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Kira Sophie Kawohl


                                  1987 geboren in Bremen 2007–2011 Studium Innenarchitektur an der Technischen Hochschule Ostwestfalen 2012–2019 Studium  Foto: Bruno Klomfar/P.Good/WISEG (9)
             Foto: Kira Kawohl    Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Architekturgeschichte an der Universität Wien 2012–2019 Berufliche Tätigkeit im Bereich der
                                  Wohnbauforschung, Architekturvermittlung sowie als freiberufliche Kunsthistorikerin in Wien seit 2020 Redakteurin bei AIT
























             Foto: Bruno Klomfar            Foto: MAK/Katrin Wißkirchen    Foto: Steirereck




              Die Angewandte (3), Riepl Kaufmann Bammer, 2018  Säulenhalle des MAK (4) von • by H. v. Ferstl, 1869  Der Stadtpark löst sich auf in der Fassade des Restaurants Steirereck (5) von • by PPAG, 2018



             G   lücklicherweise ist Wien eine echte „Draußenstadt“, die meisten unserer Tipps kön-  r 13:00 Hier lohnt ein kurzer Stopp bei der neuen, ikonischen Pavillonarchitektur des Re-
                 nen daher im Freien genossen werden, andere sparen Sie sich notfalls für die näch-
                                                                           staurants Steirereck (5) mit irisierender Fassade (PPAG, 2018). Ein Abstecher bringt uns
             ste Reise auf. „Wien bleibt Wien“, so sagt man, denn Wien hat es nie für nötig erachtet,  zum futuristischen Future Art Lab (6), einem Neubau der Musik-Universität von Pichler
             sich neu zu erfinden. Sie ruht in sich, schlimmstenfalls schwerfällig, bestenfalls zeitlos.  Traupmann Architekten (2020). Unweit davon ist übrigens ein aktueller städtebaulicher
             Im Rahmen historisch verankerter und gut funktionierender städtischer Instrumente –  Zankapfel verortet: Die durch einen privaten Projektentwickler avisierte Bebauung des
             vom öffentlichen Nahverkehr über die gepflegten Stadtgärten bis hin zum geförderten  Heumarkt-Geländes bedroht den Unsesco-Welterbe-Status der Wiener Innenstadt!
              Wohnbau – entwickelt sich die Stadt fortwährend weiter. Vielleicht ist es das, was sie be-  r 14:00 Mit der Ringbahn gondeln wir bis zu den 1891 als „Bürgerforum“ angelegten Zwil-
              kanntermaßen zu einer der lebenswertesten Städte der Welt macht. Sehen Sie selbst!  lingsbauten aus der Feder Gottfried Sempers und verschwinden im Quasi-Pendant des
                                                                           21. Jahrhunderts: Das Museumsquartier (Ortner & Ortner Baukunst, Manfred Wehdorn,
             Samstag: Gemischter Satz – Wiener Moderne und Zeitgenössisches  2001) beherbergt auch das Architekturzentrum Wien (7), in dem derzeit die Ausstellung
                                                                           „Boden für Alle“ der Frage nach dem Umgang mit einer unserer wichtigsten Ressourcen
             r 9:00 Schlafend haben wir ein neues Wiener Hotelkonzept kennengelernt: Für das  nachgeht. Die Dauerausstellung „a_schau“ fasst die österreichische Baugeschichte von
             Grätzlhotel Karmelitermarkt (1) gestalteten BWM Architekten ehemals leerstehende Ge-  1850 bis in die Gegenwart zusammen. Aus aktuellem Anlass steht danach eine Erfri-
             schäftsräume zu sympathischen Gästezimmern mit Stadtteilbezug um. Wir sind mitten in  schungspause im AzW-Café Corbaci auf dem Plan: Das inzwischen zum Klassiker avan-
             der charismatischen Leopoldstadt, die – einst in der sumpfigen Peripherie des Donauka-  cierte Interieur mit gefliester Decke stammt aus der Feder der jüngsten Pritzker-Preisträ-
             nals als jüdische Vorstadt angelegt – eine bewegte europäische Geschichte erzählt. Der  ger Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal. Abschließend werfen wir einen Blick auf die
             Tag beginnt mit einem Frühstück auf dem lebendigen Karmelitermarkt, anschließend  neueste MQ-Erweiterung, den organisch geformten Dachpavillon Libelle (8) (2020).
             nehmen wir die Ringbahnlinie 2 in Richtung Innenstadt. Auf dem Weg kann die Österrei-  r 16:00 Den Nachmittag verbringen wir wahlweise mit einem Ausflug in die berühmte
             chische Postsparkasse (2) als Paradebeispiel für die geometrische Linie der Wiener Se-  Werkbundsiedlung (9), die 1932 als Gegenstück zu den Superblocks des sozialistischen
             cession besichtigt werden. In dem 1906 von Otto Wagner entworfenen Bankgebäude wird  Wiener Wohnbaus unter der Leitung von Josef Frank fertiggestellt und deren überaus ge-
             derzeit die künftige Aufnahme neuer Standorte der Wiener Universitäten geplant. Neue-  glückte, denkmalgerechte Sanierung durch die Architekten P.GOOD 2020 abgeschlossen
             rungen gibt es auch an der nahegelegenen Universität für Angewandte Kunst (3): 2018  wurde. Alternativ ist auch die brutalistische Wotrubakirche (10) am Rande des Wiener-
             wurde die bereits von Hollein und Hadid mit Lehraufträgen beehrte Kunsthochschule um  walds einen Abstecher wert: Der 1976 nach dem Entwurf des Wiener Bildhauers Fritz Wo-
             Räumlichkeiten  im  ehemaligen  Zollamtsgebäude  erweitert;  der  berüchtigte  Wörle-  truba von Fritz Gerhard Mayr errichtete Sakralbau aus Betonblöcken hat durch die 2019
             Schwanzer-Trakt behutsam generalsaniert (Riepl Kaufmann Bammer Architektur). Dabei  vollendete Erweiterung von f2p Architekten ein nicht ganz unumstrittenes Update erhal-
             blieb der Angewandte-Geist des ultrakreativen Understatements erhalten – herumste-  ten. Den Nachmittag lassen wir bei einem Achterl Gemischten Satz (Wiener Wein aus ge-
             hende Modelle offenbaren den Status quo des zeitgenössischen Architekturentwurfs.  mischten Rebsorten) im Schanigarten des Heurigen Zahel (11) ausklingen.
             r 11:00 Unbedingt empfiehlt sich jetzt ein Besuch im MAK – Museum für Angewandte  r 20:00 Haben Sie Wien schon bei Nacht gesehen? „Vollkommen wurscht“, ob ja oder
             Kunst (4), dessen Sammmlungsschwerpunkt historisch bedingt die Wiener Moderne bil-  nein – wir lassen uns in die Innere Stadt fahren, diskutieren im Vorbeigehen über die Hol-
             det. Der Baustil (Heinrich von Ferstel, 1869) ist ein repräsentatives Beispiel für die Ring-  lein’schen Geschäftsfassaden, staunen über Wiens letzte Jugendstiltoilette mit Warteper-
             straßen-Ära, in der Wien als größte Stadt im deutschsprachigen Raum um einen histori-  sonal, achten natürlich nicht auf den Stephansdom und enden am pittoresken Franzis-
             stischen Prachtboulevard erweitert wurde. Nach einer Pause im Museumscafé Salonpla-  kanerplatz: Das Kleine Café (12) (1970) ist nicht nur eine legendäre Bar, sondern vor allem
             fond, das kürzlich durch den Architekten Frank Michael Embacher unter Einbezug der  eine innenarchitektonische Inkunabel des Wiener Architekten Hermann Czech, der in sei-
              Möbelentwürfe Oswald Haerdtls umgestaltet wurde, begeben wir uns in den Stadtpark.  nen Bauwerken und Innenausstattungen die Wiener Moderne interpretiert.

                                                                                                                           AIT 5.2021  •  029
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