrum folgt auf die ebene Spielwiese
das flache Haus des Gastes (1), daran anschließend das ex pres sive Wellenbad (2), das Foto: Hendrik Bohle
Kur mittelhaus (3) sowie die drei Fernblickhäuser genann ten Hoteltürme (4), die mit
drei bis vier Etagen wesentlich niedriger geplant waren. Trotz großer Bedenken der Die Konstruktion des Bades wurde nach außen gestellt. • The structure of the bath was placed on the outside.
Archi tekten drängte das Konsortium mit Verweis auf die Wirt schaftlichkeit auf mehr
Zimmer. Der Tourismus boomte in den 1960er-Jahren. Zwischen 1968 und 1979 entstan-
den an der Ostsee zahlreiche Bäder unter anderem in Damp, Grömitz und am innen. Die niedrige Südfassade rahmt den Blick aufs Meer. Durch die doppelt so hohe
Timmendorfer Strand. Auch Fehmarn wollte davon profitieren. Was folgte, waren Nordansicht fällt der Blick auf die 1908 freigelegte Burgruine Glam beck und in den
Streitigkeiten zwischen Auf trag geber und Pla nern. Jacobsen war für seine Beharrlichkeit Himmel. Alles wirkt frei, leicht filigran. Fassade und Firmament spiegeln sich an der
bekannt; Ände rungs wünsche ließ er nur ungern zu. Ganz im Sinne der Moderne sollten Decke. Überall ist Licht. Seit 2008 ersetzt nun ein benachbarter Neubau das Kurmit -
am Südstrand keine palastartigen Hotel bauten im Mittelpunkt stehen, sondern die telhaus (3). Das direkt angeschlossene „FehMare“ des Hamburger Architektur büros
neuen Erlebnis welten des 20. Jahr hunderts. Am Ende wuchsen in Abstimmung mit den geising + böker mit Spa, Sauna und Wasserrutsche entspricht programmatisch ganz
Architekten die weithin sichtbaren 17-geschossigen Türme aus dem Sand, zum Unmut Arne Jacobsens Gedanken, das Erlebnis ins Zentrum des Kur bades zu rücken. Architek -
vieler Inselbewohner. Viele trauerten wohl auch um den beliebten historischen Wart - tonisch fällt der Neubau allerdings weit hinter den Bestand zurück. Die Decke scheint
turm und die reetgedeckte Lesehalle, die an gleicher Stelle gestanden hatten. Ver - die Badegäste zu erdrücken. Von Himmel und Meer fehlt jede Spur. Der Blick bleibt in
mutlich ist die fehlende Ver mittlung ein Grund, weshalb viele noch heute mit der der Düne hängen. Bis auf die Wasserrutsche ist hier nichts leicht und luftig.
Anlage hadern. Aber wieso eigentlich? Seebrücken, Holz und Back stein haben viele,
eine gelungene Bäderar chitektur der Nach kriegs mo derne hingegen nicht. Jacobsen und Pflege und Weiterentwicklung des Seebades
Weitling schwebte ein nachhaltiger Ausbau der An lage vor. Das Zentrum sollten die
Kurhäuser und das Wellenbad mit der daran angeschlossenen Hotelanlage bilden, Die Fernblickhäuser (4) muten vom Land her wie Getreidesilos an, monolithisch und
inklusive Straßen anschluss und Parkplätzen. Im Westen planten sie eine Bungalow- mit starker vertikaler Betonung ganz in Jacobsens Manier. Alle Zimmer sind zum Meer
und Apartmentanlage. Die städtebauliche Figur entwickelten sie be wusst organisch hin ausgerichtet, neun auf jeder Etage. Die Wand im Süden ist vollständig aufgelöst.
unter Achtung der natürlichen Topografie und Küstenlinien. Die Grundrisse sind nahezu unverändert. Bis auf die Türklinken ist bei der Innen aus -
stattung jedoch nichts mehr im Original erhalten. Ein besonderes Detail sind die
Planung, Bau und Denkmalschutz beweglichen Lamellenbrüstungen der Balkone. Sie lassen sich je nach Sonnen stand
und Wunsch nach Privatsphäre manuell verdrehen. Ein Effekt, der auch der Fassade
Ab 1968 wurde mit dem Bau des Kurzentrums begonnen. Das Haus des Kurgastes (1) ein beschwingtes Äußeres gibt. Der Wintergarten, das sogenannte Vitarium, im
entstand als erstes. Der schlichte eingeschossige Stahlskelettbau mit vorgefertigten Erdgeschoss wurde erst in den 1980er-Jahren hinzugefügt. Ursprünglich standen nur
Beton- und Glaselementen steht auf einem Podest. Eine filigrane Pergola, wie sie auch zwei trapezförmige Pavillon bauten mit vorangestellten Sonnenterrassen zwischen den
an Jacobsens Rathaus-Forum in Castrop-Rauxel zu finden ist, umschließt das Ge bäude. Türmen (5). Jacobsen und Weitling war ein Flanieren zwischen den Ge bäuden wichtig.
Der Innenraum ist fließend, mit Ausnahme weniger eingestellter Wände, die wertig mit Heute wirkt der massive Sockel wie eine Barriere. Nur das schlichte Apartmenthaus
Holz bekleidet sind. Leider ist der Pavillon derzeit in einem äußerst schlechten Vitamar (7), östlich der Hoteltürme, blieb als Solitär erhalten. Ihre Idee des Hin durch -
Zustand. Sein Abriss konnte glücklicherweise in letzter Minute verhindert werden. schreitens und der Sicht achsen lässt sich bis heute an der im Westen gelegenen
Zusammen mit den übrigen Gebäuden steht das gesamte Ensemble seit 2004 unter Ferienanlage ablesen. Die geschwungenen Bänder mit drei- (8) bis fünfgeschossigen
Denkmalschutz. Eine Revitalisierung ist geplant. Vorbild könnte das kürzlich wiederer- Apartment häusern (9) sind immer wieder eingeschnitten. Auch hier verfolgten die Ar -
öffnete Arne-Jacobsen-Foyer in den Herrenhäuser Gärten in Hannover sein. Der Bau chitekten die grundlegende Konzeption der klaren Linien und Höhenstaffelung. Arne
des benachbarten Meer wasser-Wellenbades (2) folgte 1972. Der Bade tempel steht Jacobsens Ost see heilbad ist ein einzigartiges Zeugnis der Seebad-Architektur der bun-
ebenfalls auf einem Podium und bildet den architektonischen Höhe punkt der Anlage. desdeutschen Nachkriegsmoderne. Als solches sollte es gepflegt und in Jacobsens
Er ist umlaufend verglast. Die Tragkonstruktion wurde nach außen gestellt. Das schräge Sinne zeitgemäß weiterentwickelt werden, damit auch nachfolgende Generationen das
Dach scheint über dem Becken zu schweben. Seine volle Kraft entwickelt der Bau von Salz, die Luft und die zeitlose Eleganz der Anlage erleben können.
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