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Arp Dinkelaker                                      Ilka Koss


                                 1970 geboren in Karlsruhe  1991-1998 Architekturstudium Uni Stuttgart 1999-2000 Assmann  1969 geboren in Stuttgart 1992-2001 Architekturstudium Uni Stuttgart und UdK Berlin 2003
                                 Salomon Berlin; Steelcase, USA  2004-2005 Jomad Berlin  2000-2016 Digitale Medien:   Scheidt Kasprusch Architekten seit 2004 kundschafter produktdesign seit 2018 Geschäfts-
                                 UX Architect bei Interone, Metadesign, Stan Hema ... seit 2004 kundschafter produktdesign  führende Gesellschafterin der kundschafter Manufaktur UG, www.kundschafter.net




             r Viele gute und erfolgreiche Geschäftsideen werden aus einem Mangel heraus ge-
             boren. Weil es etwas nicht gibt, macht man es eben selbst. Das war auch bei Ihnen
             der Fall. Erzählen Sie uns davon!
             Wir saßen im Spätsommer 2004 in unserem Stamm-Eck-Café im Zionskirch-Kiez beim
             schnellen Morgenkaffee, als Ilka relativ unvermittelt sagte – ich habe noch den Wortlaut
             im Ohr – „Du, ich hab’ für Cord mal nach Schulranzen geschaut. Also, wenn's ein Pro-
             dukt gibt, das man noch entwickeln sollte, dann ist das ein schöner, leichter Schulran-
             zen. Da habe ich nichts gefunden." Ich selbst hatte mich noch gar nicht mit der Thema-
             tik befasst, die Einschulung war ja noch knapp ein Jahr hin. Glauben konnte ich es
             nicht, aber es stimmte: Lederranzen waren zu schwer, und alles außer Leder war uns
             zu hässlich. Da unser Sohn zudem noch als glühender Werder-Bremen-Fan spezifische
             Farbvorstellungen hatte, die der Markt nicht hergab – damals spielte Werder in Grün-
             Orange –, war schnell der Gedanke da, es selbst zu probieren. Zum Glück hatten wir
             noch ein ganzes Jahr Zeit für die Entwicklung. Der erste Prototyp war in der Nacht vor
             der Einschulung fertig. Klingt vielleicht kitschig, aber genau so fing alles an.

             r Sie sind beide Architekten. Wie viel „Architektur-Denke“ steckt in Ihren Ranzen?
             Es ist meines Erachtens schwer, so etwas wie „Architektur-Denke“ zu definieren, wahr-
             scheinlich sieht jede und jeder etwas Anderes darin. Aber ich probiere es mal mit ein
             paar Aspekten, die mir in den Sinn kommen. Erst einmal ist da der Impuls und die
             Chuzpe, so etwas „Fachfremdes“ überhaupt anzugehen und nicht zu sagen „Das kön-
             nen wir nicht, das haben wir nicht gelernt.“ Dies hat in meinen Augen einiges mit der
             Denke zu tun, die mir das Studium vermittelt hat. Architektur nicht lediglich als das Hin-
             stellen von Häusern zu begreifen, sondern als strukturelles, systemisches Denken und
             kreativen Prozess von Gestaltung, Funktion und Wirtschaftlichkeit – ganz unabhängig
             vom Medium. Diese Abstraktion hat mir im Übrigen auch sehr in der Medienbranche
             geholfen, auf die ich ausgewichen war, als es Anfang der Nuller-Jahre in der Architektur
             keine geeigneten Jobs gab.

             r Welche Aspekte spielen noch eine Rolle?
             Der Mut zum Weglassen, die Suche nach Klarheit. Diese „Less is more“-DNA der Mo-
             derne haben wir natürlich drin. Sie hat uns nicht nur bei der Formensprache, sondern
             auch bei der inneren Organisation und Aufteilung unserer Schulranzen geholfen. Einge-
             bracht hat uns das auch schon den einen oder anderen Kommentar, wie „typisch Archi-
             tekt“ – gerade von Textil- oder Industriedesignern. Nicht zuletzt ist es der Hang zur kom-  Im Schaufenster: ein altes, schwedisches Erstklässler-Pult • In the shop window: un old Swedish school desk
             promisslosen Selbstausbeutung, der einem als Architekt schon ab den ersten Semestern
             immanent ist, dieses Motto „Dranbleiben ist wichtiger als Schlafen“. Aber auch das ist
             besser geworden. Nacht- und Sonntagsschichten machen wir zum Glück nur noch ganz  Blick in den Showroom am Berliner Helmholtz-Platz • View into the showroom in Helmholtz-Platz in Berlin
             selten. Ich sage immer: Ich freue mich sehr über meine geregelte 50-Stunden-Woche.

             r Eltern lieben die schlichten kundschafter-Ranzen in schönen Farben. Wie sieht es
             bei den Kindern aus, wenn sie auf Merchandising-getriebene Fußball-, Einhorn-,
             Darth Vader- oder Prinzessinnen-Dekore verzichten sollen?
             In diesem Punkt machen wir uns wenige Illusionen. Wir sind uns dessen bewusst, dass
             wir nur eine relativ kleine, Design-affine Zielgruppe ansprechen. Für pädagogische Ziele
             ist ein Anprobetermin in unserem Showroom auch viel zu kurz. Wenn wir merken, dass
             das Kind wirklich ganz andere Vorstellungen hat, sagen wir das den Eltern, auch wenn
             diese dann manchmal ganz schön baff sind. Wir wollen nicht, dass Kinder wegen eines
             Schulranzens traurig sind, schon gar nicht wegen eines unserer Ranzen. Zum Glück tritt
             diese Situation aber immer seltener auf, denn mittlerweile kommen kaum noch Fami-
             lien zu uns, ohne vorab recherchiert und sich miteinander abgestimmt zu haben. Es
             kommen auch immer mehr Kinder, die einen kundschafter haben wollen, weil ein
             Freund oder Geschwisterkind bereits einen hat. Wenn es dann doch nochmal um Mo-
             tive auf dem Ranzen geht, empfehlen wir Ansteckbuttons, die auch wieder entfernt oder
             ausgetauscht werden können.

                                                                                                                           AIT 4.2021  •  029
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