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SERIEN PERSPEKTIVWECHSEL • CHANGE OF PERSPECTIVE
erfeier so gestalten kann, wie es dem Verstorbenen entsprochen hätte. Viele Menschen
möchten an einem Ort beigesetzt werden, zu dem die Hinterbliebenen kommen können,
um an sie zu denken, zu trauern oder sich nahe zu fühlen – aber ohne Verpflichtungen.
Im Kolumbarium müssen sich die Angehörigen nicht kümmern. Dies liegt in unserer Ver-
antwortung. Heute ist das Kolumbarium nicht nur ein stiller Ort der Erinnerung, sondern
auch ein lebendiger Raum für Konzerte und Ausstellungen, an denen Menschen gemein-
sam mit ihren Verstorbenen teilhaben können. Gibt es etwas Schöneres?
r Der hohe architektonische Anspruch des Kolumbariums manifestiert sich in seiner
Regalstruktur und einem flexiblen, aber klaren Designkodex. Wie wichtig war dieser?
Das war für uns essenziell. Gemeinsam mit unseren InnenarchitektInnen haben wir
verschiedene Entwürfe entwickelt, um eine Struktur zu schaffen, die sich in die Kirche
einfügt, aber dennoch eigenständig bleibt. Uns war wichtig, dass keine neuen Ebenen
in das Kirchenschiff eingezogen werden und die Regalstruktur keine Verbindung zu den
bestehenden Wänden oder der Holzdecke hat. Mit neun Metern Höhe war das eine echte
statische Herausforderung, aber das unbehandelte Eichenholz sorgt für eine ruhige, werti-
ge und zugleich bodenständige Wirkung. Alle Materialien haben wir sorgfältig ausgewählt
und zahlreiche Muster im Maßstab 1:1 angefertigt, um ihre Wirkung im Raum zu prüfen.
Die Gestaltungsmöglichkeiten für Urnenplätze sind bewusst reduziert, um die Atmosphä-
re harmonisch zu halten, aber dennoch Spielraum für Individualität zu lassen. Je mehr
sich das Kolumbarium füllt, desto deutlicher zeigt sich, wie wichtig diese Entscheidung
war. Wir lieben es, hochwertige Materialien mit schlichten, einfachen Elementen zu kom-
binieren, um deren natürliche Schönheit hervorzuheben. Insgesamt gibt es Platz für 6000
Urnen, wobei wir bewusst nur 60 Prozent der Struktur belegen, um Licht und Luftigkeit
zu bewahren. Die farbigen Leuchtkuben in der oberen Regalstruktur greifen die Töne der
bleiverglasten Fenster auf und sorgen für eine sanfte, fast meditative Stimmung – beson-
ders in den Abendstunden oder an trüben Tagen.
r Wie schwer war es denn, seitens der Behörden dieses Kolumbarium mitten in der
Stadt genehmigt zu bekommen?
Die Genehmigung durch das Bau- und Denkmalamt verlief überraschend unkompliziert,
da alle Beteiligten das Projekt unterstützten und froh waren, dass die denkmalgeschützte
Ruhige, wertige Wirkung: Regalstruktur aus Eichenholz • Calm, high-quality effect: oak shelving structure Kirche erhalten blieb. Dennoch kann man in Deutschland nicht einfach einen Friedhof
eröffnen und privat betreiben – das ist normalerweise Kirche und Kommune vorbehalten.
Um ein Kolumbarium privatwirtschaftlich zu führen, braucht es umfangreiche Satzungen,
Gebührenordnungen und behördliche Genehmigungen. Besonders die Zustimmung der
Bezirksregierung für den Betrieb eines „Friedhofs“ war ein komplexer und langwieri-
ger Prozess. Wir mussten uns all diese rechtlichen und organisatorischen Grundlagen
mühsam erarbeiten, da wir in diesem Bereich keinerlei Vorerfahrung hatten. Drei Jahre
dauerte es, bis alle Genehmigungen vorlagen, die Planung abgeschlossen und die Gebüh-
renordnung erstellt war. Doch je intensiver wir uns mit dem Thema auseinandersetzten,
desto klarer wurde uns, dass sich in der Bestattungskultur dringend etwas ändern muss.
Die Nachfrage nach Plätzen war von Anfang an hoch. • The demand for spaces was high right from the start. Die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt, aber der Umgang mit Tod und Trauer folgt oft
noch sehr alten Mustern. Unser Kolumbarium zeigt, dass es neue, würdige Wege gibt, mit
diesem sensiblen Thema umzugehen.
r Wie trägt sich dieses Geschäftsmodell und wie groß ist die Nachfrage?
Wir betreiben das Kolumbarium selbst, weil es in dieser Form keine vergleichbaren Kon-
zepte gibt und wir keinen passenden Betreiber gefunden haben. Also blieb uns keine
andere Wahl, als ein eigenes Team zusammenzustellen, um unsere Idee so umzusetzen,
wie wir es uns vorgestellt hatten. Wir wollten einen Ort schaffen, der mehr ist als nur
eine Ruhestätte – einen Raum für freie Bestattungen, aber auch für Kunst, Musik und
Begegnung. Ein Ort, an dem nicht nur die Lebenden, sondern auch die Verstorbenen
noch teilhaben. Dieser Gedanke mag zunächst ungewohnt klingen, aber für viele ist er
tröstlich. Das Konzept ist neu und braucht Zeit, um sich in den Köpfen der Menschen
zu verankern, denn Bestattungsformen haben sich über Jahrhunderte kaum verändert.
Alternative Konzepte wie Friedwälder haben sich bereits etabliert, aber darüber hinaus
gibt es kaum Innovationen in diesem Bereich. Die Nachfrage nach Plätzen in unserem
Kolumbarium war von Anfang an groß und wächst stetig, da sich immer mehr Menschen
mit neuen Bestattungsformen auseinandersetzen. Viele reservieren bereits zu Lebzeiten
Plätze für sich und ihre Familie, um ihren Angehörigen schwere Entscheidungen abzuneh-
men. Wer einmal bei uns war, spürt sofort die besondere Atmosphäre – sie ist das, was
letztlich die Menschen überzeugt.
036 • AIT 7/8.2025