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Antonia Frey-Vorhammer Simon Vorhammer
1983 geboren in München 2003–2010 Architekturstudium: München, 1983 geboren in München 2003–2010 Architekturstudium: München,
Kopenhagen seitdem Mitarbeit in Büros: München, Buenos Aires 2013– Madrid seitdem Mitarbeit in Büros: München, London 2013–2016 Sydney seit
2016 in Sydney seit 2016 Sian Design, viele Architekturkooperationen 2016 Sian Design; Vorhammer Computational Design seit 2021 Formfeld
Der Beruf des Goldschmieds ist einer der ältesten Berufe des
Metallhandwerks. Das Münchener Architektenpaar Antonia Frey-
Vorhammer und Simon Vorhammer hat Goldschmuck für das 21.
Jahrhundert neu interpretiert. In einem digitalen Entwurfsprozess,
anhand von Algorithmen, erzeugen sie komplexe, feingliedrige,
dreidimensionale Strukturen. Wie ihre Ohrringe, Ringe, Armbän-
der und Halsketten entstehen, erläutern die beiden Gründer des
Labels Sian Design in diesem Interview.
The profession of goldsmith is one of the oldest professions in the
metal trade. The architect couple Antonia Frey-Vorhammer and
Simon Vorhammer from Munich have reinterpreted gold jewellery
for the twenty-first century. In a digital design process, based on
algorithms, they create complex, delicate, three-dimensional
structures. In the following interview, the two founders of the
label Sian Design explain how they create their earrings, rings,
bracelets and necklaces. Neta und Iva Stud Earrings: gefertigt aus 18 Karat Gold • Neta and Iva Stud earrings: made of 18 carat gold
r Die Digitalisierung schreitet den einen zu schnell, den anderen zu langsam Iva Bangle wide: innen glatt, außen Gitterstruktur • Smooth on the inside, lattice structure on the outside
voran. Sie haben sich diese Technologie zunutze gemacht, um sich ein zweites
Standbein im Schmuckdesign aufzubauen. Wie kam es dazu?
Antonia Frey-Vorhammer (AFV): Die Idee zu Sian Design ist auf eine etwas unge-
wöhnliche Art und Weise entstanden. Zwischen 2013 und 2016 haben wir in Sydney
gelebt und gearbeitet. Während dieser Zeit hat Simon immer wieder abstrakte drei-
dimensionale Strukturen programmiert und auf digitalen Plattformen veröffentlicht.
Ein Goldschmied aus Kalifornien ist auf sie aufmerksam geworden und hat ange-
fragt, ob er die Codes bekommen könnte. Simon hat ihm daraufhin eine Kooperation
angeboten, jedoch nichts mehr von ihm gehört. Der Gedanke, selbst Schmuckstücke
aus geometrisch komplexen Strukturen zu fertigen, gefiel uns. Schon lange hatten
wir außerdem das Ziel, uns ein Stück weit vom projektbasierten Modell „Zeit-gegen-
Geld“ durch die Entwicklung von Produkten zu lösen.
r Das alte Metier des Goldschmiedens erfährt durch CAD und den 3D-Druck eine
ganz neue Dimension. Wie viel Handwerk steckt noch in den Sian-Ringen, -Ohr-
ringen, -Anhängern und -Armreifen und wie viel High-Tech? Und wie einfach oder Neta Pendant: zwei ineinandergreifende, berührungslose Gitterschalen • Two interlocking mesh shells
aufwendig darf man sich den Entwurfs- und Fertigungsprozess vorstellen?
Simon Vorhammer (SV): Unser Schmuck entsteht im Zusammenspiel von digitaler
Planung, additiver Fertigung und traditionellem Goldschmiedehandwerk. Der Anteil,
den Letzteres dabei einnimmt, variiert von Stück zu Stück. Mit Sicherheit lässt sich
jedoch sagen, dass der digitale Entwurfsprozess den Löwenanteil ausmacht. Am An-
fang steht dabei immer ein geometrisches Grundprinzip. Das heißt, die Hüllflächen
geometrischer Grundkörper werden partiell in einfach oder doppelt verwobene Ma-
schen aufgelöst. Wir programmieren dann einen Grundalgorithmus, der die kom-
plexe Geometrie beschreibt und alle fertigungstechnischen Limitationen berücksich-
tigt. Auf Basis dieses Grundalgorithmus entstehen in vielen Iterationen spezifische
parametrische Modelle für die einzelnen Schmuckstücke. Die aus dem Algorithmus
abgeleiteten 3D-Modelle entsprechen mit absoluter Genauigkeit dem gedruckten
Wachsmodell. Dieses Wachspositiv dient zur Herstellung einer Negativform aus fei-
nem Gips, in welche dann das Edelmetall gegossen wird. Da jedes Mal sowohl das
Wachs als auch der Gips verloren gehen, wird dies als „Wachsausschmelzdruck und Fotos/Visualisierungen: Sian Design, München
Gießen“, als „Lost-Wax & Cast-Verfahren“, bezeichnet. Jedes Schmuckstück wird an-
schließend in sorgfältiger Handarbeit von unserem Goldschmied nachbearbeitet und
erhält so seine individuelle, lebendige Oberfläche.
AIT 5.2022 • 031