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SERIEN LEHRJAHRE BEI ... • WORKING AT ...
r Wie ist das Büro Heatherwick Studio denn strukturiert?
Prinzipiell wird bei uns unterschieden zwischen „domain“ und „design“. „Domain“ be-
inhaltet alles, was nicht direkt mit Entwerfen zu tun hat, wie beispielsweise Finanzen,
Personal, Hausverwaltung et cetera. In „design“ werden die Projekte entworfen, geführt
von je einem Projektleiter, einem Projektmanager und einem technischen Leiter. Zusätz-
lich arbeiten – der Größe des Projekts entsprechend – bis zu 30 Architekten und Designer
an der Ausarbeitung. Überwacht werden die Projekte von einem der Partner des Studios
sowie Thomas Heatherwick selbst, der in jedes Projekt involviert ist. Außerdem gibt es
projektunterstützende Ressorts wie Landschaftsplanung, BIM und – sehr wichtig – die
Modelbauwerkstatt mit ihren Mitarbeitern. Die Hierarchie im Büro ist flach, jeder Mitar-
beiter, vom Praktikanten bis zum Partner, wird dazu ermuntert, am Entwurfsprozess
aktiv mitzuwirken und Ideen oder konstruktive Kritik jederzeit einzubringen. Mittlerweile
haben wir jeden Freitagabend ein Studio Meeting, bei dem alle zusammenkommen und
Projektfortschritte präsentieren. Das war vor Corona wichtig und ist während der Pande-
mie – via Zoom – umso mehr ein unerlässlicher Bestandteil der Studio-Kultur geworden.
So ist es möglich, den Überblick über die Tätigkeiten des Büros zu behalten. Um Bau-
projekte in fremden Ländern besser überwachen zu können, haben wir meist Projektar-
chitekten vor Ort, auch wenn der Großteil der Angestellten in London arbeitet. Zudem
ist das Studio sehr international besetzt. Dies hilft, fremde Länder und Kulturen besser
zu verstehen. Thomas trifft die grundlegenden Entwurfsentscheidungen, präsentiert die
wichtigen Meilensteine der Projekte und pflegt engen Kontakt zu Entscheidungsträgern.
Foto: Hufton + Crow, London geblieben ist und allen Menschen seines Umfelds den gleichen Respekt entgegenbringt.
Zudem ist er als Gründer und Namensgeber das Gesicht von Heatherwick Studio. Was
ich besonders bewundere, ist, dass er trotz seines Erfolgs eine sehr bescheidene Person
r Heatherwick Studio ist kein Büro, das „Signature Design“ betreibt. Jedes Projekt
Maggie’s Centre, GB-Leeds (2020): Wohnliches Ambiente für Krebspatienten • Maggie’s Center in Leeds ist überraschend neu. Ist das Teil der Faszination?
Ja, definitiv. Gleichzeitig ist es sehr herausfordernd, für jedes Projekt etwas komplett
Wettbewerb Wohnhochhaus Alberni, CA-Vancouver (2019) • Competition residential high-rise Alberni Neues entwickeln zu wollen. Oft werden Dutzende Entwurfsideen durchgespielt bis man
einen spannenden Ansatz gefunden hat, der auch die sonstigen Anforderungen, wie Bau-
ordnungen und Effizienzwünsche der Bauherren, befriedigen kann. Was ich besonders
schätze, ist die Philosophie, dass gutes Design nicht allein aus einer schönen, eleganten
Form besteht, sondern einen tieferen Zweck erfüllt, Probleme löst und unsere Umwelt
lebenswerter macht. Dem muss eine gründliche Recherchephase vorausgehen, in der
man die Potenziale und Probleme des Bauplatzes analysiert. Hat man darauf basierend
die Ziele eines Projekts formuliert, kann man die verschiedenen Entwurfsoptionen viel
besser evaluieren und die am besten geeigneten leichter auswählen. Das kann auch mal
anstrengend und mit viel Arbeit verbunden sein, ist aber am Ende den Aufwand immer
Wert und meiner Meinung nach die Grundessenz guter Architektur.
r Das mehrfach ausgezeichnete Maggie’s Centre in Leeds (AIT 11.2020) ist ein Pro-
jekt, das besonders gut den „Social Impact“ der Architektur des Büros zeigt ...
Ja, Maggie’s Leeds hat zahlreiche Preise gewonnen und für viel positive mediale Auf-
merksamkeit gesorgt. Es ist ein Pilotprojekt des innovativen Holzbaus in Großbritannien,
realisiert auf einem sehr schwierigen Grundstück. Doch meiner Meinung nach ist der
wichtigste Erfolg des Projekts ein anderer: Die positive Resonanz der Pfleger, Ärzte und
Patienten, die es nutzen. Dabei muss man wissen, dass Krankenhausarchitektur in Groß-
britannien noch mehr als in Deutschland von grauen, effizienzorientierten, renovie-
rungsbedürftigen Gebäudekomplexen geprägt ist, die zwar halbwegs funktionieren,
aber Tristesse und Hoffnungslosigkeit ausstrahlen. Dem Studio war es wichtig, Krebspa-
tienten und ihren Angehörigen im so schwierigen Kampf gegen die Krankheit einen Ort
derZuversicht, Wärme und Hoffnung zur Verfügung zu stellen. Es sollte ein Ort sein, an
dem man für einen Moment vergessen kann, dass man sich in einem Krankenhaus be-
findet. Ist das gelungen, sind alle anderen Aspekte zweitrangig.
r London ist eine pulsierende Stadt. Was lieben und schätzen Sie am meisten an
dieser multikulturellen Stadt, und was würden Sie lieber canceln?
In London hat man das Gefühl, am Nabel der Zeit zu sein. Vor allem im Bereich Kultur
hat man die Möglichkeit, Aufführungen und Ausstellungen der angesagtesten Künstler
zu bestaunen. Außerdem genieße ich die Internationalität Londons und die tolerante Art
der Londoner gegenüber Fremdem oder Extravagantem. Es wirkt, als müsse sich hier
Foto: In Motors niemand verstellen, verkleiden oder verstecken. Worauf ich verzichten könnte, sind die
Menschenmassen in der Innenstadt und die überteuerten Immobilienpreise.
040 • AIT 6.2022