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Dr. Jana Revedin


                                 1965 geboren in Konstanz 1984–1991 Studium Architektur und Städtebau in Buenos Aires, Princeton und Mailand 1993–2000 Promotion und Habilitation an der IUAV Venedig seit 1996
                                 eigenes Architekturbüro in Venedig und Wernberg, Kärnten, Assistenzprofessorin bei Aldo Rossi an der IUAV Venedig, an den Technischen Universitäten Berlin, Stockholm und Umea
                                 seit 2012 Ordentliche Professorin für Architektur und Städtebau an der Technischen Universität Karlskrona (Schweden), seit 2016 an der École Speciale d’Architecture, Paris




             Die  Architektin  und  Architekturtheoretikerin  Dr.  Jana  Revedin
             schreibt faszinierende Romanbiografien. 2018 erschien „Jeder hier
             nennt  mich  Frau  Bauhaus:  Das  Leben  der  Ise  Frank“  und  2020
             „Margherita“, ein Buch über die Großmutter ihres Mannes und die
             künstlerische Renaissance Venedigs. Im Interview spricht sie über die
             Wiederentdeckung dieser starken Frauen der 1920er- und 1930er-
             Jahre, ihren Wohnort Venedig, einst und heute, und ihr für August an-
             gekündigtes drittes Werk über die Kunstmäzenin Eugenia Errázuriz.

              The architect and architectural theorist Dr Jana Revedin writes fas-
              cinating biographic novels. In 2018, Jeder hier nennt mich Frau Bau-
              haus: Das Leben der Ise Frank was published and, in 2020, Mar-
              gherita, a book about her husband´s grandmother and the artistic
              renaissance of Venice. In the interview, she talks about the redis-                                                      Foto: Archiv Antonio und Jana Revedin
             covery of these strong women of the 1920s and 1930s, about Venice
             as her residence then and today and her work on the art patroness
             Eugenia Errázuriz scheduled to appear in August.
                                                                           Margherita mit ihrem Mann „Nino“ Revedin (links) am Golfplatz des Lido, Venedig 1932


             r Frau Dr. Revedin, Sie leben in Venedig. 100 Jahre ist es her, dass Margherita   fahrten in die Lagune und auf dem Lido, den sie so sehr liebte. Auf meinen Spaziergän-
             Revedin die Lagunenstadt nachhaltig veränderte. Erklären Sie unseren Lesern,   gen dem Strand entlang begleitet sie mich bis an den Leuchtturm von San Nicoletto
             welchen Stein Margherita ins Rollen brachte?                  oder bis ins Fischerdorf Malamocco und weiter bis zu den wilden Dünen der Alberoni.
             Die Großmutter meines Mannes, aus einfachsten Verhältnissen stammend und für alle
             überraschend in die adelige Familie Revedin eingeheiratet, erfand dank ihrem unvor-  r Welche Parallelen sehen Sie zwischen sich und Margherita? Auch Ihr Leben hat
             eingenommenen Blick und ihrer klugen Bescheidenheit nie gesehene Inhalte für das  sich in Venedig entscheidend verändert …
             verarmte und heruntergekommene Venedig ihrer Zeit. Erinnern wir uns daran, dass die  Als ich von meinen Studienjahren in Buenos Aires, New York und Mailand kommend
             Stadt nach dem Ersten Weltkrieg und der Spanischen Grippe beinahe unrettbar am  hier in Venedig landete, weil ein junger Marineoffizier um meine Hand angehalten
             Boden lag, die Fassaden ihrer Gebäude bröckelten buchstäblich in die Kanäle. Marghe-  hatte, höhnten meine Mailänder Kollegen: „Jetzt zieht sie aufs Dorf!“ Ich musste mit den
             rita kombinierte den Kurtourismus der Jahrhundertwende, den schon Thomas Mann ge-  hiesigen Bedingungen kämpfen. Die jungen Dogen-Gattinnen in unserem Freundeskreis
             nossen hatte, mit dem Kulturtourismus der jungen Biennale, die sie um die neuen  arbeiteten nicht, sondern lebten von der Rendite ihrer Palazzi. Die Revedins hatten aber
             Kunstformen der Avantgarde erweiterte: Fotografie und Film. Dazu erfand sie – Kind  keine Palazzi mehr. Ich war die jüngste Assistentin im Mailänder Büro von Aldo Rossi
             vom Land – eine nie zuvor gesehene Art des Tourismus, das aktive Erleben der Natur.  und liebte meine Arbeit. Also konnte ich bei keiner Tee-Party hier in der Stadt präsent
             Sie machte das Lagunenarchipel und den Lido, den damals noch wilden Strand vor   sein. Als meine beiden Töchter geboren wurden, war mein Image als Rabenmutter
             Venedig, zum Gästemagneten: Schwimmen, Rudern, Tontaubenschießen und Reiten,  schon vorprogrammiert. Doch meine – preußisch-liberalen – Eltern bestärkten mich,
             doch sogar Golfspielen und Sportfliegen wurden erstmals einem breiten Publikum zu-  und aufgrund dieses Einflusses hielten mir auch meine Schwiegereltern hier in der Stadt
             gänglich. Als ich meinen Mann, ihren Enkelsohn, vor 35 Jahren hier in Venedig kennen-  den Rücken frei. Tatsächlich folge ich in gewisser Weise Margherita nach, die beharrlich
             lernte, war mir klar, eines Tages müsste ich das abenteuerliche Leben dieser heute ver-  ihren Traum verwirklichte, ohne dem Geläster der Dogensalons zuzuhören. Und auch
             gessenen Visionärin erzählen.                                 meine eigene Großmutter, eine Junkersfrau, der es, sehr früh für ihre Zeit, erlaubt gewe-
                                                                           sen war, eigenverantwortlich zu arbeiten, hatte mir immer gesagt: „Kindchen, du bist
             r Welches sind die Orte an Ihrem Wohnsitz Venedig, an denen Ihnen Margherita  nicht, was du hast. Du bist, was du kannst.“
             auf Schritt und Tritt begegnet oder in den Sinn kommt?
             Am ehemaligen Palais Revedin am Canal Grande gehe ich beinahe täglich auf dem Weg  r Die Lagunenstadt hat circa 50.000 Einwohner, wird alljährlich aber von rund
             von meinem Haus zur Akademiebrücke vorbei, doch da höre ich sie sagen: „Tempi pas-  30 Millionen Besuchern überschwemmt. Wie erleben Sie die Stadt zur Corona-Zeit
             sati, schauen wir nicht zurück.“ Sie begegnet mir viel eher an der Punta della Dogana  und welche Chancen resultieren aus dieser Krise?
             und an der Südküste des Dorsoduro, den Zattere, den ehemaligen Hafendocks der Stadt  Die Welt hält endlich inne und besinnt sich auf das Wesentliche. Denn, sind es die vie-
             und zu jener Zeit keine „gute Adresse“. Nach dem überraschenden Herztod ihres Man-  len, ja unkontrollierbaren Eindrücke, die Kreativität hervorrufen? Oder ist es die Stille
             nes verzichtete Margherita auf ein vom Schicksal geschenktes, glamouröses Leben und  in unserer Seele? Könnten wir wieder reisen lernen, statt „Urlaub machen“? Wenn Ve-
             zog sich hierher,  in das von Ignazio Gardella erbaute, modernste Apartmenthaus Vene-  nedig wieder der Ort der „guten Gäste“ würde, von aufgeschlossenen, wissenshungrigen
             digs mit Blick auf den Giudecca-Kanal und Palladios Redentore-Kirche zurück. Ihre  Menschen entdeckt und dauerhaft besiedelt, wäre die Stadt gerettet. Die Einwohnerzahl
             schöne, schlichte Beletage in der Ca‘ Gardella ging nach ihrem Tod leider verloren, doch  50.000 ist geschönt. Nur halb so viele sind wirklich Einheimische. Erinnern wir uns,
             mein Mann und ich konnten vor einigen Jahren das kleine Backsteinhaus gleich dane-  dass Venedig die blühendste Stadt des Mittelalters war und 200.000 Einwohner zählte,
             ben zurückerwerben. Gardella hatte sich in den ehemaligen Klostergärten der Augusti-  sie steht also faktisch leer. Was die Politik betreiben sollte, ist nicht vermeintlich lukra-
             nerschwestern nämlich für sich selbst ein „Gartenhaus“ erbaut. Für mich ist es der  tiver Tagestourismus, der die Stadt und ihre Ressourcen auslaugt, sondern die Schaffung
             schönste Ort der Stadt. Margherita begegnet mir aber natürlich auch auf unseren Boots-  von Arbeitsplätzen, bezahlbarem Wohnraum und ökologischer Infrastruktur, wie es die

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